[410] Sophisten sophistai heißen ursprünglich in Griechenland alle geistig gewandten, geistig und social tätigen Männer, alle Denker und Weisen. Seit der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts v. Chr. heißen Sophisten besonders Leute, die (für Bezahlung) die Kunst zu sprechen, zu denken, zu processieren u. dgl. lehrten, kurz zum öffentlichen Leben, zur Gewandtheit im Auftreten, zum selbständigen Denken und Handeln anleiteten. So nennt sich PROTAGORAS einen sophistês, welcher sich damit beschäftigt, paideuein anthrôpous (Plat., Protag. 316 D), und nach PLATO ist der Sophist ho tôn sophôn epistêmôn (l. c. 312 C). Der Subjectivismus (s. d.), Individualismus und (später) die dünkelhafte Hohlheit und das geschwätzige, leere, dialektische (s. d.) Gebaren der Sophisten erzeugten die üble Nebenbedeutung, die dem Worte »Sophist« anklebt. Die »Sophistik« wurde zum Namen einer trügerischen, spitzfindigen Scheinweisheit. Dies besonders durch die Angriffe des ARISTOPHANES, SOKRATES, PLATO. ARISTOTELES bemerkt: esti gar hê sophistikê phainomenê sophia ousa d' ou, kai ho sophistês chrêmatistês apo phainomenês sophias all' ouk ousês (De soph. elench. 1, 165 a 21). Doch haben in ihrer Blütezeit Sophisten durch Aufklärung und vor allem durch Lenkung der Aufmerksamkeit auf den subjectiven, individuellen Factor des Erkennens und Wertens, wenn auch naturgemäß zersetzend, doch vielfach wohltätig gewirkt und die classische Philosophie der Griechen provociert. Allgemeine, theoretische Bildung haben sie zuerst gelehrt: tên kaloumenên sophian ousan de deinotêta politikên kai drastêriou synesin hên hoi meta tauta dikanikais mixantes technais kai metagagontes apo tôn praxeôn tên askêsin epi tous logous sophistai prosêgoreuthêsan (Vita Them. 2). Nachgesagt wird freilich manchen Sophisten, daß sie es verstanden, ton hêttô logon kreittô poiein. Später wurden Sophisten die Rhetoren genannt. Von den Sophisten bemerkt z.B. KÜHNEMANN: »Die Individualität stellen sie auf sich selbst, dem einzelnen bieten sie ihre Lehre an, der Mensch beginnt sich zu fühlen als etwas für sich selbst« (Grundlehr. d. Philos. S. 171). GOMPERZ sagt: »Platons Sophisten-Verhöhnung steht auf gleicher Linie mit Schopenhauers Schmähung der 'Philosophieprofessoren' oder mit August Comtes Ausfällen gegen die 'Akademiker'« (Griech. Denk. I, 338). Die bekanntesten Sophisten sind: PROTAGORAS, GORGIAS, HIPPIAS, PRODIKOS, KRITIAS, THRASYMACHOS, POLOS, EUTHYDEMOS, ANTIPHON. – Nach THOMAS VON AQUINO sind Sophisten jene, »qui apparentes scientes et non sunt« (1 anal. 13 e). Vgl. GROTE, Hist. of[410] Greece VIII, 474 ff.. M. SCHANZ, Beitr. zur vorsokrat. Philos. aus Platon, 1. H. 1867. TH. FUNK-BRENTANO, Les sophistes grecs et les sophistes contemporains, 1879, u. a. Vgl. Relativismus, Subjectivismus, Erkenntnis, Rechtsphilosophie, Ethik, Religion, Nihilismus, Skepticismus.