Wort

[807] Wort (logos, onoma, vox, verbum, vocabulum, terminus) ist ein Lautcomplex von significativem Werte. Das Wort ist ein Zeichen (s. d.) für einen Vorstellungs- oder Begriffsinhalt. das Wort »bedeutet« (s. d.) etwas heißt, es bezieht sieh auf einen solchen Inhalt, es vertritt uns einen solchen, hat die Fähigkeit, einen Begriff auszulösen. Ursprünglich sind Wort und Satz (s. d.) eins, später differenzieren sich selbständige Haupt-, Eigenschafts-, Zeitwörter u.s.w. Die Wörter sind Zeichen für bestimmte Apperceptionsweisen der Dinge, die durch Convention (s. Sprache) und Wissenschaft allgemeingültig werden. Insofern das Wort etwas nicht bloß bedeutet, sondern bezeichnet, ist es ein Name (s. d.). Wortvorstellungen sind die (neben tactilen auch akustische, optische Elemente enthaltenden) sprachlichen Einzelgebilde als Bewußtseinsinhalte, in Wahrnehmungs- oder in Reproductionsform.

Über PLATO s. Namen. Nach ARISTOTELES sind die Wörter Zeichen von Vorstellungen (De interpret. 1).

Das Conventionelle der Worte lehrt ABAELARD: »Neque enim vox aliqua naturaliter rei significatae inest, sed secundum hominum impositionem« (Dial. p. 487). »Vocabula homines instituerunt ad creaturas designandas, quas intelligere poluerunt, quum videlicet per illa vocabula suos intellectus manifestare vellent« (Theol. Christ. p.1275). So auch WILHELM VON OCCAM: »Terminus... prolatus vel scriptus nihil significat nisi secundum voluntariam institutionem« (vgl. Prantl, G. d. L. III, 340. s. Namen). – Nach ZABARELLA ist das Wort »signum conceptus, qui est in animo« (De nat. log. I, 10).

HOBBES bemerkt über den Gebrauch der Wörter: »Vocabula... sapientium quidem calculi sunt quibus computant, stultorum autem nummi, aestimati impressione alicuius nomine celebri« (Leviath. I, 4). Nach SPINOZA sind die Wörter Zeichen der Dinge, wie sie in der »imaginatio« sind (Em. intell.). Nach CHR. WOLF sind die Wörter »voces articulatae, quibus res perceptas aut perceptiones nostras indigitamus« (Psychol. empir. § 271), willkürliche »Zeichen der Gedanken« (Vern. Ged. I, § 291 ff.). – GOETHE bemerkt: »Jedes ausgesprochene Wort erregt den Gegensinn« (Sprüche in Prosa).

Nach MAASS bezeichnen die meisten Wörter nicht individuelle Objecte sondern »allgemeine Dinge«, Begriffe (Üb. d. Einbild. S. 172). Die Notwendigkeit der Wörter für die Bildung abstracter Begriffe betont G. E. SCHULZE (Über die menschl. Erk. S. 107). Nach BIUNDE ist das Wort ursprünglich Nomen proprium. Nomen, verbum, tempus lagen vielleicht in einem Worte (Empir. Psychol. I 2, 53 ff.). Mit den Wörtern bilden sich die Begriffe (l. c. S. 71 f.). – Nach J. H. FICHTE bedeutet das Wort die »Allgemeinvorstellung nach ihrer specifischen, aber eben darum alles Einzelne in sich umfassenden Bestimmtheit« (Psychol. I, 497 ff.). Jedes grammatische Sprechen ist »ein unbewußter Act angewandter Logik« (l. c. S. 500). Nach JODL bezeichnet das Wort »die gemeinsamen Elemente oder den Coincidenzpunkt der Vorstellungen, welche mit ihm associiert sind, d.h. es lenkt inmitten der Vielzahl von Vorstellungen,[807] welche es zu reproducieren vermag, die Aufmerksamkeit nur auf diese bestimmten gemeinsamen Elemente« (Lehrb. d. Psychol. S. 607). Nach L. GEISTER hat das Wort »niemals einen sinnlichen Gegenstand an und für sich, sondern immer ein Vernunftobject zu seinem Inhalt« (Urspr. u. Entwickl. d. menschl. Sprache I, 6). Nach LAZARUS drückt das Wort nie eine bloße Anschauung aus, sondern »bezeichnet die percipierte Anschauung durch appercipierende Vorstellungen« (Leb. d. Seele II2, 294. vgl. STEINTHAL, Einl. in d. Psychol. I, 396 ff.). Nach HÖFFDING ist das Wort gleichsam ein Ersatz für die unmögliche Anschauung der gemeinsamen Eigenschaften von Objecten für sich allein (Psychol.2, S. 236). Nach B. ERDMANN haben die Begriffsworte ihre Bedeutung in Urteilen (Log. I, 183 f.). Nach SIGWART sind die Wörter »Zeichen eines bestimmten Vorstellungsinhaltes, der, von den gegenwärtigen Anschauungen losgerissen, ein selbständiges Dasein in der Fähigkeit gewonnen hat, beliebig innerlich reproduciert zu werden« (Log. I2, 58. vgl. I2, 30 ff., 46 ff.). Nach H. CORNELIUS bezeichnet das Wort »die Inhalte einer Gruppe, welche durch die Ähnlichkeit zwischen eben diesen Inhalten charakterisiert ist« (Einl. in d. Philos. S. 235 f.). Nach HUSSERL besagt die Allgemeinheit des Wortes, »daß ein und dasselbe Wort durch seinen einheitlichen Sinn eine ideell festbegrenzte Mannigfaltigkeit möglicher Anschauungen so umspannt..., daß jede dieser Anschauungen als Grundlage eines gleichsinnigen nominalen Erkenntnisactes fungieren kann« (Log. Unters. II, 501). Nach W. JERUSALEM ist das Wort »der Träger aller Tätigkeit, aller Kräfte, die nach den bisherigen Erfahrungen im Dinge ruhen. Das Wort ist gleichsam der Wille des Dinges, und wenn mehrere Dinge einander ähnlich sind, so werden sie mit demselben Namen bezeichnet, weil ein Wille sie zu beseelen, eine Kraft in ihnen wirksam zu sein scheint« (Lehrb. d. Psychol.3, S. 108). Nach SCHUBERT-SOLDERN bedeutet das Wort stets »ein System von Unterschieden« (Gr. ein. Erk. S. 115). es hebt »dasjenige am Concretum, dem Zusammen von Daten hervor, was eben in der Denkrechnung selbständig verwertet werden soll« (l. c. S. 116).

Nach A. MEINONG bedeutet das Wort den Gegenstand der Vorstellung und ist Ausdruck der Vorstellung (Über Annahm. S. 19 f.). UPHUES erklärt: »Das Wort ist erstens Ausdruck einer Vorstellung des Sprechenden, es weckt zweitens in dem das Wort Hörenden und Verstehenden die gleiche Vorstellung, es ist drittens Name oder Bezeichnung des der Vorstellung entsprechenden und von ihr verschiedenen Gegenstandes« (Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philos. 21. Bd., S. 472). Nach STOUT (Anal. Psychol. II) ist ein Wort eine Anregung zum Nachdenken, nach W. JERUSALEM eine Forderung zur geistigen Gestaltung und Gliederung (Urteilsfunct. S. 32), nach RIBOT stellt es ein »savoir potentiel« dar (Evol. des idées génér. p. 148). Nach FR. MAUTHER sind Worte »nichts anderes als das Gedächtnis assimilierter Wahrnehmungen« (Sprachkrit. I, 437). Die Hauptquelle unserer Associationen liegt in den Worten unserer Sprache (l. c. S. 437 ff., vgl. S. 440). Begriff und Wort sind so gut wie identisch »nichts weiter als die Erinnerung oder die Bereitschaft einer Nervenbahn, einer ähnlichen Vorstellung zu dienen« (l. c. S. 410). Die Hypostasierung der Worte und Begriffe, der »Wortfetischismus« ist ein Hemmnis des Erkennens (l. c. S. 150 ff.). – Nach S. STRICKER sind die Worte »Bewegungs- oder motorische Vorstellungen« (Stud. üb. d. Association der Vorstellungen 1883, S. 1). Die Wortvorstellungen sind »Vorstellungen von jenen Nervenimpulsen, welche wir zu[808] den Sprechmuskeln senden müssen, um die Worte wirklich zu sprechen« (Studien über d. Sprachvorstellungen 1880).

Daß das Wort ursprünglich schon ein Satz (s. d.) sei, lehren WAITZ (Anthropol. d. Naturvölk. I, 272), Fa. MÜLLER (Sprachwissensch. I, 49), M. MÜLLER (Denken im Lichte der Sprache, S. 402, 504 ff.), ROMANES (Geist. Entwickl. S. 170), STEINTHAL (Einl. in d. Psychol. I, 396 ff.), W. JERUSALEM (Urteilsfunct. S. 102), JESPERSEN, WUNDT (S. Sprache) (vgl. Völkerpsychol. I 2, 240). dagegen DELBRÜCK, welcher in den Wurzeln die Sprachelemente sieht. Die Wurzel ist das »ideale Bedeutungscentrum« eines Wortes (vgl. HELLPACH Grenzwiss. d. Psychol. S. 461). Vgl. ABEL, Der Gegensinn d. Worte. BACKHAUS, Das Wesen d. Humors, S. 177 ff. – Vgl. Namen, Sprache, Satz, Begriff, Terminus, Verbum mentis, Logos.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 807-809.
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