[223] Sophisten (die) hießen bei den alten Griechen in der Wissenschaft und für das Leben hochgebildete Männer, welche vom Lehren der Wissenschaft Profession machten, und dabei dem Geiste der Zeit gemäß durchaus praktische Tendenzen verfolgten, sodaß sie die Wissenschaft nicht nur einzig um ihrer selbst willen lehrten, sondern namentlich um durch dieselbe eine Bedeutsamkeit im Leben, namentlich im politischen, zu erlangen. In den republikanischen Staaten Griechenlands war nämlich das allgemeine Streben auf politische Bedeutsamkeit gerichtet, und gemäß der republikanischen Verfassung konnte man diese am leichtesten dadurch erlangen, daß man sich vor seinen Mitbürgern durch Bildung auszeichnete, um bei den öffentlichen Zusammenkünften, dieselben mochten sich nun auf das Regierungswesen oder auf die Gerechtigkeitspflege beziehen, seine Ansicht geltend zu machen. Eine der wichtigsten Geschicklichkeiten zur Erreichung dieses Zwecks war die Beredtsamkeit, und in ihr zeichneten sich daher auch die Sophisten vorzüglich aus, sowie sie besonders in ihr als Lehrer geschätzt wurden. Eine Trennung der Wissenschaften, wie sie jetzt eingeführt ist, kannte das alte Griechenland überhaupt nicht, und daher umfaßte auch die sophistische Bildung jeden Zweig der Wissenschaft. Den republikanischen Ansichten und Sitten Griechenlands gemäß, galt es aber im Allgemeinen für eines freien Mannes unwürdig, einem Andern für Geld in irgend einer Art Dienste zu leisten, und da man zumal Kunst und Wissenschaft als die schönsten Zierden des freien Menschen anerkannte, so wurden die Sophisten, welche sich den Unterricht in diesen bezahlen ließen, als Solche betrachtet, die sich aus Gewinnsucht zu einem des freien Mannes unwürdigen Thun verleiten ließen, obschon sie selbst am geeignetsten wären, die Würde desselben aufrecht zu erhalten. So allgemein man sie daher auch benutzte, ebenso allgemein verachtete man sie auch ihrer Gewinnsucht wegen. In späterer Zeit hat man sie dagegen nicht sowol aus dem eben angeführten Grunde zum Gegenstande der Verachtung gemacht, als vielmehr darum, weil sie einer eigenthümlichen geistigen Richtung angehörten, welche damals durchaus zeitgemäß war, aber unleugbar zum Verderben Griechenlands wesentlich beigetragen hat, und noch gegenwärtig zum Verderben im Staate und Volke gereicht, wo sie zur Herrschaft zu gelangen vermag. Nachdem nämlich in der Philosophie (zuerst durch Anaxagoras) der Geist oder richtiger der Gedanke als das Wesen der Dinge anerkannt worden war, so nahmen die Sophisten zunächst den subjectiven Geist, den Geist, wie er den einzelnen Menschen inwohnt, als das Princip von Allem an, und sprachen daher den »Menschen als das Maß aller Dinge« aus. Sie waren noch nicht soweit vorgedrungen, zu erkennen, daß der Mensch erst durch wissenschaftliche oder religiöse Bildung dahin gelange und dahin streben müsse, dem Geiste, an welchem die Welt nach ihrem ganzen äußerlichen und sittlichen Dasein den Grund ihres Wesens hat, gemäß zu werden, sondern meinten, daß, wie der Mensch die Welt anschaue, so sei sie auch, und die Bildung lehre nur, wie der Mensch die Welt unter allen Verhältnissen auf die ihm vortheilhafteste Weise anzuschauen habe. Daher kam es denn, daß sie namentlich auch in dem sittlichen Leben keine allgemein geltenden Gesetze der Vernunft anerkannten, sondern in Sitten und Gesetzen auch nichts Anderes als Einrichtungen sahen, die zum Vortheil der Gewalthaber eingesetzt wären. Indem sie nun den Einzelnen geschickt machten, sowol zu wissen, was ihm unter den eben bestehenden Verhältnissen vortheilhaft sei, als auch Andere zu seiner Ansicht zu bereden, so setzten sie an die Stelle einer mit göttlichem Ansehen herrschenden Sitte die Willkür und den Vortheil des Einzelnen, und machten dadurch allerdings den Staat aus einem in seinen Gliedern sich selbst beherrschenden, nach ewiger Vernunft geordneten Ganzen zu einem vielköpfigen Ungeheuer, in welchem eine genuß- und herrschsüchtige, zum Theil lasterhafte Menge um den Einfluß und die Macht wetteiferte, und indem Jeder sich selbst geltend zu machen suchte, seine Nebenbuhler und damit den ganzen Staat in das Verderben stürzte. Die Sophisten wußten selbst recht wohl, daß sie die Willkür zum Princip machten, denn sie rühmten sich, Alles beweisen zu können, was verlangt würde, ja auch das Gegentheil von Dem, was sie eben dargethan, beweisen zu können. Einer der berühmtesten Sophisten war Protagoras aus Abdera, welcher um 440 v. Chr. lebte und sich als Lehrer große Reichthümer erwarb. Nicht minder angesehen war Gorgias aus Leontion, welcher um 430 v. Chr. blühte und sich vor allen übrigen Sophisten durch Scharfsinn auszeichnete. Er schrieb nicht nur Prunkreden, sondern auch streng wissenschaftliche Werke. Dabei sammelte er große Reichthümer, lebte jedoch sehr mäßig, sodaß er ein hohes Alter erreichte. Mit scharfer Dialektik suchte er in einem noch in Bruchstücken erhaltenen Werke darzuthun: daß Nichts sei; daß, wenn auch etwas sei, es dem Menschen doch unbegreiflich wäre; endlich, daß, wenn es ihm auch begreiflich wäre, es ihm doch unaussprechlich wäre. Man sieht hieraus, daß Gorgias die Zuverlässigkeit aller Erkenntniß bestritt. Wenn die erwähnten ein wissenschaftliches Interesse darbieten, so sind dagegen andere Sophisten nur als Beispiele anzuführen, wie weit der Übermuth derselben ging. So sprach Kallikles die Meinung aus, die Gesetze seien nur von der Menge der Schwachen und Elenden zu ihrem Nutzen und zum Schutze gegen kräftigere Naturen gegeben, und Trasymachos definirte dagegen das Gerechte als das dem Stärkern Zuträgliche und leitete die Gesetze von der Willkür der Machthaber ab; Diagoras leugnete das Dasein eines Gottes, und Kritias, einer der dreißig Tyrannen zu Athen, sagte: die alten [223] Gesetzgeber hätten den Gott als einen Aufseher über die menschlichen Gutthaten und Missethaten ausgedacht, um durch die Furcht vor ihm die Menschen im Zaum zu halten. Als durch vielseitige Bildung ausgezeichnet ist noch Hippias aus Elea zu nennen, und durch philosophischen Sinn zeichnete sich Prodikus aus Keos aus. Den Sophisten entgegen stellte sich zunächst Sokrates (s.d.), welcher zuerst bestritt, daß der Mensch, wie er eben sei, das Maß der Dinge sei, sondern die Bildung zur Aufgabe des Menschen machte, durch welche er erst befähigt werde, das Gute, welches nicht das nur Zulängliche, sondern überall und immer nur Eines, zu erkennen und zu begreifen. Wissenschaftlich vollkommen überwunden und für immer widerlegt wurde die Sophistik durch Platon (s.d.) und Aristoteles (s.d.), welche zeigten, wie das Sein, von dem die Sophisten redeten, nur ein relatives, ein bloßer Schein wäre, und daß es die Wissenschaft nicht mit diesem, sondern mit dem über allen Schein erhabenen, von aller Beziehung auf das einzelne Subject befreiten Sein der Dinge als Gegenstand der Erkenntniß zu thun hätte. – Man nennt gegenwärtig noch einen Menschen, welcher, wie die Sophisten, seinen Verstand anwendet, das eben nur unter den bestehenden Verhältnissen Vortheilhafte als das auch Wirkliche zu beweisen, um Andere zu seinem Vortheile zu bereden, einen Sophisten, und spricht in dieser Beziehung von sophistischen Reden, Spitzfindigkeiten u.s.w.