Tätigkeit

[481] Tätigkeit (Action, s. d.) ist Willenshandlung, Willenswirkung, im weiteren Sinne alles Geschehen, das als spontane Äußerung eines relativ selbständigen Wirkungscentrums zu denken ist. Der Begriff der Tätigkeit, des Tuns hat seine Quelle in der Willensfunction, welche in Gefühlen der Activität, des Tätigseins sich bekundet. in solcher Tätigkeit kommt die Natur des Ich in verschiedenem Maße und Grade zum Ausdruck. Das Ich (s. d.) ist das Subject (s. d.) der geistigen, der Willenstätigkeit, und so fordert es auch für jede objective Tätigkeit ein Subject (s. Substanz). In der Außenwelt ist, rein empirisch, nur »geschehen«, Tätigkeit introjicieren (s. d.) wir erst in die Objecte, durch die Erfahrung selbst motiviert.

Die Scholastiker bezeichnen die Tätigkeit als »actus secundus«, »operatio« (s. Action, Handlung). Nach THOMAS ist die Tätigkeit »ultimus actus operandis« (Sum. th. I. II, 3, 2 c). Es gibt »operatio transiens« und »immanens« (l. c. I, 14), »exterior«, »intrinseca«, »intellectualis« (l. c. I, 14, 5 ad 3). »Actio cuiuslibet rei sequitur naturam ipsius« (Contr. gent. IV, 7). »Actio est illatio eius quod est actus in id quod agitur, secundum quod est in agente et non secundum quod est in acto« (Sum. th. I, 53).

Nach CAMPANELLA ist »actio« »potentiae actus effusivus similitudinis causae agentis in patientem« (Dial. I, 6). »Operatio est perennis actus habitualis internae virtutis conservans essentiam in sua existentia propter se editus et non in aliud, ut motus ignis et quies terrae« (ib.). – Nach GOCLEN ist »actio« »applicatio agentis ad patiens, qua fit mutatio aliqua in patiente« (Lex philos. p. 37). MICRAELIUS erklärt: »Actio est, per quod actuatur aliqua potentia activa. Est enim ultimus actus potentiae activae ab ipsa dimanans« (Lex. philos. p. 25 squ.). »Actio materialis seu realis est, qua quid agit producendo rem aliquam.« »Actio spiritualis seu intentionalis est, qua quid producit sibi imaginem vel speciem, tanquam signum rei« (l. c. p. 27). LEIBNIZ setzt daß Wesen der Substanz (s. d.) in Kraft und Tätigkeit. Action ist »exercise de la perfection«. Tätigkeit ist in der Spontaneität des Handelns, eigentliche[481] Tätigkeit im klar bewußten Vorstellen. »On peut dire que le corps agit, quand il y a de la spontanéité dans son changement« (Nouv. Ess. II, ch. 21). »Il n'y a de l'action dans les véritables substances, que lorsque leur perception... se développe et devient plus distincte, comme il n'y a de passion que lorsqu'elle devient plus confuse« (Nouv. Ess. II, ch. 21, § 72). Absolut untätig ist nichts in der Natur, es gibt keine »masses vaines, inutiles« (Gerh. IV, 495). Nach CHR. WOLF ist »actio« »mutatio status, cuius ratio continetur in subiecto quod eundem mutat« (Ontolog. § 713). »Eine Veränderung, davon der Grund in der Sache anzutreffen, die verändert wird, heißet man eine Tat oder ein Tun« (Vern. Ged. I, §104), Nach PLATNER ist Tätigkeit »die Bestrebung des Willens zu der Belebung oder Vernichtung einer Idee, geäußert durch willkürliche Bewegungen« (Philos. Aphor. II, § 484). Nach VOLTAIRE gibt es ein »principe d'action«: »Tout est en mouvement, tout agit et tout réagit dans la nature« (Princ. d'act. I, 119).

Nach BOUTERWEK ist Tätigkeit das »Resultat der Bestrebungen, sofern sie ihren Gegenstand wirklich überwinden und verändern« (Apod. II, 33). Nach J. G. FICHTE ist das Ich (s. d.) »absolute Tätigkeit und nichts als Tätigkeit« (Syst. d. Sittenl. S. 131. vgl. Actualitätstheorie). Nach LICHTENFELS zerfällt die psychische Tätigkeit formal in ein ursprünglich unbestimmtes Streben und in dessen bestimmte Wirksamkeiten (Gr. d. Psychol. S. 14). Nach CHR. KRAUSE ist Tun »sich auf irgend eine Weise zeitlich als Grund verhalten« (Vorles. S. 128). Der Geist ist reine Tätigkeit (Urb. d. Menschh.3, S. 10). Nach TH. RITTER u. a. ist »Tätigkeit« aus dem Ich auf die Dinge übertragen (Syst. d. Log. u. Met. I, 273. Abr. d. philos. Log.2, S. 36). Nach BENEKE übt die Seele bei allem, was in ihr vorgeht, eine gewisse Tätigkeit aus (Neue Psychol. S. 207 ff.. vgl. LOTZE, Mikrok. II2, 151, 239).

Nach L. KNAPP geht alle menschliche Tätigkeit auf die »Einheit des Denkens und der Wirklichkeit« (Syst. d. Rechtsphilos. S. 131). HAGEMANN erklärt (in scholastischer Weise): »Die Tätigkeiten sind... entweder intransitive oder transitive. Jene gehen über das tätige Subject nicht hinaus. es sind verschiedene Zuständlichkeiten, in welche sich das Subject selbst versetzt. Diese gehen über das tätige Subject hinaus und sind auf ein Object gerichtet« (Met.2 S. 44). – REHMKE versteht unter psychischer Tätigkeit das »Bedingungsein« der Seele (Allg. Psychol. S. 353 ff., 482). Bedingung jedes Seelenaugenblickes ist ein concretes, ewiges, schöpferisches Bewußtsein. »Kein Seelenaugenblick ohne Subjectsmoment« (l. c. S. 464). Die verschiedenen Bedeutungen von »Tätigkeiten« hält SCHUPPE auseinander: »In einem ersten Sinne fällt Tätigkeit mit dem.. Sinne der Verbalprädication zusammen, geht also in jener auf dem Causalitätsprincip beruhenden engsten und innigsten Verknüpfung oder Zusammengehörigkeit einer Erscheinung mit dem Subjecte auf. In diesem Sinne bezeichnet jede Verbalform eine Tätigkeit, auch das Leiden, das Verharren und Ruhen und das bloße Sein.« »Unter Voraussetzung dieses Sinnes gewinnt Tätigkeit, zweitens, eine speciellere Bedeutung als wahrnehmbare Veränderung, sei es des Ortes, sei es der Qualitäten, gegenüber dem Verharren und der Ruhe.« »Wenn, drittens, die Tätigkeit dem Leiden gegenübersteht, so ist der Gegensatz dieser Begriffe nicht Sache der Sinneswahrnehmung... Im Übrigen ist es die das Ding selbst ausmachende Gesetzlichkeit, welche seine Veränderungen als seine Tätigkeit erscheinen läßt, während es alles dasjenige erleidet, was den seiner eigenen Natur entspringenden Verlauf seiner Entwicklung und Lebensäußerungen[482] stört, ihm also von außen durch zufälliges Zusammentreffen widerfährt« (Log. S. 141). »Wiederum unter Voraussetzung der ersten Bedeutung finden wir eine vierte in der bloßen Causalbeziehung, indem eine Erscheinung einem Subjecte als seine Wirkung zugeschrieben oder von ihm bewirkt behauptet wird.« »Wenn, fünftens, Denken, Fühlen und Wollen als eigenartige Tätigkeiten gedacht werden, so ist zunächst nur offenbar, daß das Auftreten dieser Regungen im Bewußtsein in dem Sinne der Verbalprädication mit dem Subjecte verbunden ist, freilich aber um so viel enger und inniger, als das Subject, von welchem sie ausgesagt werden, eben das Ichding ist und als die Einheit dieses Dinges sich von der Einheit jedes andern, eines Steines, eines Tieres oder Gerätes, unterscheidet. Von einer Tätigkeit im engeren Sinne..., durch welche diese Inhalte im Bewußtsein erst hervorgebracht würden und welche erkennen ließen, wie es eigentlich die Seele mache, solches wie einen Gedanken, ein Gefühl, einen Willensact in sich entstehen zu lassen, kann keine Rede sein« (l. c. S. 142). Nach SCHUBERT-SOLDERN ist Tätigkeit kat' exochên »nur jene causale Beziehung, die zwischen Bewegungen unseres Leibes und Veränderungen der Dinge als ihrer Folge besteht« (Gr. ein. Erk. S. 143). Unter dem »individuellen Actionscomplex« versteht R. AVENARIUS den Complex von E-Werten (s. d.), als dessen Complementärbedingung die »Erfolgsbewegung« anzunehmen ist (Krit. d. rein. Erfahr. II, 156). – Nach WUNDT wird im Moment des Eintritts der Willenshandlung (s. d.) ein »Gefühl der Tätigkeit« rege, das bei den äußeren Willenshandlungen in den die Bewegung begleitenden Spannungsempfindungen sein Substrat hat. »Dieses Gefühl der Tätigkeit ist von ausgeprägt erregender Beschaffenheit, und es kann nach den besonderen Willensmotiven in wechselnder Weise von Lust- oder Unlustelementen begleitet sein, die im Verlauf der Handlung sich verändern und einander ablösen können. Als Totalgefühl ist das Tätigkeitsgefühl ein auf- und absteigender zeitlicher Vorgang, der sich über den ganzen Verlauf der Handlung erstreckt« (Gr. d. Psychol.5, S. 226. vgl. Apperception). Die Wirklichkeitseinheiten sind nicht Substanzen (s. d.), sondern »substanzerzeugende Tätigkeiten« (s. Object, Actualitätstheorie). Vgl. SIGWART, Log. I2, 30 ff., 70 ff. – Vgl. Activität, Leiden, Passio, Spontaneität, Handlung, Wille, Actualitätstheorie, Werden.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 481-483.
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