[715] Weisheit (sophia, sapientia) ist jenes Maß von theoretisch-praktischem Wissen, welches zu einer möglichst vollkommenen, rationellen Lebensführung befähigt. – Der »Weise« ist das Ideal der indischen Philosophie, er ist auch das Ideal der Stoiker. Er ist vollkommen, hat alle Tugend, ist frei, gleicht dem Gotte (vgl. Seneca, De prov. l. Plut., Adv. Stoic. rep. 33). – Das »Buch der Weisheit« bezeichnet die Weisheit (sophia, hagion pneuma) als »das Hauchen der göttlichen Kraft« (Weish. 7, 25 f.). Die Weisheit Gottes ist vor allen Dingen. Das Wort Gottes ist der Brunnen der Weisheit, das ewige Gebot ihre Quelle[715] (Jes. Sir. 1, 4 f.). Nach BASILIDES emaniert die Sophia (s. d.) mit der »Dynamis« aus dem Logos bezw. der Phronesis (bei Iren. II, 24, 3). – THOMAS bestimmt: »Sapientia in cognitione altissimarum causarum consistit« (Contr. gent I, 94). »Sapiens« ist einer, »inquantum ordinat humanos actus ad debitum finem« (l. c. I, 1. Sum. th. I, 1, 6. vgl. AUGUSTINUS, De lib. arb. II, 9, 26). Nach LEIBNIZ ist die Weisheit »eine vollkommene Wissenschaft aller derjenigen Sachen, die menschliches Gemüt nur ergreifen kann« (Gerh. VII, 90). Nach CHR. WOLF ist sie »eine Wissenschaft, die Absichten dergestalt einzurichten, daß eine ein Mittel der andern wird, und hinwiederum dergleichen Mittel zu erwählen, die uns zu unseren Absichten führen« (Vern. Ged, I, § 914). KANT definiert: »Weisheit... ist die Zusammenstimmung des Willens zum Endzweck, dem höchsten Gut« (Verkünd. d. nah. Abschl. ein. Tract. zum ewig. Fried. in d. Philos. 1. Abschn., S. 87. vgl. W. ROSENKRANTZ, Wiss. d. Wiss. I, 5). – SCHOPENHAUER erklärt: »Weisheit scheint mir nicht bloß theoretische, sondern auch praktische Vollkommenheit zu bezeichnen. Ich würde sie definieren als die vollendete, richtige Erkenntnis der Dinge, im ganzen und allgemeinen, die den Menschen so völlig durchdrungen hat, daß sie nun auch in seinem Handeln hervortritt, indem sie sein Tun überall leitet« (Parerg. II, § 351). GUTBERLET bestimmt: »Unter Weisheit versteht man einen sehr hohen Grad der Vollkommenheit im Erkennen« (Log. u. Erk. S. 1). SIDGWICK erklärt: »Wisdom is the faculty and habit of choosing the best means to the best ends« (Meth. of Eth.3, p. 328). Vgl. Sophia, Philosophie, Wissen, Besonnenheit.