Epistolae obscurorum virorum

[154] Epistolae obscurorum virorum. Sie sind hervorgegangen aus dem langjährigen Streite Reuchlins mit den Kölner Theologen. Der getaufte Jude Pfefferkorn, ein widerwärtiger, unsauberer Mensch, dem die Bekehrung seiner ehemaligen Glaubensgenossen durch Ermahnung misslungen war, hatte im Jahre 1509 Obrigkeiten und Volk zu gewaltsamer Bekehrung oder Vertreibung der Juden und zur Verbrennung ihrer Bücher aufgefordert. Die Angelegenheit kam an den Kaiser, der vorerst vom Dominikanerprior und Ketzermeister Jacob Hochstraten zu Köln, vom ehemaligen Rabbiner Victor von Carben, von Reuchlin und von den Universitäten zu Köln, Mainz, Erfurt und Heidelberg Gutachten abforderte. Als Reuchlin sich im Gegensatz zu den übrigen judenfeindlichen Gutachten dahin aussprach, »dass man der Juden Bücher nicht solle verbrennen, sondern sie durch vernünftige Disputationen sanftmütig und gütlich zu unserem Glauben mit der Hilfe Gottes überreden«, begann Pfefferkorn öffentlich gegen Reuchlin aufzutreten; Reuchlin antwortete: Briefe, Gutachten, Schriften der verschiedensten Art in Prosa und Versen, in lateinischer und deutscher Sprache wurden gewechselt, und besonders der Kreis der deutschen Humanisten betrachtete die Angelegenheit als eine öffentliche Sache der Bildung und Wahrheit gegen Dummheit und Pfaffenstolz. Papst Leo X. schlug endlich den Prozess, nachdem ein besonderes Gericht sich für Reuchlin entschieden hatte, nieder. Im Gegensatze nun zu einer Sammlung von Briefen berühmter Humanisten an Reuchlin, die der Empfänger im Jahr 1514 unter dem Titel Clarorum virorum Epistolae hebraicae, graecae et latinae ad Jo. Reuchlinum herausgegeben hatte, damit man sehe, wie alle[154] hell und gut Denkenden in Deutschland und Italien sich um ihn scharten, erschien im Herbst 1515 ein Buch: Epistolae obscurorum virorum, 41 Briefe enthaltend; zweimal wiederholt 1516, das zweitemal mit einem Anhang von 7 Briefen; ein zweiter Teil mit 62 Briefen kam 1517 heraus, wozu in der zweiten Ausgabe nochmals ein Anhang von 8 Briefen trat. Die Briefe sind an Ortuinus Gratius, (Ortwin de Graes), Lehrer und Poet an der Kölner Schule, den lateinischen Handlanger und poetischen Schildhalter der Kölner Theologen, gerichtet, die Briefschreiber sind die Magister und Baccalaurei Genselinus, Caprimulgius, Scherschleiferius, Dollenkopfius, Mistladerius u. dgl., einigemal auch die Kölner Theologen selber. Die Polemik liegt vornehmlich in dem scheusslichen Mönchslatein und in der naiv-dummen Denkart der Schreiber. Über die Verfasser der Briefe ist Sicheres nicht auszumitteln. Nach Strauss stammt der erste Teil wesentlich aus der Feder des Johann Crotus Subianus, eigentlich Johann Jäger, um 1480 in dem thüringischen Flecken Dornheim bei Arnstadt geboren. Er studierte in Erfurt und Köln und war ein Mensch von grosser Begabung und namentlich in hohem Masse witzig. Nachdem er eine Zeit lang Lehrer an der Klosterschule zu Fulda gewesen war, kehrte er nach Erfurt zurück. Er war ein treuer Freund Huttens und trat auch offen auf Luthers Seite über, freilich ohne dabeizubleiben; die letzten Jahre seines wechselvollen Lebens sind gänzlich in Dunkel gehüllt. An der Abfassung des Anhangs zum ersten Teile und der Briefe des zweiten Teiles hat ohne Zweifel Hutten hervorragenden Anteil, ohne dass sich das Mass des Anteils näher bestimmen liesse. Andere Verfasser meint man in Hermann von dem Busche, Hermann von Nuenar, Eoban Hesse und Petrejus Eberbach finden zu können. Die ausserordentlich schnelle Verbreitung der Briefe dauerte bloss bis zu dem Augenblicke, wo seit 1518 das Interesse der Zeit gänzlich in der Reformationssache aufging. Siehe Strauss, Hutten; der Text der Briefe in Huttens Werken von Böcking.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 154-155.
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