Ernst, Herzog

[159] Ernst, Herzog, ist in der Sage der Sohn einer bairischen Herzogin Adelheit, welche mit Einwilligung eben dieses Sohnes Kaiser Otto den Roten heiratet. Durch den Pfalzgrafen Heinrich wird Ernst bei seinem Stiefvater verleumdet und daraufhin seiner Güter entsetzt; eine Fehde entbrennt, und Ernst erschlägt seinen Verleumder im Palaste des Kaisers; darauf flieht er in Begleitung seines treuen Dienstmannen, des Grafen Wetzel, als Kreuzfahrer nach Jerusalem. Auf der Fahrt gelangt er zu einer einsamen, prächtigen, menschenleeren Burg voller Lebensmittel. Während die Kreuzfahrer sich hier gütlich thun, reitet ein seltsames Volk heran, in weissen Kleidern, langen Hälsen und schmalen Schnäbeln wie Kraniche, in ihrer Mitte eine aus Indien geraubte[159] Jungfrau führend, die wie eine betaute Rose unter Thränen einhergeht. Herzog Ernst und seine Mannen fallen über das Schnabelvieh her, ohne die Jungfrau erretten zu können. Sie ziehen weiter, kommen ins Lebermeer an den Magnetberg; nachdem sein Schiff hier gestrandet, lässt er sich von Greifen auf einen fernen Felsen tragen. Dann kommt er zu den Arimaspen, die nur ein Auge haben, streitet für deren König gegen die Plattfüsse, die zum Schutze vor Unwetter ihre Füsse wie Schirme über sich ausbreiten, und gegen die Langohren, die ihre Ohren als Kleidung brauchen. Nach anderen wunderbaren Abenteuern kommt er endlich nach Jerusalem, wo er grosse Thaten zum Heile der Christenheit vollführt; der Ruhm seiner Thaten zum Heile der Christenheit besänftigt den zürnenden Kaiser und Stiefvater, er kehrt zurück und erhält Frieden und Verzeihung.

Der Stoff dieser Sage zerfällt in zwei Teile: deren erster enthält volksmässig epische Erinnerungen an Herzog Ernst II. von Schwaben, der sich gegen seinen Stiefvater Konrad II auflehnte und trotz der Verwendung seiner Mutter Gisela samt seinem treuen Freunde, dem Grafen Werner von Kiburg, den Untergang fand; vermischt und durchsetzt mit älteren Erinnerungen an die Geschichte Ludolfs von Schwaben, Stiefsohn der Königin Adelheid, Aufrührers gegen seinen Vater Otto I. und Feindes seines Oheims, Heinrich von Baiern. Der andere Teil, die Heerfahrten, enthält morgenländische Sagen und Fabeln der antiken Weltbeschreibung, die durch die Kreuzzüge entweder erst bekannt oder zu neuer Teilnahme geweckt worden waren.

Die Sage von Herzog Ernst erscheint in den verschiedensten Formen; im 12. Jahrhundert bearbeitete sie ein Fahrender, dem im 13. und 15. Jahrh. Überarbeiter folgten, dazwischen lateinische Bearbeitungen in Prosa und Vers. Der Bänkelsänger, der den Stoff im 15. Jahrh. in der sog. Bernerweise bearbeitete, gab Veranlassung, diese Melodie Herzog Ernsts Ton zu nennen. Endlich wurde gegen Ende des 15. Jahrh. aus der lateinischen Prosa ein deutscher Roman gemacht, der nun unter die Volksbücher geriet.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 159-160.
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