Freia, Fria, Frigg

[224] Freia, Fria, Frigg. Die germanische Göttermutter entsteht aus der Naturbedeutung der nährenden Wolke, der strahlenden Sonne und der fruchttragenden Erde, namentlich aus der ersten dieser drei Bedeutungen; die Wolkenfrau ist des Sturmgottes Gemahlin; mit ihr sind dann Vorstellungen von den leuchtenden Frauen der Morgenröte und Sonne zusammengeflossen, und die Vorstellung der Wolkengöttin im Getreidefeld bringt sie der Erdgöttin nahe. Dass aber ihre Naturbedeutung früh durch ethische Gedanken vergeistigt worden ist, bezeugt ihr ältester Name, Frîia, Frîa, Frêa, d.h. die Liebende, Freundliche. Neben diesen Namen erscheint aber auch die niederdeutsche, verdichtete Form desselben Wortes, Frikka. Sie entnimmt ihre ethischen Züge dem Walten der deutschen Frau und Mutter, der Herrscherin auf dem Hofe; wie diese spinnt und wirkt und webt sie und hält Aufsicht über die Knechte, Mägde und Kinder. Auf der Hausfrau ruht die Behaglichkeit und das Glück des Hauses. Im Meetsaale sitzt sie, goldgeschmückt, mit leuchtender Augenbraue, des Mannes Bankgenossin, obenan. Vom Rat und Ausspruch der Frauen machte der Germane oft den Beginn des Kampfes abhängig; einzelne Frauen standen als Beraterinnen ganzer Völker in fast göttlichem Ansehen. Schon im 4. Jahrhundert erhielt der sechste Wochentag, dies Veneris, nach Frîa, den Namen Frîatac, Frigetac, Freitag. Als Göttin der sturmgejagten Wolke erscheint Frîa als wilde Jägerin, die gleich Wodan zur Zeit der Wintersonnenwende nachts durch die Luft tobt; dann hält sie, wie später im Frühling, einen segnenden Umzug durchs Land. Sie geht von Haus zu Haus und schaut in die Stuben, ob die Mädchen den Flachs vom Spinnrocken gesponnen haben; ist das nicht geschehen, so verunreinigt sie das Gespinst. Gern hält sich die Göttin in Wäldern und unter Weidenbäumen auf; da sitzt sie am stillen See und spinnt und haspelt mit ihrem grossen Daumen, und all ihr Gespinst wird klares Gold. Wie Wodan seiner Gemahlin im Sturme nachjagt, so streift umgekehrt Frau Frîen, mit weisser Haube und weissem, langherabwallendem Gewande angethan, weinend und klagend über Berg und Thal, ihren Gemahl oder Freier zu suchen. Ihr eigentlicher Wohnsitz aber ist im Himmel. Als Himmelsgöttin trägt sie ein leuchtendes Halsgeschmeide, Brosingamene. Sie steht dem Ackerbau vor, wird als Führerin der wilden Jagd, die aus Seelen besteht, Todesgöttin, und wird ausserdem als Göttin der Ehe und der Geburt verehrt.

Ausser dem ältesten Namen Frîa, der in Ortsnamen überall in Deutschland und in der Volkssage der Ukermark und der Altmark heute noch fortlebt, führt die Göttin noch Beinamen, unter welchen sie in anderen Landschaften zum Teil mit besonderer Betonung einzelner Züge verehrt wird: In der Priegnitz und in Mecklenburg heisst sie Frau Hôde oder Hauden, in anderen Teilen der Mark Frau Hera oder Harke, in Thüringen, Hessen und Tirol Holda, im übrigen Oberdeutschland Bertha, auf altfränkischem Boden Hrôdsa.

Frau Hôde, Hauden oder Haue ist aus Wôda, der weiblichen Form von Wôdan entstanden. Ihre Gestalt ist weniger entwickelt als die der Hulda, Holda, Holle. Diese ist eine Frau von wunderbarer Schönheit mit langem, goldgelbem Haar, langem, weissem Gewand und Schleier. Sie sendet als Wolkengöttin Schnee und Regen. Wenn die weissen Schneeflocken fliegen,[224] sagt man, Frau Holle schütte die Federn ihres Bettes oder sie schlage ihren weissen Mantel auseinander. Auf einem prächtigen Schimmel reitet sie über Land und Wasser, Satteldecke und Gezäume mit silbernen Röllchen und Glöckchen besetzt. Ein Gefolge göttlicher Frauen und Jungfrauen, auf Katzen reitend, begleitet sie, oder das wütende Heer. Mit ihrem Gefolge schlägt sie ihren Wohnsitz in Bergen auf, aus denen sie nachts hervorstürmt, um am Morgen zu ihnen zurückzukehren. Das Innere des Berges, eigentlich der als Berg gedachten Wolke, die das glanzvolle Himmelsgewölbe bedeckt, sieht aus wie ein grosses, lichterhelltes Gewölbe. Im 15. Jahrhundert wurde dem gelehrten Zuge der Zeit gemäss dieser Berg zum Venusberg umgewandelt; hier hält sie durch ihren Zauber den Tannhäuser gefangen. Dem Wodan als Friedrich Barbarossa im Kyffhäuser steht Holda als Schaffnerin zur Seite. Wenn die Göttin mit dem wütenden Heere aus ihrem Berge herauszieht, schreitet ein alter Mann mit langem Barte und weissem Stabe vorauf, der treue Eckhart geheissen (siehe diesen Artikel).

Ein anderer Wohnsitz der Göttin, der ebenfalls von der Wolke seinen Ursprung hat, ist ein See oder Brunnen. Unter dem Wasser eines Brunnens besitzt Holda einen wunderlieblichen Garten, hier nimmt sie die Seelen der Verstorbenen in Empfang und sendet sie wiedergeboren als Kinderseelen auf die Erde zurück. Das ist der Ursprung der Sage vom Jungbrunnen oder Quickborn und des Glaubens, dass die neugeborenen Kinder aus dem Brunnen kommen. Hier holt sie der Storch, Adebar oder Odebar, welcher der Vogel der Freia ist. Vom Himmel herunter, aus den Wolken, bringt der Marienkäfer, das Herrgottspferd, die Seelen der Kinder, er heisst deshalb auch Sonnenkalb, Mondkalb, Sonnenhühnchen, Frauenkühlein.

In Oberdeutschland hat die germanische Göttermutter den Namen Bertha, Perahta, die Glänzende, angenommen. In ihrem Heere finden sich die Seelen der ungeborenen oder der ungetauft verstorbenen Kinder, in Thüringen Heimchen genannt. Mit diesen sorgt sie für die Fruchtbarkeit der Äcker. Ihr Tag, Perchtentag, fällt auf den 30. Dezember, den 2. oder 6. Januar, also jedenfalls in die Zwölfnächte. Stehende Festspeise in Thüringen ist dann ein Gericht von Fischen und Klössen oder Brei mit Heringen, was als eine uralte germanische Götterspeise galt; an andern Orten sind andere Festspeisen oder -gebäcke als Erinnerung an die alten Opfer gebräuchlich. Insofern die Göttin Bertha den Geist des Sterbenden empfängt, wird sie zur Todesgöttin. Umzüge der Frau Perch sind immer noch in Gebrauch. In der fränkischen Sage wurde Berchta als Ahnmutter der Menschheit oder des königlichen Geschlechtes aufgefasst. Bei den Franzosen und Italienern bezeichnet man seit alters das goldene Zeitalter mit dem Ausdrucke: als Bertha spann. Später hat sich diese Sage mit der Mutter Karls des Grossen, Bertrada, und der Neuburgundischen Königin Bertha vermischt. Als Ahnmutter fürstlicher Häuser geht sie als weisse Frau, weisse Dame um und verkündet ihren Nachkommen Glück oder Unglück; so in den Schlössern zu Berlin, Ansbach, Baireuth, Neuhaus und Rosenberg in Böhmen. In überaus zahlreichen Sagen wäscht die weisse Frau weisse Wäsche im See oder an Quellen oder in Brunnen und hängt sie bei Sonnen- oder Mondschein auf oder bleicht sie auf der Wiese.

In einigen sächsischen Gegenden hiess die Göttin Hera, in der Mark Herke oder Harke, in Thüringen[225] Frau Holle, im Harz die Haulemutter oder die Klagefrau, in Tirol Frau Stempe oder Stampa; Mutter Rosa heisst sie in einem Kinderspiel. In Süd- und Mitteldeutschland erscheint die weisse Frau als Urschel, Ursel, Orschel, Horsel, Ursula, von us, brennen, leuchten, weiss oder schwarz gekleidet, immer mit einem grossen Schlüsselbund am Gürtel; sie bewacht Schätze und will erlöst sein; auch den schwarzen Hund hat sie bei sich; bisweilen erscheint sie ohne Kopf. Diese Form der Göttin geht dann auf diejenige der verwünschten Burgfräulein über; diese erscheinen einzeln oder zwei, am häufigsten drei, in letzterem Falle oft die eine weiss, die andere halb schwarz, die dritte ganz schwarz; sie berühren sich ausser mit der Himmelsmutter mit der Todesgöttin Hel.

Viele Beziehungen und Züge der Freia als Himmelskönigin sind später auf Maria übergegangen; auch diese waltet in Donner und Blitz und wirft mit goldenen Kugeln. Die Marienfeste stehen in besonderer Beziehung zum Wetter und zu Heilkräutern, besonders Maria Kräuterweihe. Schon im Mittelalter wurde Maria um Regen angefleht; der Regenbogen ist der Saum ihres Gewandes, der Schnee das »Ingefieder« ihres Bettes; daher Marienschnee oder Maria im Schnee, Maria in nive oder ad nives der Name verschiedener, auf Bergen gelegener Wallfahrtskirchen. In vielen Sagen erscheint Maria als Spinnerin. Sie kommt wie Holle um die Weihnachtszeit des Nachts in die Häuser und sieht zu, ob in der Küche alles ordentlich ist. Die volkstümlichen Marienbilder haben wie Holda fast alle blondes Haar; ein der Freia gehörendes Farrenkraut heisst Mariengras; Marienflachs deutet auf die Spinnerin. Beiden Frauen, Holda und Maria, ist die Rose geweiht, Maria trocknet ihren Schleier gern auf Rosensträuchern. Der der Hulda gehörende Sommerkäfer, Sonnenkäfer, Sonnenkälbchen heisst auch Marienkäfer, Marienkühlein.

Als »Christkind« erscheint die Göttin am Weihnachtsabend zur Seite des Knechtes Ruprecht oder des Niklas oder Josephs, als weissgekleidete, verschleierte weibliche Gestalt; sie heisst auch Engel, Maria, Mutter Gottes, Frau Bertha, Frau Hulda, beschenkt die Kinder mit Äpfeln, vergoldeten Nüssen, oder straft sie mit der Rute. An manchen Orten kommt sie allein.

Auch als kriegerische Göttin tritt die Himmelsmutter unter dem Namen Hilde auf; in Bayern hiess Berchta auch Hildabertha.

In der skandinavischen Mythologie tritt die Göttermutter unter dem Namen Frigg, Freyja und Idhunn auf.

Frigg, entsprechend dem deutschen Frikke, ist die vornehmste der Asinnen, Herrscherin des Himmels und Odhins Hausfrau. Von ihr und dem Götterkönig ist das Göttergeschlecht entsprungen. Sie weiss alles, was sich begiebt, obwohl sie nicht davon redet. Sie spinnt auf goldenem Rocken. Kinderlose Leute flehen sie um Nachkommenschaft an. Ihre königlichen Dienerinnen sind Full oder Fulla, welche Friggs Schmuckkästchen trägt, ihres Schuhwerks wartet und teilnimmt an ihrem heimlichen Rate; Hlin oder Hlyn hat das Amt, die Menschen zu beschirmen, welche Frigg vor Gefahr behüten will; und Gna ist die Botin Friggs.

Freyja, got. Fraujô, ahd. frouwa, mhd. vrouwe, nhd. Frau, d.i. die Erfreuende, Frohe, die Herrin, ist ebenfalls nur eine Nebengestalt derselben Göttin. Sie gehört dem Wanengeschlechte an. Sie ist Freys Schwester und Njördhs Tochter. Sie schwebt in Falkengestalt durch die Lüfte oder wird von ihrem Eber mit den lohenden Borsten im Wagen gezogen. Gewöhnlich aber bilden zwei Katzen ihr Gespann. Auch ihre Brust bedeckt[226] der leuchtende Halsschmuck Brosingame. Sie ist Gebieterin der Valkyrien. Während die Himmelskönigin mehr das heilige Leben der Ehe beschirmt, nimmt Freyia sich vorzugsweise der zarten erblühenden Liebe an. Die dritte Gestalt, unter der die Himmelsmutter bei den Skandinaviern erscheint, ist Idhunn; in ihr sind die Himmelswasser oder die Wasser überhaupt in ihrer heilkräftigen Bedeutung personifiziert. Sie wohnt in Brunnakr, Brunnenfeld, und verwahrt Goldäpfel, deren Genuss den Göttern ewige Jugend und Unsterblichkeit verleiht. Nach Mannhardt, Götter, VIII, und Wuttke, Aberglaube, § 23 ff.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 224-227.
Lizenz:
Faksimiles:
224 | 225 | 226 | 227
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Buchempfehlung

Jean Paul

Selberlebensbeschreibung

Selberlebensbeschreibung

Schon der Titel, der auch damals kein geläufiges Synonym für »Autobiografie« war, zeigt den skurril humorvollen Stil des Autors Jean Paul, der in den letzten Jahren vor seiner Erblindung seine Jugenderinnerungen aufgeschrieben und in drei »Vorlesungen« angeordnet hat. »Ich bin ein Ich« stellt er dabei selbstbewußt fest.

56 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon