[299] Glosse, althochdeutsche, aus griechisch γλῶσσα = Zunge, Sprache, darnach lateinisch glossa, mhd. seit dem 12. Jahrhundert glôse = Auslegung, glosâr = Sammlung von glôsen, dazu glôsen und glôsieren = auslegen, deuten, bilden einen wertvollen Bestandteil der altdeutschen Litteratur. Sie beginnen mit den frühesten althochdeutschen Aufzeichnungen im 7. oder 8. Jahrhundert und erstrecken sich bis tief ins Mittelalter, an dessen Ende sie in umfassendere, alphabetisch geordnete Glossare übergehen, aus denen sich zuletzt die Wörterbücher entwickeln. Die altdeutschen Glossen sind von Mönchen und Geistlichen niedergeschrieben, worden, zum Zwecke kirchlicher und wissenschaftlicher Ausbildung. Bei den meisten ist daher das Latein die Hauptsache, und die neben die fremden Wörter gesetzten Verdeutschungen sollen nur die Erlernung des Latein und das Verständnis der glossierten lateinischen Schriften erleichtern. Ihrer Erscheinung nach sind die Glossen entweder Interlinearglossen oder Vokabularien. Interlinear- oder Marginal-Glossen sind Verdeutschungen einzelner Wörter, die sich zwischen den Zeilen oder an den Blatträndern lateinischer Schriften vorfinden, sowohl profaner als theologischer Art. Erscheint bei der Glossierung jedem einzelnen Worte des lateinischen Textes das entsprechende deutsche beigeschrieben, so hat man eine Interlinearversion. Die Vokabularien sind entweder alphabetisch oder sachlich geordnet, z.B. Ausdrücke auf Gott und göttliche Dinge bezüglich, auf Kirchen wesen, auf den Menschen, Gebäude, Geräte, Tiere, Pflanzen, Steine u.s.w. Manche Glossensammlungen bestehen aus wenigen Worten oder Zeilen, andere sind umfangreiche Arbeiten; ältere Vorlagen werden von späteren Schreibern immer wieder benutzt und umgemodelt. Am fruchtbarsten an Glossen war die St. Galler Klosterschule. Unter den glossierten Werken steht die Bibel obenan, von der man 100 glossierte Handschriften kennt, namentlich für die Genesis, die Evangelien und die Perikopen: auch alte Bibelkommentare von Ambrosius, Hieronymus, Beda, Rhabanus finden sich glossiert; sodann die Gedichte des Prudentius, eines christlichen Dichters des 4. Jahrhunderts mit 21, die Canones apostolorum et conciliorum mit 16 und das Liber pastoralis mit 17 deutsch-glossierten Handschriften. Von Interlinearversionen; sind zwei Denkmäler erhalten, die Benediktiner-Regel aus St. Gallen, die einem apokryphischen Mönche Kero zugeschrieben wird, und eine Anzahl Hymnen des Ambrosius. Von alphabetisch geordneten Glossaren sind besonders wertvoll die sog. Keronischen und die Salomonischen Glossen, beide aus St. Gallen stammend. Das jüngste Glossar dieser Gattung ist der Vocabularius optimus. Die althochdeutschen Glossen, herausgegeben von Steinmeyer und Sievers. 2 Bde. Berlin 187081. Zacher in Ersch und Gruber, Artikel Glossen, althochdeutsche.