[347] Griselda, Griseldis, heisst die Heldin der letzten Novelle in Boccaccios Decameron, deren Inhalt folgender ist: Markgraf Gualtieri von Saluzzo, von seinen Vasallen gedrängt sich zu verheiraten, nimmt Griselda, die Tochter eines armen Landmanns, zur Gemahlin. Als sie ihm eine Tochter geboren, lässt er ihr, um ihre Geduld und ihren Gehorsam zu prüfen, das Kind wegnehmen und macht sie glauben, er habe es töten lassen, während er es insgeheim zu seiner Schwester nach Bologna geschickt hat. Ebenso verfährt er mit dem zweiten Kind, einem Sohne, und beidemal fügt sich Griselda ohne Widerstreben und Murren. Nach dreizehnjähriger Ehe giebt der Markgraf vor, er habe vom Papst Dispens erhalten, sich von Griselda zu scheiden und eine andere ebenbürtige Gemahlin zn nehmen, und schickt Griselda im blossen Hemde zu ihrem Vater zurück. Bald aber lässt ihr der Markgraf wissen, sie möge an den Hof kommen, um für die bevorstehende Hochzeit alles herzurichten und die eingeladenen Damen zu empfangen. Griselda thut's und empfängt am Hochzeitstage die junge Braut. Nachdem man sich zu Tisch gesetzt, lässt Gualtieri Griselda zu sich rufen und fragt sie: »Nun was dünkt dir von Unserer neuen Gemahlin?« »Mein Gebieter, mir dünkt viel Gutes von ihr, und ist sie so verständig, als sie schön ist, und das glaube ich, so zweifle ich nicht, dass Ihr als der zufriedenste Herr mit ihr leben werdet. Doch, soviel ich kann, beschwöre ich Euch, erspart ihrem Herzen die Stiche, welche die andere, die einst Eure Gemahlin war, von Euch erhielt; denn ich glaube kaum, dass sie dieselben zu ertragen vermöchte, teils, weil sie jünger ist, teils, weil sie in Weichlichkeit erzogen ward, während jene von klein auf in beständigen Mühen gelebt hat.« Da entdeckte ihr Gualtieri, dass die angebliche junge Braut und ihr mit anwesender Bruder seine und ihre Kinder seien; und der Markgraf lebte noch lange mit Griselda glücklich und hielt sie in hohen Ehren.
Diese Novelle Boccaccios hat Petrarca frei in lateinischer Sprache nacherzählt, und diese Bearbeitung ist sowohl Volksbuch als die Quelle zahlreicher epischer und dramatischer Dichtungen in verschiedenen europäischen Litteraturen geworden.
In Deutschland blieb die Übersetzung der Griseldis des Petrarca durch Heinrich Steinhöwel für die letzten Jahrzehnte des 15. Jahrh. bis in die erste Hälfte des 17. Jahrh. Volksbuch, zuerst gedruckt zu Augsburg 1471 in Fol. durch Günther Zainer und später öfters. Neuere, ebenfalls zu Volksbüchern gewordene Übersetzungen sind: Markgraf Walther, von Johann Fiedlern, Dresden 1653, und die Übersetzung des Kapuziners Martinus von Cochem in »Auserlesenes Historybuch« Dillingen, 1687, auch einzeln unter dem Titel: Wunderbarer Demut- und Geduldspiegel, vorgestellt in der Gräfin Griseldis. Andere Übersetzungen hat man in niederdeutscher, französischer, niederländischer, englischer, dänischer, schwedischer, böhmischer Sprache. Poetische Bearbeitungen dieses Novellenstoffes kennt man ebenfalls aus zahlreichen europäischen[347] Litteraturen, z.B. aus Chaucers Canterbury Tales; in Deutschland ist es im 16. Jahrhundert dreimal als Komödie behandelt worden, darunter von Hans Sachs. Boccaccios Quelle ist bisher unbekannt geblieben. R. Köhler in Ersch u. Gruber, Artikel Griselda.