Holzschneidekunst

[429] Holzschneidekunst. Die Holzschneidekunst und der mit ihr verwandte Kupferstich versucht, im Gegensatz zur Malerei, nicht nur die Umrisse, sondern auch die Körperlichkeit mittelst blosser einfertiger Linien darzustellen.

Die Technik der Holzschneidekunst ist ihrem Prinzip nach äusserst einfach, wenn sie auch grosse Sorgfalt und viel Geschick erfordert. Als Objekt, auf welches die Zeichnung aufgetragen, resp. aus welchem die Zeichnung ausgeschnitten wird, dienen Tafeln von trockenem Buchs- oder Birnbaumholz, auf welche, nachdem sie gehörig geglättet und mit einem dünnen Überzuge von Kremnitzer Weiss versehen sind, die Zeichnung scharf und rein, natürlich verkehrt, aufgetragen wird. Ist dies vollendet, so ist es die Arbeit des Formschneiders, sämtliche Stellen, welche auf dem Abdruck weiss erscheinen sollen, herauszuschneiden. Dies geschieht mittelst äusserst feinen Messerchen. Befinden sich Gegenstände auf dem Bilde, welche hinter andere zurücktreten sollen, so wird die ganze Fläche, um die es sich[429] handelt, etwas vertieft, wodurch die Striche beim Abdruck in verminderter Stärke erscheinen. Den Abdruck der Holzplatten nahm man in den frühesten Zeiten mit Hilfe des Reibers vor. Das gefeuchtete Papier wurde auf die mit Farben bestrichene Holzplatte gelegt und nun die Rückseite des Papiers so lange gerieben, bis die Linien des Schnittes sich allmählich in das Papier eingepresst hatten. Als die Presse erfunden war, vollzog man den Abdruck natürlich durch gleichmässig wirkenden vertikalen Druck.

Wann, wie und von wem die Holzschneidekunst erfunden worden, weiss man nicht. Wahrscheinlich waren die ersten Vorbilder in den Stempeln gegeben, womit Urkunden und dergl. statt der Unterschrift bedruckt wurden. Andere wollen in den Spielkarten, deren Herkunft und Geburt ebenso dunkel ist, die Vorläufer der Holzschneidekunst erblicken, indessen stösst man schon in sehr alten Handschriften auf Initialen, welche sich mit überraschender Übereinstimmung wiederholen und deshalb auf Abdruck schliessen lassen, während gedruckte Spielkarten erst seit dem 15. Jahrhundert nachweisbar sind. Diejenigen aus früherer Zeit verraten ihre Vervielfältigung durch Schablonen. Der erste datierte Holzschnitt, den man kennt, stammt vom Jahre 1423. Auf demselben ist der heilige Christophorus abgebildet, wie er das Christuskind über den Fluss trägt. Eine Wiedergabe derselben siehe beim Artikel Christophorus. Der Holzschnitt ist in Schwarz mit breiten Linien gedruckt und koloriert. Daneben existiert eine hinlängliche Zahl von Blättern ohne Datum, welche dem Charakter der Zeichnung nach in die Zeit vor der Herrschaft des Van Eykschen Stiles gewiesen werden müssen. Kennzeichen sind, abgesehen von Stileigentümlichkeiten der Zeit, den geschwungenen (nicht gebrochenen) Falten der Gewänder: dicke Umrisse, sowie Mangel an Schraffierung, dafür aber in der Regel eine nachträgliche Kolorierung.

Das Zweitälteste datierte Denkmal besitzt die Hofbibliothek in Wien in dem Martyrium des heiligen Sebastian mit der Jahrzahl 1437. Aus derselben Zeit stammen noch eine Grosszahl von Schnitten, unter welchen namentlich illustrierte Ablasszettel und Neujahrskarten eine grosse Rolle spielen. Bei letzteren erscheint in der Regel das Christuskind mit einem Band in den Händen, worauf zu lesen ist: Ein gut sälig ior oder fil god jar und dage leben etc. Die Namen der Künstler fehlen im 14. Jahrhundert ganz und kommen auch in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts äusserst selten vor. Dagegen berichten die Zunftbücher von Nürnberg und Augsburg von Briefmalern, Illuministen und Formschneidern und führen die Namen auf. Die Bilder, welche die Zunftgenossen hinterlassen, sind meist roh und ungefüge und lassen nur zu deutlich durchblicken, dass der Handwerker vorderhand eben auch den zeichnenden Künstler ersetzen musste. Die rohe und grelle Bemalung bestätigt diese Ansicht vollauf.

Die zahlreichste Verwendung fand der Holzschnitt in dieser Zeit zur Herstellung einzelner Bilder, wie sie an Wallfahrtsorten den Gläubigen zum Kauf angeboten wurden. Allein diese einzelnen Blätter reihten sich oft zusammen zu ganzen Büchern, wo für jede einzelne Seite eine Tafel geschnitten wurde. Das sind die sogenannten Blockbücher, die Vorläufer der Buchdruckerkunst. Das älteste derselben datiert aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, es ist: »Das Buch der haymlichen offenbarungen Johanis«, welches sogar mehrere Auflagen erlebte.[430] Daneben spielt die »Ars memorandi«, worin das Evangelium durch das Symbol der Evangelisten bezeichnet ist und Ziffern die Stellen der Schrift andeuten, eine bedeutende Rolle. Sehr schöne Initialen weist das Mainzer Psalterium von Fust und Schöffer 1457 gedruckt auf. Neben solch' kirchlichen Büchern, die wir uns zum kleinsten Teil aus Text, zum weitaus grossen aus Bildern bestehend vorzustellen haben, erging sich die Holzschneidekunst in Darstellung von naturgeschichtlichen und anderen Werken aller Art.

In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts werden die Namen der Formschneider schon häufiger. Wir begegnen einem Meister Ludwig zu Ulm, einem Albert Pfister zu Nürnberg, der uns eine Armenbibel hinterlassen hat, einem Ulrich Han, Friedrich Walther, Hans Scherer etc. In den sogenannten Armenbibeln bestand jedes Blatt aus mehreren Feldern. Im Mittelfeld erscheint die fortlaufende Geschichte des Heilandes, während die Nebenfelder dasjenige aus dem alten Testamente veranschaulichen, was man als Symbol und Verkündigung des neuen anzusehen pflegte. Ja sogar Landkarten sind aus der Zeit des 15. Jahrhunderts auf uns gekommen. Sie tragen den Namen eines Johann Schnitzer von Arnszheim. In den: »heyligen reyssen gen Jherusalem«, illustriert von Erhard Rewich, liegt schon der Vorbote des kommenden Jahrhunderts, indem dort die Schatten nicht bloss durch parallele Striche hervorgebracht sind, sondern bereits Kreuzlagen in geschickter Behandlung auftreten.

Überhaupt war mit der Scheide des 15. und 16. Jahrhunderts der entscheidende Moment gekommen, wo die Holzschneidekunst in der Entwicklung der Malerei ein entscheidendes Wort mitzusprechen hatte und wo sie als eine wahre Kunst die grössten Künstler beschäftigen sollte. Schon gegen Ende des 15. Jahrhunderts vollzog sich eine folgenreiche Trennung von Kunst und Kunsthandwerk. Wesentlich günstig wirkt aber die Schwesterkunst, die Buchdruckerei, und besonders der durch dieselbe im Aufblühen begriffene Buchhandel ein. Als kunstsinnige Männer legten die grossen Buchhändler in Augsburg, Nürnberg, Basel etc. Wert auf gediegene Ausstattung ihrer Verlagsartikel, welche in der Regel eines künstlerischen Schmuckes nicht entbehren durften. Und zwar beschränkt sich dieser nicht auf die bildlichen Illustrationen, sondern erstreckt sich auch auf Titelumrahmungen, Randverzierungen, Initialen etc. Künstler ersten Ranges wendeten sich solchen Aufgaben zu und es ist wohl anzunehmen, dass die Künstler ihre Zeichnungen zuweilen auch selbst in Holz schnitten; allein zu vielen Sachen werden sie eben nur die Zeichnung geliefert haben.

Namentlich war es Nürnberg, wo der Holzschnitt von den ersten Künstlern gepflegt wurde. An der Spitze derselben steht vorerst Michael Wohlgemuth und sein Stiefsohn Pleydenwurff, welche in der Nürnberger grossen Chronik von Hartmann Schedel dem Holzschnitte ihre Aufmerksamkeit zuwandten. Zur höchsten Blüte gelangte der Holzschnitt unter Albrecht Dürer. Dürer hat wie wenig andere Meister die Wirklichkeit in allen ihren Äusserungen aufs Tiefste ergründet. Seine Heiligengestalten holt er sich aus seinen Nürnberger Mitbürgern heraus und bemüht sich nicht im geringsten, das Zufällige des gewöhnlichen alltäglichen Lebens abzustreifen. Seine Figuren wollen nirgends mehr scheinen, als was sie sind. Allerdings vermochte Dürer die Einflüsse der phantastischen Richtung seiner Zeit nicht von sich[431] fern zu halten. Sowohl in der Zeichnung der Köpfe und Hände, als auch anderer Teile zeigt sich oft eine knorrige willkürliche Manier und in jenem knitterigen unruhigen Faltenwurf erlag er dem Einfluss der Holzschnitzerei seiner Zeit. Allein so herb und abstossend auf den ersten Blick manches erscheint, so bewunderungswürdig ist gerade die Kraft, die schlichte Einfachheit der Linien, welche besonders seinen Holzschnitten innewohnt. Schon 1498 gab er die Apocalypsis cum figuris heraus, 1511 die grosse Passion und das Leben der Jungfrau. Dazwischen und nachher eine Menge einzelner Blätter. 1502 vollendete er die aus 92 Platten zusammengesetzte Ehrenpforte Maximilians, als deren Hauptmitarbeiter ein Jeronymus Andre erscheint. Von den Schülern Dürers ist vor allem Hans Schäufflein hervorzuheben, von dem eine Menge Bilder mit dem Monogramm H S vorhanden sind. Weiter sind zu nennen; Hans Springinklee, Goldenmund, Lautensack u.s.w.

Neben Nürnberg war es das reiche Augsburg, wo die Kunst kräftig emporwuchs. Hatten schon die beiden älteren Holbein der realistischen Kunst den Boden geebnet, so bewegte sich namentlich Hans Burgkmair in dieser Richtung als ein tüchtiger handfertiger Meister, von dem eine überaus grosse Zahl von Holzschnittwerken herrührt, unter welchen besonders diejenigen zum »Triumphzug Maximilians« und zum Weisskunig hervorgehoben sein mögen. Allein auch Augsburg erhielt einen Genius auf dem Gebiete der Malerei in dem jüngeren Hans Holbein, als dessen rechte Hand im Gebiete der Holzschneidekunst Hans Lützelberger erscheint. Besonders zeichnet sich der Totentanz aus, als in allem vorzüglich, was in Holzschnitt zu leisten ist.

In Regensburg begegnet uns der Maler Albrecht Altorfer (1480 bis 1538) und dessen Schüler Ostendorfer. Als Ausgänger der schwäbischen Schule sind zu nennen: Hans Baldurg Grien, welcher vor allen anderen ein meisterhaftes Spiel des Lichtes, in der Ausbildung des sogenannten Helldunkels, zustande brachte. Dieses Helldunkel oder Chiaroscura, welches von deutschen Künstlern schon sehr früh ausgeführt worden war, giebt dem Holzschnitt eine Farbe in verschiedenen Abtönungen, deren jede durch den Druck von einer anderen Platte bewerkstelligt wird. Nur die höchsten Lichter werden weiss ausgesperrt. Ein ungemein fruchtbarer Künstler des 16. Jahrhunderts war Jost Ammann, der 1539 in Zürich geboren wurde und 1591 in Nürnberg starb.

Endlich stellt sich als Ausläufer der fränkischen Schule ein Meister dar, der die Einflüsse derselben nach Sachsen überträgt und dort an der Spitze einer überaus handfertigen Schule thätig war: Lucas Cranach. Aus seiner Schule gingen zahlreiche Meister der Holzschneidekunst hervor, wie Schwarzenberg, Lucius, Leigel, Gottland, Brosamer und andere. Cranach war eifriger Anhänger der Reformation. Die erhabenen Anschauungen Dürers gingen ihm zwar ab, dafür ist ihm ein besonders gemütlicher, harmloser Zug eigen, der seinen Bildern eine volkstümliche Beliebtheit verschafft hat.

So war der Holzschnitt im 16. Jahrhundert zu höchster Blüte gelangt. Allein mancherlei Umstände vereinigten sich, um den Sturz der Holzschneidekunst zu bereiten und zu beschleunigen. Die grossen Meister starben und hinterliessen keine Erben, die Kunstfertigkeit sank wieder zum Handwerk herunter und das Publikum gewöhnte sich nach und Dach an die Vorstellung, dass der Holzschnitt ein rohes, verschmiertes Bild sein müsse. Der[432] 30 jährige Krieg war der Holzschneidekunst auch nicht gerade förderlich. Der Hauptfeind aber entstand derselben in dem emporblühenden Kupferstiche. Das Bessere war des Guten Feind. Die höhere Vollendung, welche man durch Grabstichel und Radiernadel damals den Kupferblättern zu verleihen glaubte und der Umstand, dass die Maler ihre Empfindungen schneller durch einige Züge der Nadel selbst schaffen und der Welt mitteilen konnten, veranlasste zunächst die Vernachlässigung des Holzschnittes. Er fristete zwar sein Leben noch bis ins 17. Jahrhundert hinein, wo uns namentlich in Paul Kreuzberger von Nürnberg ein achtbarer Künstler entgegentritt, allein im allgemeinen wurden die Holzschnitte nur mehr zum Bedrucken untergeordneter Stoffe benützt. Die Auferweckung der Holzschneidekunst war unserem Jahrhundert vorbehalten.

In den Niederlanden drang der Holzschnitt zuerst von Deutschland aus vor. Die Niederländer wollen zwar allerdings die Erfinder des Holzschnittes sein. So sollen schon im 13. Jahrhundert in Harlem Beeldesniders existiert haben, und der Streit bezüglich Erfindung der Buchdruckerkunst durch Lorenz Coster, 1370 geboren, ist bekannt.

Für die Entwickelung der graphischen Künste in den Niederlanden hat Lucas von Leyden (1494 bis 1533) eine ähnliche Bedeutung, wie Dürer für Deutschland. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wenden sich die niederländischen Künstler mit Vorliebe dem Helldunkel zu und zwar verbinden sie häufig dabei Kupferstich und Holzschnitt.

Mit grossem Erfolg arbeitete in dieser Weise Hendrik Goltzius in Harlem. Im 17. Jahrhundert ging über die Niederlande in Rubens ein gewaltiger Stern auf. Für denselben arbeitete namentlich ein deutscher Holzschneider: Christoph Jegher. Ein Schüler Rembrandts Jan Livens (1607–1663) behandelte den Holzschnitt in einer Weise, dass derselbe Ätzblättern ähnlich und zu ganz koloristischer Wirkung gebracht wurde. Im 18. Jahrhundert hört auch in den Niederlanden der künstlerische Holzschnitt fast ganz auf.

Nach Italien wurde die Holzschneidekunst ebenfalls durch deutsche Buchdrucker gebracht. Wir begegnen dort anfangs lauter deutschen Namen, wie: Raldolt, Johannes de Francfordia, Jakob von Strassburg etc. Unmittelbar vor Ende des 15. Jahrhunderts erschien in Venedig das berühmte Buch: Hypnerotomachia Poliphili, ein topographisches Meisterwerk des Aldo Pio Manutio. Ausserordentliche Thätigkeit entwickelte sich zu Anfang des 16. Jahrhunderts. In Ugo da Carpi erblicken die Italiener den Erfinder des Chiaroscuros. Seine Hauptarbeiten sind Vervielfältigungen Rafaelscher Entwürfe. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts kommen in Venedig wieder deutsche Formschneider vor.

Auch in Frankreich waren es Deutsche, welche 1470 die erste Druckerei in Paris anlegten. Zu den ältesten Schnitten gehören die Totentänze von Verara und Vernier. Namentlich aber versuchen sich die französischen Holzschneider in Titelumrahmungen, Initialen und dergleichen, besonders im 16. Jahrhundert, so: eine Isabelle Quatrepomme in Rouen, Bernard Salomon,. namentlich aber Jacques Perissin und Jean Tortorel. Im 17. Jahrhundert waren es vornehmlich die Familien Papillon und Sueur, welche den Formschnitt pflegten und die Blüte desselben, namentlich des Chiaroscuros, bis ins 18. Jahrhundert verlängerten.

In England erschien das erste mit Holzschnitten verzierte Buch 1493 unter dem Namen: Aurea legenda. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts hatte der Formschnitt in[433] England seine Blüte erreicht. Dann aber geriet er gänzlich in Verfall, bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts, wo sich die englischen Holzschnitzer damit abmühten, es dem Stahlstich gleichzuthun und es auch zu einer bewundernswerten Technik brachten. Nach Bucher, Gesch. der techn. Künste; Thausing, Dürer; Lübke, Kunstgeschichte.

A. H.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 429-434.
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