Kalender

[469] Kalender, mhd. kalender, kolender, aus dem mittellateinischen der calendarius oder das calendarium, Ableitung von dem lateinischen Plural calendae = erster Monatstag, vom lat. calare = ausrufen, weil bei den Römern der erste Tag des Monats ausgerufen wurde. Die Form des christlich-mittelalterlichen Kalenders stammt aus dem klassischen Altertum, namentlich von den Römern. Er wurde ursprünglich nicht für jedes Jahr besonders, sondern in seiner allgemeinen Fassung, für alle Jahre gültig, aufgestellt. Schon die römischen Kalender enthalten ausser einigen astronomischen Angaben den Ansatz religiöser Feste und bürgerlicher Festlichkeiten. Der christliche Kalender ersetzte die altrömischen Feste durch christliche Feste und Feiertage; da aber ursprünglich das Gedächtnis der Märtyrer vornehmlich nur an dem Orte, wo sie gelitten hatten, gefeiert wurde, so hatte jede Gemeinde ihr besonderes Festverzeichnis und ihren eigenen Kalender; es sind ihrer sehr viele erhalten, da sehr häufig den Handschriften liturgischer Bücher, auch der Bibel und des Psalters, ein Kalender vorgesetzt wurde; sie pflegten aber mit den Hilfsmitteln versehen zu sein, um für jedes Jahr die beweglichen Feste, zunächst das Osterdatum abzuleiten. Und zwar enthalten sie nicht allein die Buchstaben AG stets wiederkehrend mit dem Anfang vom 1. Januar für die Berechnung der Wochentage, sondern auch die Zahlen I-XIV zur Bezeichnung aller Neumonde, die jedesmal in dem sovielten Jahre des 19jährigen Cyklus an demjenigen Monatstage eintreffen, welchem diese Zahl beigesetzt ist. Ein Monatskalender mit einem solchen Buchstaben- und Zahlenverzeichnis heisst ein immerwährender (julianischer) Kalender; vermittelst desselben findet man für jedes beliebige Jahr, sobald man dessen Sonntagsbuchstaben nebst der Ziffer des 19jährigen Cyklus kennt, den Wochentag jedes Datums und alle Neumonde das Jahr hindurch. Aus den letzteren folgt zugleich das Datum des Frühlingsvollmondes und daraus, nach Bestimmung seines Wochentags mittels des Sonntagsbuchstabens, das Datum des Osterfestes. Anleitung zu dieser Berechnung giebt das chronologische Hauptwerk des früheren Mittelalters von Beda, de ratione temporum.

Erst gegen Ausgang des Mittelalters wurden die lateinisch abgefassten Kalender in die Landessprachen übertragen; doch giebt es einige Ausnahmen davon, namentlich das Bruchstück eines gotischen Kalenders aus dem 4. Jahrhundert, ein angelsächsisches Kalendarium aus dem 10. Jahrhundert, ein französisches aus dem 13. Jahrhundert. Deutsche Kalender kommen nicht vor dem 14. Jahrhundert vor. Die ersten gedruckten Kalender haben ganz die Einrichtung der handschriftlichen und sind allgemein, für jedes Jahr passend, ausgestattet. Die frühesten sind in Holz geschnitten und in Kupfer gestochen. Der erste Druck eines Kalenders für bestimmte Jahre stammt, nach der Bearbeitung des Johannes Regiomontanus, aus Nürnberg im Jahre 1475; derselbe ist für die Jahre 1475, 1493 und 1513, als die ersten Jahre einer dreimaligen 19jährigen Periode, gestellt, doch so, dass daraus die Data für die übrigen Jahre derselben abgeleitet werden können. Doch bezieht sich diese Spezialisierung nur auf den astronomischen Bestandteil; der Kirchenkalender ist[469] noch in seiner Allgemeinheit verblieben; er enthält nur die Heiligennamen und zwar nach älterer Weise an einer beschränkten Anzahl von Tagen, nicht aber die Einteilung in Wochen und die beweglichen Feste. Die ersten eigentlichen Volkskalender sind dann fast an allen Tagen mit Heiligen besetzt, wie die Kalender von Augsburg 1481 u.s.w., Erfurt 1505, Zürich 1508. Zu allgemeinerem Gebrauch kommen Kalender für ein bestimmtes Jahr, mit der demselben angepassten Wochen- und Festordnung, erst nach der Mitte des 16. Jahrhunderts. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts führten die Astrologen die sogenannten Praktiken in die Kalender ein, Anweisungen, an welchen Tagen gewisse Arznei- und Heilmittel heilbringend seien oder nicht, besonders aber Anweisungen zum Aderlass. Ein zu Oppenheim 1522 erschienener Kalender führte zuerst das Aderlassmännchen ein. Es folgten Anweisungen zum Schröpfen, Purgieren, Baden, Haarabschneiden, Pflanzen, Holzfällen, Ernten. Säen u. dgl., ferner was gewisse Vorgänge am Himmel andeuten, z.B. der Sonnenschein an jedem der sog. Zwölfnächte vom 25. Dezember bis 6. Januar, welche Einflüsse der Monat, in dem die Geburt eines Kindes erfolgt, auf dessen Leben habe. Auch diese Kalender-Practicae waren ursprünglich von den Astrologen auf mehrere Jahre voraus als Prophezeiungen bekannt gemacht und sind erst später mit den gemeinen Kalendern verbunden worden.

Gregorianische Kalenderreform. Für die Beobachtung des Osterfestes war in der alexandrinischen Kirche seit der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts die Regel angenommen, dass dasselbe anzusetzen sei am Sonntag nach dem Frühlingsvollmond, das heisst demjenigen, der am Tage der Frühlingsnachtgleiche selbst oder zunächst nach derselben eintrifft, und dass als Datum dieser Nachtgleiche der 21. März festzuhalten, der Vollmond aber nach einem 19jährigen Cyklus zu berechnen sei. Diese alexandrinische Methode litt an zwei Fehlern. Erstens, indem sie die Frühlingsnachtgleiche am 21. März annnahm, schloss sie sich an die julianische Jahrform und Schaltordnung an, wonach die Länge des Jahres zu 3651/4 Tagen angenommen, demnach alle 4 Jahre ein Tag eingeschaltet wurde. Das Jahr ist aber in der Wirklichkeit um mehr als 11 Minuten kleiner, was alle 128 Jahre einen Tag ausmacht, der also zuviel eingeschaltet wurde. Zweitens, indem sie den Frühlingsvollmond nach dem 19jährigen Cyklus von 235 Monaten berechnete, nahm sie diese zu 19 × 3651/4 = 69383/4 Tagen. Aber dieser Cyklus von Monaten ist in Wirklichkeit um mehr als eine Stunde kürzer, was etwa alle 310 Jahre einen Tag ausmacht, um den also der Vollmond zu spät angesetzt wurde.

Es dauerte lange, ehe man auf diese Fehler aufmerksam wurde. Zwar machten schon im 12. Jahrhundert einzelne gelehrte Astronomen auf das Fortrücken der Nachtgleichen und im 13. Jahrhundert auch auf das Fortrücken der Mondphasen aufmerksam; da jedoch ein Konzilsbeschluss jede Veränderung des Kalenderwesens verbot, zog man erst im 15. Jahrhundert, nachdem man durch genauere astronomische Studien sich von der Richtigkeit der Thatsachen genügend überzeugt hatte, die Verbesserung der durch sie entstandenen. Übelstände ernstlich in Erwägung. Schon die Kardinäle Petrus de Alliaco und Nikolaus de Cusa hatten auf dem Konstanzer und Baseler Konzil die Kalenderreform herbeizuführen und durch eigene Schriften zu begründen versucht. Doch gelang es erst Gregor XIII. (1572–1585), unter Mithilfe der gelehrtesten Astronomen[470] seiner Zeit, die wichtige Reform zustande zu bringen. Um die um 10 Tage verschobenen Nachtgleichen wieder auf ihre eigentlichen Sitze zurückzuführen, bestimmte Gregor, dass im Oktober 1582 zehn Tage aus dem Kalender wegfallen sollten, sodass nach dem 4. sogleich der 15. gezählt werden sollte. Um aber die Frühlingsnachtgleiche auf dem 21. März für alle Zeit zu erhalten, sollten in einem Zeitraum von 400 Jahren 3 Schalttage ausfallen, und zwar aus den Säkularjahren, deren Jahrhunderte nicht durch 4 teilbar sind, wie 1700, 1800, 1900.

Die sofortige Einführung des Gregorianischen Kalenders geschah bloss im grössten Teile Italiens, in Spanien und Portugal; die übrigen Länder Europas entschlossen sich erst später dazu, namentlich die protestantischen; so nahm das protestantische Deutschland den neuen Kalender unter dem Namen des verbesserten mit Dänemark, den Niederlanden und der evangelischen Schweiz erst 1700, Pisa und Florenz 1750, Grossbritannien 1752 und Schweden 1753 an; Russland hat den julianischen Kalender beibehalten. Piper, Art. Kalender in Herzogs Real-Encykl. und Grotefend, Handbuch der Chronologie.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 469-471.
Lizenz:
Faksimiles:
469 | 470 | 471
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Nachtstücke

Nachtstücke

E.T.A. Hoffmanns zweiter Erzählzyklus versucht 1817 durch den Hinweis auf den »Verfasser der Fantasiestücke in Callots Manier« an den großen Erfolg des ersten anzuknüpfen. Die Nachtstücke thematisieren vor allem die dunkle Seite der Seele, das Unheimliche und das Grauenvolle. Diese acht Erzählungen sind enthalten: Der Sandmann, Ignaz Denner, Die Jesuiterkirche in G., Das Sanctus, Das öde Haus, Das Majorat, Das Gelübde, Das steinerne Herz

244 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon