Kreuz

[528] Kreuz als Merk- und Schriftzeichen, wie als Verzierungsmittel kommt bei vielen heidnischen Völkern in allen möglichen Formen vor; das Henkelkreuz oder das blosse Kreuz ist z.B. bei den Ägyptern ein Sinnbild der strahlenden Sonne, den Buddhisten bedeutet das Kreuz die von der Sonnenbahn umkreuzten vier Himmelsgegenden.

Das sich Bezeichnen mit dem Kreuz, das Kreuzschlagen durch blosse Hand- und Fingerbewegung war schon früh allgemein Bewahrungs- und[528] Segensmittel und wurde auf apostolische Überlieferung zurückgeführt. In den abendländischen katholischen Kirchen unterscheidet man das lateinische und das deutsche Kreuz; beim lateinischen Kreuz wird die Formel In nomine patris et filii et spiritus sancti, amen oder eine ähnliche gesprochen und dazu mit der flachen rechten Hand Stirn und Brust, dann die linke und endlich die rechte Seite berührt. Die Formel des deutschen Kreuzes heisst: Im Namen Gottes etc.; wobei mit dem vorgestreckten Daumen der rechten Hand, auf dem der Zeigefinger mit den übrigen quer aufliegt, Stirn, Mund und Brust berührt wird, während die linke Hand auf der Brust ruht.

Das materiell ausgeführte Kreuz, einfach hölzern oder gemalt, war früh allgemein verbreitet und diente schon im 5. Jahrhundert als Amulet. Auf christlichen Denkmälern erscheint das Kreuz jedoch nicht vor Konstantin, welcher das Kreuzeszeichen, das er vor der Schlacht gegen Maxentius (312) in den Wolken gesehen, in seine Kriegsfahne aufnahm und sich selbst als Sieger mit der Kreuzesfahne, später mit dem Kreuz auf der Stirne darstellen, endlich auf die Helme und Schilde der Soldaten das Zeichen des Kreuzes anbringen liess. Auch auf Münzen erscheint es bald nachher. Seit Ende des 4. Jahrhunderts wurde das Kreuz immer mehr der gewöhnliche Schmuck der Kirchen und namentlich der Altäre. Es erhielt seine Stelle im Sanktuarium, über dem Eingange der Kirche, auf dem Ambo vor dem Lesepulte, über oder unter dem Triumphbogen.

Als eigentlich kirchliches Zeichen diente das Kreuz zur ersten Weihe bei Gründung einer Kirche, und ebenso wurde die Einweihung der fertigen Kirchen durch das Kreuzeszeichen vollzogen. Das Recht, die in den Kirchen aufgestellten Kreuze zu erheben, bei Prozessionen zu tragen und irgendwo aufzupflanzen, lag ursprünglich in den Händen des Bischofs, der es wie andere Sakramentalien den Presbytern übertragen konnte. Da das Kreuz bei Bittgängen die Hauptrolle spielte, hiessen diese geradezu cruces. Unter einem Kreuze mit ausgebreiteten Armen stehen oder sich niederwerfen, war das Zeichen der Busse. Tag der allgemeinen Adoration des Kreuzes war der Karfreitag. Überall, wo ein Kreuz stand, auch an der Strasse, gab es für den Verbrecher ein Asyl. Das Kreuz ist das kirchliche Zeichen der bischöflichen und apostolischen Würde. Der Papst hat das Recht, es überall vor sich hertragen zu lassen. Wie das Kreuz das öffentliche Zeichen oder Wappen der Kirchen war, so wurde es das äussere Zeichen der Kirchhöfe und ihrer Gräber.

Schon im 5. Jahrhundert wurde das Kreuz häufig im Eingang von Diplomen und anderen Handschriften statt der Anrufung des Namens Gottes gesetzt; ebenso ein oder drei Kreuze über den Rezepten der christlichen Ärzte. Seit dem 6. Jahrhundert findet man das Kreuz statt Namensunterschrift unter Briefen und Urkunden, als Zeichen und Erinnerung der Wahrhaftigkeit. Geistliche setzten es regelmässig neben ihren Namen, Bischöfe vor denselben. Die griechischen Kaiser unterschrieben oft mit roten, die byzantinischen Prinzen mit grünen, die altenglischen Könige mit goldenen Kreuzen.

Durch die Kreuzzüge wurde das Kreuz Kriegszeichen gegen den Halbmond. Die Kreuzfahrer hefteten das aus Seide oder Goldfäden oder sonst gewobene, kokkusfarbene Kreuz an die Kleider. Von nun an wurde es immer mehr weltliches Zeichen, und Fahnen, Helme, Waffen, Kronen, Zepter, Reichsapfel, Denkmäler, Siegel, Münzen, Wappen in den mannigfaltigsten Formen damit[529] geschmückt. Die Eroberung einer heidnischen oder mohammedanischen Stadt wurde durch Aufpflanzen eines Kreuzes bezeichnet. Unglückliche, die eine Klage vorzubringen hatten, trugen ein Kreuz in den Händen oder auf den Schultern. Vor dem heiligen Kreuz oder so, dass es aufs Hauptgelegt wurde, geschahen Eide. Mit Kreuzen wurden Feld- und Gaugrenzen bestimmt. Unter die Gottesurteile zählt auch das Kreuzurteil, siehe den Art. Gottesurteile, 5.

Erst seit den Kreuzzügen setzte sich auch das Kreuz vollends architektonisch durch die Kirche durch. Kein Kirchenbuch, Kirchengefäss und Kirchengewand durfte des Zeichens entbehren. Auch der Aberglaube bediente sich des Kreuzes im weitesten Umfange.

Die Hauptgestalten des Kreuzeszeichens sind:

1) Crux decussata, das geschobene oder schräge Kreuz, ×, später Burgunder-, oder, weil der Apostel Andreas daran gekreuzigt sein sollte, das Andreaskreuz genannt.

2) Crux commissa, in Form des Kreuz, an welchem der Apostel Philippus gestorben sein soll, hiess auch as ägyptische, und weil der heil. Antonius in Ägypten damit die Götzen gestürzt und die Pest vertilgt haben soll, das Antoniuskreuz.

3) Crux immissa, in Form von Kreuz, das hohe lateinische oder Passionskreuz, weil nach allgemeinster Annahme Christus an einem solchen gestorben ist.

4) Das griechische Kreuz, welches aus gleichlangen Balken in Form von + besteht.

5) Das Petruskreuz, an welchem der heil. Petrus gekreuzigt sein wollte, ist das umgekehrte lateinische.

6) Das Bernwardskreuz heisst das kurze, unten zugespitzte lateinische Handkreuz, das, einem Dolche ähnlich, vom Bischofe Bernward in Hildesheim selbst verfertigt und im Hildesheimer Domschatze noch vorhanden ist.

7) Das Schächerkreuz Kreuz gehört der Wappenkunde an.

8) Das Doppelkreuz Kreuz, vielfach auf katholischen Kirchen, soll mit der oberen Querleiste auf die Pilatusinschrift am Kreuze Jesu hindeuten.

9) Das dreifache Kreuz Kreuz wird dem Papste und seinen Legaten, wie das doppelte den Patriarchen, das einfache dem Bischofe vorgetragen.

Nach G. Merz in Herzog's Real-Encykl. 2. Aufl. Art. Kreuzeszeichen. Vgl. Stockbauer, die Kunstgeschichte des Kreuzes, Schaffhausen 1870 und Zöckler, das Kreuz Christi. Gütersloh 1875.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 528-530.
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