Länder und Städte

[564] Länder und Städte in personifiziert-bildlicher Darstellung. Der antiken Kunstdarstellung der Länder und Städte liegt teils religiöser Glaube, teils ein bloss künstlerisches Motiv zu Grunde. Beide wurden unter den Schutz von Göttern und Heroen gestellt, wobei bei den Griechen namentlich die Tyche, lat. Bona dea, bei den Römern die Roma eine grosse Rolle spielen. Sonst gilt in der italienischen Religion in der Regel ein männlicher Genius für den Beschützer der Städte. Mit Bildwerken der genannten Vorstellungen wurden Tempel und Altäre geschmückt, wobei Tyche ein Füllhorn und eine Turmkrone erhält, Roma dagegen entweder Pallas ähnlich dargestellt wird oder im Amazonenkostüm. Eigentlich allegorische Bilder der einzelnen Städte und Länder, die sich teils in mythischen, teils in historischen Kompositionen, sowie in einzelnen Bildern zahlreich vorfinden, pflegen ebenfalls die Mauerkrone zu tragen. Die christliche Kunst verwarf natürlich die religiöse Bedeutung dieser Vorstellungen und machte sich bloss das künstlerische Motiv zu eigen. Das christliche Altertum ist reich an Städtefiguren in den verschiedenen Gebieten der Kunst, sowohl in Miniaturen als Skulpturen; häufiger sind Reliefbilder, zumal auf Münzen und Diptychen; besonders häufig erscheinen Rom und Konstantinopel; die Attribute der Mauerkrone und das Füllhorn sind beibehalten. Vom 9. bis 12. Jahrhundert findet man Personifikationen von Städten und Ländern bloss auf Miniaturen, teils in biblischen Szenen, teils in weltlichen Darstellungen. Die Figuren sind meistenteils in weiblicher Gestalt gebildet und haben ein Füllhorn in der Hand und auf dem Haupte eine Krone, die aber nur teilweise die Gestalt von Türmen hat. Weltliche Veranlassungen zu diesen Personifikationen gab die Vorstellung eines Herrschers, dem die Länder huldigend nahen oder Abgaben und Geschenke bieten. Aus der heiligen Schrift hat man Personifikationen der arabischen Wüste, wohin sich die Israeliten vor Pharao retteten, und von Babel. Seit dem 13. und namentlich seit dem 15. Jahrhundert hat man wieder ähnliche Figuren auf Malereien und Münzen und seit dem 16. Jahrhundert in grossen Werken der Skulptur und der Malerei zur Ausschmückung von Plätzen und Palästen, mit Beziehung auf unmittelbar gegenwärtige, namentlich vaterländische Interessen. Piper, Mythologie der christl. Kunst. II, S. 564 bis 677.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 564.
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