[661] Mönchswesen. Da einerseits über die in Deutschland vertretenen mittelalterlichen Mönchsorden in besondern Artikeln dieses Werkes gehandelt ist, und es andererseits an einer neueren Darstellung mangelt, welche den inneren Zusammenhang dieser Erscheinung mit der allgemeinen Entwicklung des Mittelalters überhaupt erschlösse, so können hier bloss einige Anhaltspunkte zur Orientierung in den mannigfaltigen Erscheinungsformen des Mönchswesens gegeben werden.
Das Mönchs wesen, soweit es eine Erscheinung der christlichen Religion ist, beginnt in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung mit den morgenländischen Anachoreten, deren Prinzip vereinzelte Weltflucht, Entsagung, Askese ist. Erst das 4. Jahrhundert führte die Einsiedler im Morgenlande in Klöster zusammen, griech. χοινόβιον, coenobitum, coenibita, lat. claustrum, von claudere = schliessen, verschliessen; auch Mönch und Nonne sind noch griechischen Ursprungs; μόναχος zu μόνος, ist der allein Lebende, νόννα ist unerklärt. Im Abendlande, wo das Mönchstum durch Athanasius bekannt und von Ambrosius, Augustinus und Hieronymus empfohlen wurde, war die Lebensweise der Mönche weniger der persönlichen Askese zugewandt als im Morgenland; neben der Betrachtung lagen die Mönche der Handarbeit ob, seit Cassiodor auch dem Bücherschreiben. Noch waren die Mönche meist Laien und nur der Abt Presbyter, die Klöster vom Bischofe abhängig; doch galt das Mönchstum schon seit dem Ende des 4. Jahrhunderts als Pflanzschule des Klerus. Besondere Orden gab es nicht, das Mönchstum bildete zusammen einen einheitlichen Stand; die einzelnen Klöster folgten den Vorschriften ihres Stifters. Erst die Regel des Benedikt von Nursia und ihre allmähliche Einführung in den Klöstern des Abendlandes gab dem ganzen Institut Einheit und Zusammenhang. Das Benediktiner Mönchstum begleitet die Neubildung der fränkisch-mittelalterlichen Bildung bis zu dem Zeitpunkt, wo im 11. Jahrhundert die höfisch-ritterliche Bildung der Träger der mittelalterlichen Kultur wird. Verschiedene Gründe[661] äusserer und innerer Art mögen dem Mönchs- und Klosterwesen in dieser Periode zu seiner Bedeutung verholfen haben; das Institut kam in die germanisch-romanischen Länder als ein schon vorhandener Bestandteil der Kirche, so zwar, dass die Missionäre des Christentums meist selber ihm angehörten. »Das Tiefsinnige, Elegische im deutschen Charakter, sagt Rettberg, musste sich in dem angeblich Verdienstlichen eines Zurückziehens von der Welt gefallen, wobei man dem Schauerlichen einer wilden Einsamkeit nachhängen konnte. Darum sind in Deutschland keine Gegenden so dicht mit Klöstern besetzt als die Thäler der Vogesen, Ardennen und das bayerische Hochland mit den lieblichen Seen.« Die Urbarisierung der germanischen Heidenwelt in Beziehung auf den Ackerbau sowohl als auf die Erziehung des Volkes zu christlicher höherer Bildungsfähigkeit in Wissenschaften und Künsten verlangte offenbar mehr als einzelne Prediger, zusammenhängende, starke, organisierte Gemeinwesen, gleichsam Festungen des christlichen Glaubens, der christlichen Zucht und Arbeit, wie denn wirklich die Klöster es waren, welche in den verschiedensten Beziehungen die Träger neuer Bildungen, Handwerke, Kulturen, Künste u. dgl. geworden sind. Weit entfernt, in ihren Zwecken und Zielen der Welt, dem Volke, der Arbeit nach aussen zu entfliehen, finden sie ihre Aufgabe in der Hingebung an das Wohl des Ganzen. Sie unterstützen die staatliche Obrigkeit in ihren ideellen Aufgaben, wie umgekehrt der Staat und seine Träger die Klöster als ein wesentliches Mittel ihrer höheren Zwecke ansehen und ehren. Namentlich stützt sich Karls d. Gr. Wirksamkeit für die Bildung seines Volkes auf die Mithilfe der Klöster; der Zusammenhang der Klöster mit dem römischen Stuhl bezog sich bloss auf die rein kirchlichen Angelegenheiten; ihre Obrigkeit erkannten sie durchaus in den staatlichen Gewalten.
Die kulturgeschichtliche Aufgabe, welche das fränkische Weltreich sich selbst und dem Mönchstum gestellt hatte, wurde von der fortschreitenden Entwicklung der inneren Verhältnisse aufgehalten oder in andere Bahnen gelenkt; Karls und seiner Zeitgenossen Hoffnung, auf fränkischem Boden eine römische oder der römischen gleichwertige Bildung herzustellen, war ein Traum, und während im 9., 10. und 11. Jahrhundert an der Verwirklichung desselben gearbeitet wurde, bereiteten sich diejenigen Bildungen vor, welche im 12. und 13. Jahrhundert die herrschenden waren, das Rittertum und dessen höfische Bildung einerseits und die katholische Kirche mit ihren spezifischen und exklusiven Bildungen andererseits. Beiden Bildungen neigen sich nun auch die Klöster zu: entweder gehen sie, indem sie das kirchliche Gewand bis an die äusserste Grenze abstreifen, in das Lager weltlich-höfischer Staatsbildungen hinüber, werden gefürstete Abteien, die nur äusserlich an der Regel des heiligen Benedikt festhalten, oder sie ergreifen die Partei der neuerwachten Kirchlichkeit, wobei man Klöster älteren Datums unterscheiden kann, die sich einer kirchlichen Reformation unterstellen, oder, was viel häufiger vorkommt, Klöster neuer Orden, die eben zu dem Zwecke gestiftet werden; es sind die Cluniacenser, Kamaldulenser, Grammontaner, Cistercienser, Kartäuser, Prämonstratenser, Karmeliter und die geistlichen Ritterorden; schon ihre Zahl zeugt dafür, dass in dieser Periode sehr verschiedene Richtungen und Kräfte, und namentlich der Geist einzelner Persönlichkeiten sich geltend machten,[662] welche die karolingisch-fränkische Zeit nicht gekannt hatte; auch ist es nicht bloss der Gegensatz zum älteren verweltlichten Mönchstum, was hier wirkt, sondern nicht minder der Gegensatz zum Geiste der klerikalen Kirche selber, manchmal, wie bei Cluniacensern und Cisterciensern, der Gegensatz zwischen Orden und Orden; manche dieser Orden hatten übrigens in der jetzt schneller arbeiten den Zeit das Schicksal der älteren Benediktiner Stiftungen, reich und dadurch dem kirchlich asketischen Prinzip untreu zu werden. Bedenkt man ferner, dass diese Mönchsorden zahlreichen andern Neubildungen auf dem Gebiete des Staates, der Gesellschaft, der Litteratur, der Kunst parallel gehen, so ist deutlich, dass jetzt der Mönchsstand überhaupt an Einfluss auf den Geist der Zeit verloren hat; während die karolingische Periode kaum ein Lebensgebiet kennt, an dessen Bebauung und Bildung die Klöster keinen Anteil gehabt hätten, so giebt es jetzt grosse Gebiete, wie dasjenige der höfischen Litteratur, wo von irgend einem Orden kaum die Rede ist; dagegen haben sie sich um einzelne Landesteile, Städte, Länder, gewiss grosse und bleibende Verdienste erworben.
Zeigt schon die Periode der reformierten Klosterstiftungen auf dem Boden des Benediktinertums eine bunte Mannigfaltigkeit, deren innerer geschichtlicher Bedeutung schwer nachzukommen ist, so gestaltet sich in der Periode des volkstümlichen Mönchstums das Bild zu einem noch viel bunteren, entsprechend dem Geiste des ausgehenden Mittelalters, das den Zwang höfischer Zucht und Bildung hat fahren lassen und dessen zahlreiche Neubildungen noch nirgends zu bleibender Gestalt gediehen sind. Dem immer mehr verschärften Gegensatze zwischen den Interessen der Hierarchie und des Staates dienen vor allem die Bettelorden, und unter diesen namentlich die Dominikaner und Franziskaner, woneben der Geist ausschliesslicher Kirchlichkeit nicht minder manche der älteren Orden und Klöster beherrscht; die Dominikaner sind aber zugleich die Haupthelfer der kirchlichen Autorität gegen das überall aufstrebende Ketzertum, und beide Bettelorden zusammen die Stützen der Scholastik und dadurch der theoretischen Ausbildung des mittelalterlichen Kirchentums; andererseits stehen sie aber auch dem verwilderten Weltklerus entgegen, dessen Seelsorge sie grösstenteils auf ihre eigenen Schultern nehmen; daher beider Bettelorden Bedeutung für die deutsche Predigt und die Mystik; dieses Mönchstum steht ferner im engen Zusammenhang mit dem aufblühenden Städtewesen, in dem die Stiftungen des heiligen Dominikus und Franziskus nicht die letzte Stelle behaupten; endlich repräsentieren sie der humanistischen vornehmeren Bildung gegenüber den bettelnden, terminierenden, bildungslosen geistlichen Pöbel, zeigen also im ganzen ein höchst vielseitiges Leben, das zum Teil zwar aus den vielseitigen Bedürfnissen der Zeit entspringt, zum Teil aber eine Mannigfaltigkeit und Vielseitigkeit der in diesen Orden thätigen Personen wiederspiegelt, deren Selbständigkeit Zeugnis für die zunehmende Bedeutung des Individuums in dieser Periode ablegt.
Neben den Bettelorden sind die älteren Orden mit wenig Ausnahmen auch in dieser Periode lebendig, und zwar in den mannigfaltigsten Gestalten; auch sind immer noch neue Orden im Entstehen begriffen, wie die Minimen; lebenskräftiger aber und eine schönere Zukunft vorbereitend erscheinen die Brüder vom gemeinsamen Leben, aus denen wie aus keinem andern Mönchsorden ein Geist der neueren kirchlichen und humanen Bildung hervorgeht. Mit[663] der Reformation wird das Mönchstum eine ausschliessliche Erscheinung der katholischen Kirche, für deren. Verteidigung besonders die Orden der Jesuiten und der Kapuziner gestiftet werden. Von älteren Schriften über diesen Gegenstand sind namentlich die beiden Traktate Vadians Von dem mönchsstand und Von stand und wesen der stiften und clöstern zuor zeit der alten teutschen Franken zu nennen, abgedruckt in Vadians deutschen historischen Schriften, Bd. I, 3103.
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