Rittertum

[863] Rittertum. Die Entstehung des Ritterstandes liegt in der zunehmenden Bedeutung des Rossedienstes; indem sich ausserhalb der durch das Geburtsrecht bedingten Ständeunterschiede die Art des Kriegsdienstes in den Vordergrund drängte, ergab sich ein Band, das namentlich die bis jetzt getrennten Stände des hohen Adels und der Ministerialen unter einer neuen Einheit vereinigte; der lateinische Name ist miles, aus dem deutschen Wort rîter zweigt sich das Wort ritter ab. Man findet auf deutschem Boden diese Namen zuerst in Lothringen, das sich in seiner Entwicklung dem benachbarten Frankreich anschloss, in königlichen Urkunden zuerst unter Lothar, 1125 bis 1137. Im Verlauf des 12. Jahrhunderts bildete sich die Ansicht immer fester aus, wonach alle zum Ritterdienst berechtigten und verpflichteten Personen als eine geschlossene Gesellschaft, das schildes ampt, ordo militaris, equestris, vereinigt gedacht wurden. Sie bildeten einen eigenen Stand, dessen Erhaltung namentlich auf der standesmässigen Einziehung der Söhne beruhte. Freie eheliche Geburt und Wahl der kriegerischen Lebensart waren die Vorbedingungen, um diesem Stande anzugehören; sonst konnte jeder, er mochte Fürst oder Dienstmann sein, Ritter werden; dennoch bildete sich auch dieser[863] seiner Natur nach auf der Persönlichkeit der Einzelnen beruhende Stand dem Geiste der Zeit gemäss früh wieder in einen erblichen Stand, den der Ritterbürtigen aus, dem alle diejenigen angehörten, deren Vater und Grossvater Ritter gewesen waren; dem Kaiser blieb dabei die Befugnis, um besonderer Verdienste willen auch Knechte zu Rittern zu machen; doch war das gegen die allgemeine Regel und ungern gesehen. Das Symbol des Rittertums ist das Schild, daher der Name schildes ampt, das soviel als Ritterdienst bedeutet. Ritter ist in der höfischen Periode der verbreitetste Name für den Angehörigen des höfischen Standes, da er allein alle besondern Abteilungen und Arten desselben umfasst; so heisst es z.B.: der heiser, die künige, der fürsten schar, grâven, frîen, dienstman, – waz werder rittere hât der plân etc.

Charakteristisches Zeichen der Ritterwürde ist dies swertleite, die Umgürtung mit dem Schwert, das Wort ritterslac kommt mittelhochdeutsch nur vereinzelt vor; die Zeremonie stammt aus der uralten Wehrhaftmachung der Germanen (siehe den Art. Erziehung) und hatte sich ohne besonderes Aufsehen als Gewohnheit und Recht der Freien bis jetzt erhalten. Die häufigsten Gelegenheiten zur swertleite boten die hohen Kirchenfeste, namentlich das Pfingstfest, Verkündigung eines Friedens, Reichstage, Krönungsfeste, Vermählungen und dergleichen, sodann benutzte man mit Vorliebe den Moment vor oder nach einer Schlacht oder sonstigen kriegerischen Begebenheit, den Ausbruch eines Krieges. Zu den Vorrechten der Ritterbürtigen gehörte auch das Recht, die Würde andern zu erteilen, und es kam vor, dass gerade dieses der erste Akt eines Wehrhaftgemachten war; als Philipp, Sohn Philipps des Schönen, an einem Pfingstfest seine drei Söhne zu Rittern gemacht hatte, machten diese jungen Fürsten sofort 400 andre zu Rittern.

Die ritterliche Erziehung dauerte in der Regel bis zum 21. Jahr. Bis zum 7. Jahr blieb der Knabe bei der Mutter; dann kam er an einen fremden Hof oder zu einem fremden Ritter, um sich hier gemeinsam mit andern Knaben in höfischer Sitte unterrichten und üben zu lassen; sein. Name ist jetzt kint, juncherre, juncherrelîn. Sein Dienst galt besonders der Dame, an deren Hof er sich befand; er musste sie bei Tisch bedienen, ihre Aufträge und Befehle vollziehen, den Boten machen, sie auf Reisen, auf Spaziergängen und auf der Jagd begleiten, ihres Winkes gewärtig sein; es war die Vorbereitung zum spätem ritterlichen Frauendienst. Daneben wurde er in mancherlei Kenntnissen, und Fertigkeiten von »weisen Männern« unterrichtet, meist Geistlichen oder fahrenden Sängern; da standen sie denn wohl unter der Aufsicht eines besondern zuchtmeisters. Auch körperliche Übungen u. Künste wurden getrieben: Laufen, Springen, Reiten, Schwimmen, mit Bogen und Armbrust schiessen, Steinwerfen, Schwert, Lanze und Schild handhaben.

Mit dem vierzehnten Jahre wurde das kint zum knappen, famulus, armiger, befördert; auch das Wort knecht wird etwa gebraucht. Er erhielt jetzt ein Schwert umgehängt und trat in die Dienste des Ritters. Jetzt hatte er für Reinhaltung der Waffen, für die Pferde zu sorgen, den Herrn zur Jagd, zum Turnier, in den Krieg zu begleiten, wobei er des Herrn Lanze trug und das Streitross desselben am Zügel neben sich führte. In der Schlacht blieben die Knappen in unmittelbarer Nähe der ritterlichen Schlachtreihe. Seine Wehr bestand in einer leichten Blechhaube, einem Schild und einem Schwerte; statt eines Streitrosses hatte er einen Klepper. Ehre und Anstand gebot, dass sein Herr, meist der Lehnsherr, ihn zierlich kleidete, in der Regel in[864] den Farben seines Wappens. Am Hof hatte der Knappe die persönliche Bedienung des Herrn, in der Schlafkammer, bei Tische, in Küche und Keller, im Stall, so zwar, dass an grössern Höfen diese verschiedenen Obliegenheiten unter die Knappen unter der Aufsicht der obern Hofbeamten verteilt waren. Überhaupt aber war es in der Blüte des Rittertums dem Herrn daran gelegen, den Knappen nicht bloss körperlich, sondern geistig und sittlich zu einem rechten vrumen, d.h. trefflichen Ritter zu machen; daher sich in Prosa und Versen eine eigene Zucht- und Anstandslehre für junge Knappen ausbildete, die namentlich in dem Gedicht »Winsbeke« erhalten ist.

Mit dem 21. Lebensjahre war die Knappenzeit abgelaufen und durfte die Schtvertleite erfolgen; andere Namen dafür sind daz swert nemen, swert leiten, daz swert geben; diese zu erwerben war jeder verpflichtet, vom Kaiser bis zum adeligen Dienstmann; doch mussten sie Christen sein und es war gegen die Regel, wenn Richard Löwenherz und Friedrich II. edeln Sarazenen den Ritterschlag erteilten. Ein einheitliches Zeremoniel gab es anfangs nicht; auch bedingten Ort und Zeit wesentliche Änderung; ein Schlag war in ältester Zeit jedenfalls nicht die Hauptsache, sondern die Umgürtung mit dem Schwert. Das französische Ritual war ausgebildeter als das deutsche, und die spätere Zeit gefiel sich um so mehr in Zeremonien, je mehr der thätige Geist des kriegerischen Rittertums gewichen war. Immer ging ein Gottesdienst voraus, wobei der Knappe beichtete und das Abendmahl empfing. Nachdem er dann knieend die Ermahnungen angehört und das Gelübde mit einem Eidschwur abgelegt, empfing er mit der Fläche des Schwertes drei Schläge über die Schulter oder den Rücken, oder einen leisen Schlag an den Hals, zum Zeichen, dass dies nunmehr der letzte sei, den er sich müsse gefallen lassen; später war der Backenstreich die Zeremonie, welche den Edelknaben zum Knappen machte. Sodann wurde ihm mit dem ritterlichen Gürtel das Schwert um den Leib gegürtet und darauf die goldenen Sporen und die einzelnen Stücke der Rüstung nach einander angethan, endlich das Ritterpferd vorgeführt, auf dem er sich sofort in dem nun folgenden Turnier in seiner Würde bewähren konnte.

Das einer belgischen Chronik entnommene berühmte Zeremoniel bei der Ritterweihe des Königs Wilhelm 1207 hat sich als Fälschung herausgestellt. Siehe Roth v. Schreckenstein in den Forschungen z.d.G. XII, 233–247.

Die mit der Schwertleite vollendete ritterliche Erziehung bildete nun die Grundlage des ritterlichen Geistes, der ritterlichen Bildung, welche die eigentliche Blüte des mittelalterlichen Geistes geworden ist. Der Kern dieses Rittertums ist seiner innern Natur nach ein Ideal, ein Geist, eine Kraft, ein Begriff, der sich im einzelnen Ritter nie vollständig verwirklichen konnte, der aber für die ganze Bildung des Standes von ausserordentlichen Folgen war. Es wird nie gelingen, aus den vorhandenen Regeln des Rittertums das ganze Bild der Erscheinung zu gewinnen; am ehesten ist das aus den von des Dichters Auge erschauten Rittergestalten möglich, namentlich aus den Artusgedichten, Tristan und Isolde, Iwein, Parzival. Die vier Hauptrichtungen der ritterlichen Lebensführung sind aber preiswürdiger vollkommener Waffendienst, Ehre, höfische Zucht und Frauendienst, von welchen die beiden erstem mehr aus der ältern Zeit herübergenommen, aber höfisch ausgebildet, die beiden letztern neu sind.

Des Ritters Waffendienst schliesst, was früher nicht der Fall war, jeden andern Lebensberuf als des[865] Ritters unwürdig aus; er bestellt nicht einmal sein eigenes Hofgut, aus dem er doch herausgewachsen ist; noch viel weniger darf er Handel und Gewerbe treiben. Der Ritter ist geborner Kriegsmann; auf den Waffendienst sind in erster Linie Wohnung, Kleidung, Unterhaltung, Spiel und Erziehung gebaut; so eng ist der Dienst mit dem Wesen des Ritters verflochten, dass dieser kraft seines Standes nicht bloss im ernsten Waffendienst dem Feinde gegenüber zu kämpfen hat, sondern dass er als Ritter verpflichtet ist, immer und überall freiwillig kriegerischen Kampf aufzusuchen und sich daran zu bethätigen; daher ist der Waffenkampf nicht bloss eine tägliche Übung des Ritters auf seinem Hofe, sondern er hat an fremden Höfen, in fremden Ländern, in der Nähe und in der Ferne seinem Beruf nachzugehen, er suocht fremediu lant. Überdies hat sich der ritterliche Waffendienst zu einer besondern Kunst und Erscheinung ausgebildet, die im ernsten Kriegskampfe sowohl. als im Ritterspiel, in der Form des tjost, buhurt und turnier ihren eigenen, streng vorgeschriebenen Gesetzen folgt. Siehe die besondern Artikel.

Auch die Ehre ist gewiss etwas weit älteres als das Rittertum; sie eignet ihrer Natur nach jedem höher gestellten Wesen, sie eignet Gott, dem König, dem Herrn, dem Freien, und die Deutschen zumal übten von altersher die Ehre des Dienstmannes, welche man Treue heisst; ja gerade die Treue scheint sich ihm schon sehr früh zu einem Lebensideal gestaltet zu haben, welches wesentlich zur Entwicklung des spätern Begriffes der ritterlichen Ehre beitrug. Doch ist diese mehr als Treue; sie ist der sittliche Inbegriff alles dessen, was ihn der Gesellschaft gegenüber zum Ritter macht, sie ist jetzt ein spezifisch ritterlicher Begriff, der Abglanz des ritterlichen Amtes, kraft welches sowohl die Drittperson, sei sie höfischen Standes oder nicht, ihm, dem Ritter, die ihm gebührende äussere und innere Achtung entgegenzubringen hat, als er selbst zu handeln, zu sprechen, zu empfinden verpflichtet ist. Es giebt wohl auch Regeln der Ehre; doch ist diese nicht bloss äusserlich erkennbar; denn auch sie ist eine Kraft, eine Idee, die im Gemüte wurzelt und von da aus das ganze Leben durchdringen muss. Weise, d.h. erfahrene, ältere Männer, sind es, welche der Jugend, der tumpheit, zu sagen wissen, was êre sei; denn Ehre will Erfahrung. Das Ideal der Ehre konnte sich am allerwenigsten in einem Ritter verwirklichen, die Natur des Menschen trägt auch Unehre an sich. Besonders gefährlich war dieser Begriff für die Wertschätzung des Ritters nach Massgabe seiner geistigen intellektuellen Gaben und seines weltlichen Besitzes; von dem letztern, dem Reichtum, war die Ehre des Ritters unabhängig, ein Umstand, der es allein dem besitzlosen Edeling ermöglichte, in den Kreis der höhern höfischen Gesellschaft einzutreten; aber dieselbe Verachtung des Reichtums verlangte von dem, der ihn besass, stets und überall so zu handeln, als ob es für ihn gleichgültig sei, wie viel und wie oft er zu geben habe; daraus fliesst die ritterliche Tugend der milte, der Freigebigkeit, welche eine grosse Schuld am spätem ökonomischen Ruin des Adels auf sich getragen hat. Weniger gefährlich mag der Umstand gewesen sein, dass auch die intellektuelle Wertschätzung ausser dem Begriff der Ehre lag: denn das Lieblingsgebiet des Talentes, die Wissenschaft, lag gänzlich ausser der Sphäre des Rittertums, welches nicht einmal der Schreibekunst bedürftig war: nicht lesen und schreiben zu können, verstösst nicht gegen die Ehre des Ritters, aber Narrheiten,[866] Sünden gegen die Vernunft zu begehen eben auch nicht, und wenn in der Blüte der höfischen Bildung die Ehre stark genug gewesen sein mag, auch hier vermittelnd einzugreifen, schliesslich hat sich doch aus dem höfischen Rittertum ein Don Quixote entwickelt.

Wesentlich neu und erst der Bildung des höfischen Lebens angehörend ist die höfische Zucht, die hövescheit, die courtoisie, die man zwar auch unter den Begriff der Ehre unterordnen dürfte. Es ist das Gebahren des Ritters in der höfischen Gesellschaft. Gewiss hatte sich schon lange, namentlich am königlichen Hofe, eine Regel des hofmässigen Benehmens herangebildet, aber zur lebendigen, den ganzen Stand umfassenden Lebensführung ist die höfische Zucht erst jetzt geworden. Auch sie ist ihrem Wesen nach innerlich, geistig, ideal; aber die Gesellschaft bemüht sich, sie leiblich ins Leben einzuführen. Zucht ist das Gefühl für Wohlanständigkeit, sie ist so notwendig, dass sie sogar Gott selbst beigelegt wird. Leiblich aber ist sie edle Anständigkeit im Betragen, Geberde, Kleidung; sie bewährt sich besonders beim Empfange, beim Abschied, in der Gesellschaft, namentlich in der aufmerksamen und feinen Bedienung bei Tafel. Das schickliche Wort in schicklicher Form bei der Begegnung und in der Unterhaltung zu finden und zu gebrauchen, ist stets ein Beweis der Zucht. Das Lebenselement der zucht ist aber das Mass, die mâze, das gemessene Handeln, die Rücksicht auf die Umstände, die Vermeidung des Zuviel, des Zuwenig, die Bändigung des leidenschaftlichen Benehmens, und doch eine Beweglichkeit, welche die Scheu und die Unbeholfenheit überwindet. Die Forderung höfischer Zucht, die Unterordnung des Mannes unter eine gebotene Gesellschaftsregel giebt dem mittelalterlichen Ritterideal etwas weichliches und weibliches, wie sich auch die Poesie mit Vorliebe der frischen, aufblühenden Jugend zuwendet, wenn noch das Rot und Weiss der Wangen zart erglüht. Selbst die Kleidung des Ritters ist nicht ohne weiblichen Zug. Die höfische Sitte verlangt zunächst ein bartloses Gesicht, von welchem bloss hohe fürstliche Personen und würdige Alte Ausnahme machten. Dagegen gestattete man dem Haupthaar mehr Spielraum und Hess es in sanften welligen Locken zu beiden Seiten des Gesichtes am stets freigetragenen Halse herabfallen, doch nicht so lang, dass es die Schultern erreichte. Der lange Rock des Ritters ging bis über die Knie, ja selbst bis auf die Füsse herab; er war rings geschlossen, am Oberteile nach dem Wuchse geschnitten und in ziemlicher Enge an den Körper schliessend, während er unten weit die Beine umwallte; auch war er mit einem meist kostbaren Gürtel gegürtet. Um die Schultern legte sich zur Vervollständigung der ritterlichen Kleidung ein weiter wallender Mantel, der auf der Brust durch eine Agraffe gehalten wurde. Die Rüstung legte der Ritter nur an, wenn er sie brauchte; in der Gesellschaft und sogar auf dem Kriegszug Abends in der Herberge trug er die gewöhnliche Kleidung. Die Rüstung bestand aus dem Kettenhemd und ähnlichen aus Ringen geflochtenen Bekleidungen des Kopfes, der Hand und der Beine. Über den Ringen lag lang und weit und flatternd ein prachtvoller Waffenrock der in Farben leuchtete und mit den Zeichen und Bildern des ritterlichen Wappens bedeckt war.

Die höfische Zucht, als eine eigenartige, auf einen hohen Grad von Gefühl für das Edle und Schöne gebaute Lebensführung, die nicht bloss in der Phantasie vorhanden war, obgleich sie hier die höchste[867] Ausbildung erreicht haben mag, steht nun im engsten Zusammenhang mit dem Frauendienst, der das Eigentümlichste ist, was die höfische Bildung hervorgebracht; im Dienste der Frau steht zugleich des Ritters Waffe, Ehre und Zucht. Die Stellung des Weibes war bei den Germanen wie bei allen andern Völkern ursprünglich eine sehr niedrige. Das Weib musste sich mit dem toten Manne verbrennen lassen, der Mann hatte das Recht, es zu verkaufen oder zu verschenken. Nur durch die Gnade des Vaters wurde ihm zu leben erlaubt, durch Geld wurde es von einem Fremden dem Vater abgekauft; auf dem Weibe allein lag die Bestellung von Haus und Feld. Diese ältesten harten Verhältnisse waren nun freilich schon früh, lange bevor das Christentum bei den Germanen herrschend wurde, teils durch das Aufkommen eines milderen Rechtes oder wenigstens einer milderen Gewohnheit, teils durch die Wirkungen religiöser Anschauungen veredelt. Doch blieb das ganze Mittelalter hindurch der Grundsatz, dass die Frau kein eigenes Recht besass; sie stand unter der Vormundschaft und dem Schutze des Mannes, und wenn sich auch im praktischen sowohl als im sittlichen religiösen Leben Anschauungen geltend machten, welche der Stellung der Frau sehr zu gute kamen, dergestalt, dass sie des Mannes Genossin in Freud und Leid war, dem Gesinde gegenüber die Herrin des Hauses, so blieb doch ihr Stand ein gedrückter; denn der freie Germane sah ja die Teilnahme ah der Volksgemeinde und am öffentlichen Leben als seine erste und oberste Pflicht an, an welcher die Frau keinen Anteil nahm; war sie ja sogar auf dem eigenen Hofe mit ihren Töchtern und Dienerinnen in ein besonderes Frauengemach verwiesen. Liebesverhältnisse konnten der Ehe nicht vorausgehen, weil das Gesetz den Werber zum Vater und nicht zur Tochter hinwies. Die Liebe entsprang in dem Busen des Weibes und der Mann nahm sie hin als Anerkennung seiner Tüchtigkeit, die er fordern konnte und die er mit ehelicher Zuneigung belohnte. Hatte der Mann auch Achtung vor der einzelnen Frau, dem Geschlechte versagte er eine ihm ebenbürtige Stellung. Die alten Heldensagen der Germanen kennen wohl leidenschaftliche, den Männern sogar überlegene einzelne Heldinnen, aber Lieder der Liebe sind es nie und nimmer gewesen.

Das ändert sich jetzt fast plötzlich, ohne dass man genau sagen könnte warum; wir erkennen bloss, dass eine Veränderung eingetreten ist, zufolge welcher weibliche Schönheit an Stelle der männlichen Tüchtigkeit zur Quelle der Liebe gemacht ist. Eine Hauptursache dieser Erscheinung war gewiss die, dass die soziale Ausbildung des Ritterstandes als eines von der nichtritterlichen Welt getrennten von selbst auch die weibliche Bevölkerung des Standes in die Sphäre des abgesonderten Standeslebens zog; die Ehre des Ritters zog die Ehre seines Weibes nach sich. Im Orient that sich für die Kreuzfahrer das Bild eines verfeinerten, ausgebildeten, durch Poesie und Kunst geschmückten Standeslebens auf, worin das Weib eine wesentliche Rolle spielte; die Ausbildung des Marienkultus stellte für den gläubigen Christen ein jungfräuliches Weib in die nächste Sähe Gottes und gab den Jungfrauen und Frauen der Gegenwart ein erwünschtes, durch die Kirche geheiligtes Ideal. Und ein Ideal ist das Weib der höfischen Zeit in erster Linie, sogut wie das ganze Rittertum; wer die höfische Dame kennen lernen will, mag die Dichter der Zeit darum fragen. Aber dieses Ideal war doch auch Wirklichkeit, die höfische [868] Dame strebte darnach, ihr Vorbild im Lebeu zu erreichen, die Erziehung der Töchter hatte dasselbe Ziel im Auge; das verfeinerte Gefühl für das Anständige, Schickliche, Schöne wirkte in That und Wahrheit, und auch der Frauendienst der Männer wäre doch kaum verständlich, wenn er nicht von einer erhöhten äusseren und inneren Bildung der Frauen getragen wäre. Auch die erhaltenen bildlichen Darstellungen in den Miniaturen lassen trotz ihrer künstlerischen Unbeholfenheit auf die Weichheit, die Natürlichkeit, die Anmut der weiblichen Bewegungen unleugbar schliessen. Mit bewusster Absicht strebte die ritterliche Welt nach der Schönheit und Anmut des Äusseren. Die Schönheitslehre war Stück für Stück durchgedacht, und wäre viel davon zu sagen, vom langen blonden Haar, von der aus rot und weiss gemischten Gesichtsfarbe, dem roten und wie eine Blüte durchscheinenden Mund, dem kleinen und festgeschlossenen; den weissen Zähnen, den gebogenen Augenbrauen, der geraden und langen, weder zu stumpfen noch zu spitzigen Nase, dem gerundeten Kinn mit einem weissen Grübchen. Dass die Kleidung der Damen derjenigen der Männer an wirklich edlem Geschmacke nicht nachgab, versteht sich in dieser Zeit von selbst.

Diesem Geschlechte also widmete der Ritter seinen Dienst, den Minne- oder Frauendienst, und damit ist freilich eine Seite des höfischen Lebens erwähnt, wo eine befriedigende Deckung zwischen Idee und Wirklichkeit kaum mehr möglich ist. Ob der französische Ritter, denn in Südfrankreich ist der Frauendienst entstanden, durch das plötzliche Erwachen seiner Frauenwelt aus einem langen Schlummer aus der Bahn des hergebrachten sittlichen Lebens geworfen wurde, ob bei ihm dieses sittliche Leben etwa gar nicht bestanden, ob er sich durch Bilder des Orients verzaubern liess, kurz, er begann der Frau einen Dienst zu widmen, ähnlich und nachgebildet dem Treudienst, den der Vasall seinen Lehnsherrn schuldig ist. Er wählte sich eine Dame, es durfte auch für den Ritter niedriger Herkunft eine hochgeborene sein, der er seinen Dienst widmete, mochten sie und er verheiratet sein oder nicht; nur die eigene Frau war zur Dame des Ritters untauglich. Nahm sie seinen Dienst vorläufig an, so gewährte sie ihm eine mehrjährige Prüfungszeit; erst nachdem er diese bestanden, wurde er der Vasall seiner Herzenskönigin und förmlich von ihr belohnt und zwar, wenigstens in Frankreich, mit den gleichen symbolischen Zeichen staatlicher Belehnung: Knieen, Händefalten, Kuss und Ring. Der Ritter trug nun an Schild und Lanze die Farben der Frau und ein von ihr erteiltes Wappenzeichen, Ring, Gürtel, Haarband, Schleier oder Ärmel. Die Frauen verlangten ausser allgemeinen Beweisen der Liebe diese oder jene That des Gehorsams, oft auf sehr launenhafte Art, manche Ritter sind von ihrer Dame gezwungen worden, einen Kreuzzug mitzumachen. Überhaupt aber sollte der Waffendienst des Ritters der Frau gewidmet sein. Es braucht der besonderen Beweise nicht, um einesteils das Unsittliche, andernteils das Unmännliche eines solchen Dienstes nachzuweisen; aber es ist eben so sicher, dass, obgleich manche Ritter diesem Dienste huldigten, derselbe doch mehr in ihren Köpfen und ihrer Phantasie, namentlich aber in ihren Liedern vorhanden war, als auf ihren Burgen, und in Deutschland zumal ist es mehr der gesellschaftliche und poetische Reflex, der aus der Provence herüberscheint, als die Sache selber. Würdiger eines tugendhaften Ritters –[869] und Tugend stand bei der Würdigung des Ritters stets obenan – war der Zug der Zeit zu treuer und reiner Liebe, die sich jedoch auch in den Formen ritterlicher Galanterie bewegt. Mit der konventionellen Frauenminne oder dem Frauendienste war im aufgeschlossenen Gemüte dieser Zeit natürlich auch wahre Liebe erwacht, die den Jüngling zur Jungfrau hinzieht.

Diese Minneträger sind nicht mehr frouwe und herr, sondern man und wîp, und der beliebte Streit, was edler und besser sei, frouwe oder wîp, beruht wesentlich auf der Frage nach höfisch konventioneller Minne oder nach der ticfer gegründeten Liebe. Die wenigen tiefempfundenen Lieder unter der Unzahl der Minnelieder sind Lieder der Liebe; die Liebe ist es auch, die, immerhin an den ritterlichen Frauenkult erinnernd, das Nibelungenlied und die Gudrun in sich aufgenommen haben:


soltu immer herzenlîche zer werlte werden frô,

daz kümt von frowen minne, du wirst ein schoene wîp,

ob dir got gefüeget eins rechte guoten ritters lîp.


Darin klingt noch tief und voll die ältere Auffassung vom Verhältnis des Mannes zum Weibe, und ebenso in dem zweiten Grund der Abweisung Kriemhildens (der erste ist, dass sie ihrer jungfräulichen Schönheit nicht verlustig gehen will), dass liebe mit leide ze jungest lônen kan. Denn während der Name Minne in seinem ursprünglichen Werte längst verdunkelt, zum konventionell höfischen Liebesausdruck geworden war, gab das Wort liebe eben durch seinen Gegenpart, das leit, dem Begriffe neues, unmittelbares Leben, das ausserhalb der, höfischen Gesellschaft, in dem Schicksal des Herzens selber, seinen Grund hatte.

Zur ritterlichen Gesellschaft gehört durchaus der Sänger. Es ist kein Zweifel, das Mittelalter hätte auch unter anderen Lebensbedingungen als denjenigen des Lehenswesens eine Lyrik und daher auch einen Stand der Lyriker hervorgebracht; da nun aber in der Form der ritterlichen Gesellschaft seine Blüte aufging, so musste auch der Sänger ein Glied des Rittertums sein. Da wo Hartmann von Aue ein Bild seines ritterlichen Helden, des armen Heinrich, giebt und erzählt, wie herrlich es um ihn gestanden an êre, zuht, milte, tugent, triuwe, jugent, da schliesst er sein Bild mit den Worten: er sanc vil wol von minnen. Der Gesang verlangte aber Form und Gehalt, Wort und Wohllaut. Wie der Bitter mit Lanze und Schwert der Frau diente, was doch auch hätte unterbleiben können, so diente mit mehr Recht und Billigkeit de Dichter seiner Herrin mit dem Liede. Auch ihm musste sich nach der Sitte der Zeit die Dame erkenntlich erweisen, ja sie nahm ihn, wenigstens in Frankreich und Italien, förmlich in ihren Dienst. Noch mehr als Waffenkunst stellte die Dichtkunst den Sänger, auch den Armen, den Hohen und Fürsten gleich. Es konnten natürlich nicht alle singen, doch hat jeder Stand des Rittertums, bis zu den Kaisern hinauf, seine Sänger gehabt, und wer von den Fürsten nicht selber singen konnte, der wurde Gönner und Freund der Sänger. Hat doch sogar die Sage den kunstliebenden Hof des Landgrafen Hermann von Thüringen zu Eisenach bleibend verklärt.

Der Ritterstand war also in seiner Entstehung und höchsten Ausbildung mehr eine Würde, eine Ehre, die auf der Person ruhte, von ihr erworben werden musste, mit ihr starb und von jedem Sohn neuerdings genommen werden musste, als ein Geburtsstand mit gewissen staatlichen Rechten; denn auch die Rechte, welche die[870] Ritterwürde gab, waren bloss Ehrenrechte der höfischen Gesellschaft, Gemeinsamkeit des Kampfes, der Tafel, der Kleidung, der Erziehung, und nicht der staatlichen Ober- und Unterordnung, des Gerichts- und Eigentumswesens. Für den hochgestellten Mann, den König, Herzog, Fürsten, Grafen, blieb daher das Rittertum ein Schmuck, eine Grundlage der Geselligkeit, später eine Erinnerung an eine glänzende Vergangenheit, wie denn Maximilian der letzte Ritter genannt wurde. Dagegen für die untern Schichten des höfischen Standes, die Dienstmannen und die Lehnsmannen, war die Angehörigkeit zum Ritterstand nicht bloss eine Brücke zur geselligen Vereinigung mit den höchsten Lebenskreisen, sondern zugleich ein Mittel zu selbständiger rechtlicher Stellung. Nur diese Ritter niederen Adels sind es, welche sich zu einem Geburtsstande entwickeln, der sich auf Lehnfähigkeit und Lehnfolgefähigkeit gründet; statt lehnfähig heisst es nun, vornehmer klingend, von rittersart, rittermaezec, ritterbürtig. Mit diesem Hauptrechte der Lehnsfähigkeit verbanden sich dann allmählich noch andere Vorzüge, wie Wappenfähigkeit, Turnier- und Stiftsfähigkeit, Hoffähigkeit, auch Steuerfreiheit und Landtagsfähigkeit, die Fähigkeit, im Lehngerichte als Richter und Schöffe aufzutreten. Bei der Vorliebe des Mittelalters für zunftmässige Vereinigungen konnte es sodann nicht fehlen, dass nicht auch die Mitglieder des Ritterstandes zu ähnlichen Verbindungen zusammentraten. Dahin gehören als natürliche Genossenschaften einerseits die ritterlichen Lehenbesitzer von Reichsgütern, die sog. Reichsdienstleute, Reichsritterschaft genannt, und anderseits die ritterbürtigen Leute einer gewissen Landschaft, Landesritterschaft genannt; sodann bildeten sich auch freie ritterliche Genossenschaften mit eigenen Statuten und Ordnungen aus, die sog. Ritterorden und Rittergesellschaften, siehe die besondern Artikel. – San-Marte, die Gegensätze des heiligen Grales und von ritters orden. Halle, 1862. – Schultz, höfisches Leben. – Falke, die ritterliche Gesellschaft im Zeitalter des Frauenkultus. – Weinhold, die deutschen Frauen.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 863-871.
Lizenz:
Faksimiles:
863 | 864 | 865 | 866 | 867 | 868 | 869 | 870 | 871
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Ein Spätgeborner / Die Freiherren von Gemperlein. Zwei Erzählungen

Die beiden »Freiherren von Gemperlein« machen reichlich komplizierte Pläne, in den Stand der Ehe zu treten und verlieben sich schließlich beide in dieselbe Frau, die zu allem Überfluss auch noch verheiratet ist. Die 1875 erschienene Künstlernovelle »Ein Spätgeborener« ist der erste Prosatext mit dem die Autorin jedenfalls eine gewisse Öffentlichkeit erreicht.

78 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon