[656] Ministerialität. Ministeriales, ahd. dienestmann, Dienstmann, Dienstleute. Ursprünglich, in der fränkischen Periode, verstand man darunter überhaupt Leute in einer dienstlichen Stellung, wie sie an den Höfen des Königs, der geistlichen Stifter und der weltlichen Grossen freie oder unfreie, hohe oder niedrige Leute einnahmen. Spätere Zeit benannte mit diesem Ausdrucke vorzüglich solche abhängige[656] Leute, welche durch bewaffneten Dienst und hier wieder namentlich durch Leistung von Rossdienst, für den sie vom Herrn Land zu Benefizium empfingen, sich in eine von den übrigen abhängigen Leuten unterschiedene Stellung emporarbeiteten, die zuletzt ihren Abschluss in der näheren Beziehung zum Hofdienst erhielt. Erst seit dem 11. Jahrhundert war diese gesellschaftliche und rechtliche Bildung zu einer bestimmten Anerkennung gelangt, und gab es seitdem ein Recht und einen Stand der Ministerialen, obgleich auch immer noch grosse Verschiedenheiten herrschten. So hatten, wie vor alters die Königsleute, so jetzt die Dienstmannen des Königs oder des Reichs eine bevorzugte Stellung, dann die der Erzbistümer und Bistümer, der Klöster und unter diesen der Reichsabteien, deren Recht den Ministerialen anderer Klöster verliehen wird; es kommt daher seit dem 11. und 12. Jahrhundert wiederholt zu Aufzeichnungen einzelner Dienstmannenrechte (siehe diesen Artikel). Was den Eintritt in die Klasse der Ministerialen betrifft, so hing es zunächst von dem Herrn ab, wen von den abhängigen Leuten er zu dem Hof- oder Heerdienst heranziehen wollte, in manchen Fällen aber auch von dem, der Eintritt begehrte; später jedoch wurde das Verhältnis ein dauerndes und erbliches, das nicht einseitig aufgehoben oder geändert werden konnte. Im Wesen der Ministerialität liegt es, dass persönliche Freiheit und Dienstbarkeit nebeneinander liegen und miteinander streiten; insofern die Dienstleute zu Dienst verpflichtet sind, einen Herrn haben, dem sie Dienst schuldig sind, dem sie angehören, dessen Diener, Knechte sie heissen, sind sie unfrei. Aber der Dienst selbst heisst freier Dienst, und die Bedeutung der Abhängigkeit tritt besonders dann zurück, wenn als der Herr nicht eine Person, König, Bischof oder dergleichen, sondern die Gewalt selbst, das Reich, Bistum, Fürstentum betrachtet wird. Gehören sie weder zu den rechtlich Freien noch zu den Vasallen, so gehören sie doch zu der angesehenen und ehrenvollen Stellung der Reisigen oder Ritter, deren Rüstung und Tracht sie auch tragen. Dem Todfall (siehe Fall) sind die Ministerialen meist nicht unterworfen, ebensowenig einem Heiratsgeld; doch durften sie anfangs mit einer fremden Frau keine Vermählung eingehen; Ehen mit freien Frauen, die oft vorkamen, genossen besondere Begünstigung. Zu Zeugnissen, Besitzübertragungen und anderen Rechtsgeschäften sind sie neben den Freien befugt, sie nehmen teil am Grafengericht, die Ministerialen des Reichs am königlichen Hofgericht. Hinwiederum hat der Herr ein Verfügungsrecht über sie, er kann sie, d.h. die Rechte, welche er über sie hat, an andere übertragen. Sie sind dem Herrn zur Treue verpflichtet, die sie eidlich geloben.
Der Hofdienst, der um die Person des Königs und der Grossen zu leisten ist, spaltet sich nach den Ämtern des Kämmerers, Truchsessen, Schenks und Marschalls. Auch diese Hofämter sind ursprünglich nach dem Belieben des Herrn vergeben, auf Zeit, ohne bestimmte Dauer; er war auch kein permanenter, sondern wechselte vielmehr; von den vielen Ministerialien eines geistlichen Stiftes sind die einzelnen den verschiedenen Ämtern zugeteilt, haben aber zeitweise den wirklichen Dienst zu leisten. Später aber sind die einzelnen Ämter auch erblich verliehen und gewähren Ansehen, Vorteile, Reichtum und Macht; sogar höher gestellte Freie verschmähten nicht in den Dienst der reichen Stifter zu treten und als Vorsteher der oberen Hofämter zu fungieren. Über den Kriegsdienst[657] der Ministerialen, siehe den Artikel Heerwesen.
Wer zum Dienst herangezogen ward, empfing Unterhalt, Kleidung und Beihilfe zur kriegerischen Rüstung; Wohnung und Kost diejenigen, die im täglichen Dienst des Herrn standen; besonders aber Land als Lehen, wobei später mit bestimmten Ämtern bestimmte Benefizien verbunden waren, die ebenfalls mit der Zeit erblich wurden. Ministerialen werden mit den Gütern veräussert und die Güter mit jenen. Von diesen Gütern erhalten sie auch später die unterscheidenden Namen, die dann Familiennamen wurden. Da zu Anfang die Beziehung auf den Herrenhof überwog, konnten solche Namen verschiedenen Familien gemeinschaftlich sein. Ein Ministeriale konnte auch Eigengut haben, ebenso auf seinen Gütern Knechte und andere abhängige Leute, die ihn als Knappen in den Dienst begleiteten. Einzelne Ministerialen spielten als Begleiter ihrer Herren, als Inhaber der grossen Hofämter, als Räte eine bedeutende Rolle; namentlich wird manches von Vergewaltigungen berichtet, die sie von festen Burgen aus an den geistlichen Stiftern begangen haben; auch auf Besetzung der geistlichen Stifter erlangten sie Einfluss. In allen wichtigen Angelegenheiten nahmen sie ein Recht des Beirats, der Mitwirkung in Anspruch, treten als gedigene, Degenschaft, den Bischöfen und Äbten zur Seite; vor allem gaben sie ihre Zustimmung bei Aufnahme in ihre Gemeinschaft oder bei Veränderungen, die den Besitzstand betrafen. Überhaupt bildeten sie als durch gleiches Recht und gleichen Dienst Verbundene eine Genossenschaft, zu der bald alle unter demselben Herrn stehenden, bald bloss solche zählten, die zu einem einzelnen Hof oder Dorf gehörten; in den Bischofstädten war die Ausübung des Münzrechtes oft einem Teil der Ministerialen übertragen, die dazu eine eigene Vereinigung bildeten, für welche der Name Hausgenossen in Gebrauch kam.
Ministerialen wurden besonders zur Verteidigung befestigter Orte verwandt, bildeten die Besatzung von Burgen, wie schon unter Heinrich I. berichtet wird. Bischöfe und Äbte hatten eine Anzahl ihrer Dienstleute an dem Sitze des Stiftes zur Hand. Daneben beteiligten sie sich in den Städten, wo sie sich niederliessen, an friedlichen Geschäften, waren als Münzer zugleich Wechsler und trieben Warenhandel.
Seit dem 13. Jahrhundert wurde der Grund der Ministerialität nicht mehr in den besonderen Pflichten dieses Standes, sondern wie bei den Vasallen in den ihnen verliehenen Lehen gefunden; das Dienstverhältnis löste sich in das Lehnrecht auf; die persönlichen Bande, die den Dienstmann an den Herrn geknüpft hatten, lockerten sich, und der ordentliche Hofdienst wurde durch besoldete Hofbeamte ersetzt. Auch der Sprachgebrauch änderte sich, und die Ministerialen wurden geradezu als Freie bezeichnet; Dienstmann und Vasall wurde gleichbedeutend, Meist nach Waitz, Verf.-Gesch. V. 289 ff. Vergl. Nitzsch, Ministerialität und Bürgertum im 11. und 12. Jahrh. Leipzig 1859.