Narren

[712] Narren. Name und Begriff des Narren, ahd. narro, mhd. narre, dunkler Herkunft, spielen in den Zeiten des ausgehenden Mittelalters eine grosse Rolle; seitdem sich der Geist der Zeit von den religiösen, gesellschaftlichen, staatlichen, künstlerischen Prinzipien der höfischromantischen Welt losgelöst hatte und nach neuen Grundlagen des Lebens drängte, konnte es nicht ausbleiben, dass der Gegensatz zwischen dem Weisen und dem Thoren, dem Vernünftigen und Unvernünftigen mit in den Vordergrund der Zeitbegriffe rückte und nach festen, plastischen Formen in Sprache, Litteratur, Kunst und in dem Leben der Gesellschaft ausging. Damit verbanden sich ältere, meist der Volkskomik angehörende Elemente, didaktischer Inhalt des alten Testamentes, Einfluss antiker Schriftsteller und welsche, besonders italienische Einflüsse komischer und humoristischer Art, die ihrerseits zum Teil wieder auf altrömischen Gebräuchen beruhen. Eine zusammenhängende Untersuchung über diese genannte Erscheinung fehlt bis jetzt, am meisten findet man in der Einleitung zur Ausgabe von Sebastian Brants Narrenschiff durch Zarncke und in Weinholds Abhandlung über das Komische im altdeutschen Schauspiel, in Gosche's Jahrbuch für Literaturgeschichte, Bd. 1.

Die ältere Zeit zieht den Namen tôre dem narren vor, gebraucht aber synoym damit vielfach die Namen der drei Tiere affe, esel und gouch, wie es z.B. in alten Sprüchen heisst: Ich bin ir narr, ir gouch, ir aff, in esels weis ich si angaff; affen zegel (Schwänze) und esels ôren tragent veil der werlte tôren; die Wichtigkeit des Affentums in dieser Zeit, die übrigens mit dem lautlichen Zusammenhang des Tiernamens mit dem Worte Affentür, Affenteur statt Aventur, Abenteur zusammenzuhängen scheint, ergiebt sich unter andern aus den Kompositionen affenbanc, affenberc, affenhôchzît, affenhût, affenkleit, affenrât, affensalbe, affenseil, affensmalz, affenspil, affenspîse, [712] affental, affentanz, affenvuore, affenwort, affenzagel und affenzît, wo überall statt des Tieres Thor oder Narr gesetzt werden kann. Früh ist der Esel zur Ehre eines unvernünftigen Tieres gekommen; Notker sagt schon von einem Narren, er lebe in esiles wîse, und später heisst es: Esels stimme unt gouches sanc erkenne ich ân ir beider danc; ist er ein esel oder gouch, dasselb ist er zuo Paris ouch; swâ man den esel kroenet, da ist daz lant gehoenet; der esel gurret ûf den wân, er waenet wol gesungen hân; maneger wolte gerne sîn ein esel oder ein eselin, daz man seite maere, wie wunderlich er waere; bî rede erkenne ich tôren, den esel bî den ôren. Zahlreiche althergebrachte Redensarten drehen sich um das langohrige Tier: einem den esel bohren, den esel zeigen, den esel stechen, d.h. den Zeige- oder kleinen Finger gegen ihn ausstrecken, während die übrigen drei eingebogen werden, einem den esel strecken, schnitzen, den esel kroenen, einen auf den esel setzen oder bringen, den esel reiten, eine beschimpfende Strafe, die aus Bürger's Ballade »Der Kaiser und der Abt« bekannt ist; von Zusammensetzungen mit dem Esel gebraucht allein Dr. Luther Eselbapst, Eselbischof, Eseljurist, Eselreiter, Eselsforz, Eselskopf, Eselskunst, Eseltheolog.

Das dritte Tier, den Gauch oder Kukuk, kennt ebenfalls schon Notker als Sinnbild des Narren, wenn er zusammenstellt der unwîso unde der gouh; später heisst es: wîsiu wort unt tumbiu werc, diu habent diu von Gouchersberc; der ablâz dunket tôren guot, den ein gouch dem andern tuot. Zum ausgeführten Bilde der Narrenwelt wurde der Gauch in der Gauchmatte oder Geuchmatte, ein Name, der im 16. Jahrhundert sprichwörtlich wurde, durch zwei Dichtungen Gengenbachs und Murners, die beide in Basel spielen; es ist die Darstellung einer Matte, auf der die Gäuche, die verliebten Narren, zu einem Feste zusammenkommen, eine Vorstellung, die sich an eine Seite des uralten Maifestes anschliesst. Zu den Maitänzen nämlich vereinigten sich einzelne Paare, die oft das Los oder die Darreichung und Annahme eines Laubreises und Strausses bestimmte, und die dann den ganzen Sommer oder das grosse Fest hindurch miteinander tanzten. An jenem Feste hatte der Kukuk eine wichtige Rolle als Bote des Frühlings und wurde als solcher gefeiert; sein Rufen galt den Liebenden als Wahrsagung, man machte sein Rufen nach und stieg zu diesem Zwecke sogar auf Bäume.

Als Name für den unweisen Menschen wird in älterer Zeit, wie schon erwähnt, tôr angewendet Vrîdanc hat einen längeren Abschnitt, der überschrieben ist Von den wîsen und tôren. Er beginnt mit dem Spruch: Got hat den wîsen sorge gegeben, dâ bî den tôren senfte leben, und fasst in dem Sinne dieses Eingangsspruches den Thoren allgemein als denjenigen, welcher unvernünftig handelt, und noch nicht als besondern Stand: wir gevallen alle uns selber wol, des ist daz lant der tôren vol. Swer waenet, daz er wîse sî, dem wont ein tôre nâhe bî. Dem tôren dunket selten guot, swaz ein wîse man getuot. Swer tôren welle stillen, der rede nâch ir willen.

Indessen brauchen doch schon Zeitgenossen Freidanks auch das Wort narr und die Zusammensetzungen narrenweg und narrenspil; so erscheint der Kolben, den der Narr trägt, wenigstens im 14. Jahrhundert, ein Beweis, dass sich in dieser Zeit, ohne Zweifel von Frankreich und Italien her, der Begriff der Narren als einer selbständigen Gestalt und Bildung, einer besondern Spezies der Menschen, auszubilden begonnen hatte; auch das romanische Wort fou, von spät lat. foltere, sich hin und her bewegen, [713] follis, etwas sich hin herbewegendes, auch Blasebalg, daher folle soviel als possenhaft, grillenhaft, ist erst im Mittelalter in Gebrauch gekommen. Das 15. Jahrhundert hat bereits ganze Fastnachtspiele, die von Narren handeln, aber es sind fast immer nur die verliebten Narren gemeint; siehe übrigens über den Narren im Spiele weiter unten. Seine bleibende charakteristische Gestaltung in der Litteratur und dadurch auch in der Anschauungs- und Ausdrucksweise der Zeit überhaupt erhielt jedoch der Narr bei uns erst durch Sebastian Brants, im Jahre 1494 zuerst erschienenes Narrenschiff, wo auch zuerst die besonderen Beziehungen des Narrendaseins zum vollen sprachlichen Ausdruck gelangten; von Brant stammen die Redensarten: Er ist in der narren rott, im narrenorden, die pfîfen zuo dem narrenreien, narrentanz, narrenfelt, narrenberg, die ziehen doch den narrenpfluog und danzt hernach am narrenholz, und wird am narrenseil gefüert, man sicht sie im narrenstrick, er gehort uf den narrenschlit, man setzt in uf den narrenbank, ich dunk in tief in narrenbrî, er stäckt im narrenbrî. Die Wirkung des Narrenschiffes war eine ausserordentliche, es wurde das gelesenste Buch seiner Zeit, durch zahlreiche deutsche Ausgaben in Deutschland, durch zwei lateinische Bearbeitungen in der europäischen Gelehrtenwelt und durch mehrfache Übersetzungen in die französische, englische und niederländische Sprache auch in der ungelehrten Leserwelt dieser Länder verbreitet; Deutschland erstattete Frankreich damit zurück, was dieses ihm an Narrenerscheinungen zu- und vorbereitet hatte. Der Verfasser des Narrenschiffes wurde als der erste deutsche Dichter gefeiert, als ein zweiter Dante, eine Epoche der Litteratur sollte mit ihm begonnen haben.

Wirklich ist auch durch das ganze 16. Jahrhundert und bis in das erste Viertel des 17. kaum ein deutscher Dichter von Brants Narrenschiff unabhängig, die bedeutendsten unter ihnen am meisten; doch bezieht sich diese Abhängigkeit in erster Linie auf die Weltanschauung Brants überhaupt, auf seinen sittlichen und vernünftigen Massstab, mit dem er die Dinge misst, auf den reichen und vollen Gebrauch der freien Rede, und erst in zweiter Linie auf das Narrentum. Dennoch ist auch sein Narrentum als der Revers der Weisheit, der Schatten hinter dem Lichte der Vernunft, in zahlreichen Büchern und Dichtungen weiter gebildet worden. In der lateinischen Litteratur der Gelehrten steht hier des Erasmus Enkomium Moriae obenan, das selber wieder ein eigentliches Weltbuch geworden ist; vgl. die Übersetzung der Moria durch Sebastian Frank, Ausgabe von Ernst Götzinger, Leipzig 1884. Von deutschschreibenden Schriftstellern hat sich zuerst Thomas Murner das Narrenschiff zum Vorbilde von vier Hauptwerken genommen, der Gäuchmatt, der Schelmenzunft, der Narrenbeschwörung und vom groben lutherischen Narren. Während aber der streitbare Mönch mit seinen Narren allmählich in die hasserfüllte religiöse Partei-Satire gedrängt wurde, blieb Hans Sachs in seinen zahlreichen Narrengedichten bei der Verspottung des menschlich Unvernünftigen stehen und verstand es mit seinem heitern Humor, fern von aller Verletzung berechtigter Interessen, der Thorheit ihr natürliches Recht zu gönnen und zu lassen. Sein berühmtestes Narrengedicht ist das Fastnachtspiel, das Narrenschneiden, wo das Wort Narr die Personifikation einer bestimmten Narrheit bedeutet, Hoffart, Geiz, Neid, Unkeuschheit, Füllerei, Zorn und dergl.; überhaupt aber


Allerlei Gattung, als falsch Juristen,

Schwarzkünstler und die Alchamisten,[714]

Finanzer, Alefanzer und Trügner,

Schmeichler, Spotfeler und Lügner,

Wunderer, Egelmeier und leunisch,

Grob, ölperer, unzüchtig und heunisch,

Undankbar, Stocknarren und gech,

Fürwitzig, leichtfertig und frech,

Gronet und gremisch, die allzeit sorgen,

Böss Zaler, die doch gern borgen,

Eiferer, so hüten ihrer Frauen,

Die on Not rechten, und on Not bauen,

Spieler, Bögschützen und Waidleut,

Die viel verton nach kleiner Beut,

Summa Summarum, wie sie nannt

Doktor Sebastianus Brant

In seinem Narrenschiff zu farn.


Narrenschwänke von Hans Sachs sind der Narrenbrüter, der Kram der Narrenkappen, der Narrenfresser, das Narrenbad; von andern Dichtern stammen Spiele, Sprüche und Lieder, genannt das Narrengiessen, die Narrenschule, die Narrenkappen, die Narrenhatz, Spital unheilsamer Narren. Mit der Einführung des Opitzischen Geschmackes geht diese Litteratur, die durchaus volkstümlich war, aus; einzig Abraham a St. Clara hat noch einen nicht unglücklichen Nachtisch geliefert in seinem Centifolium stultorum in Quarto oder hundert ausbündige Narren in Folio.

In allen genannten Narrenschriften bezeichnet der Narr denjenigen, der in seiner Lebensführung, dieselbe mag im übrigen sein welche sie wolle, vom Wege der Vernunft abweicht; diese Narrheit ist eine Krankheit, eine Schwäche, die abgelegt und geheilt werden soll und kann, eine Verirrung, die auf den rechten Weg zurückgeführt werden muss. Parallel mit diesen Narren geht nun in der Literatur eine andere Narrenklasse von geborenen Narren, von Naturnarren, denen die Natur selber das Recht ihrer Existenz gegeben hat, die nicht in ihrem Berufe närrisch handeln, deren Beruf vielmehr ist, Narr zu sein. Die höfische Gesellschaft kennt auch diese Narren nicht; äusseres Ansehen, hoher Stand decken die Mängel des Verstandes; diese Narren gehören der niederen Volksklasse an. Sie sind aber wieder unter sich verschieden; entweder sind sie ganze Narren, oder sie sind Schalksnarren, die ihrem niedern Stand getreu auch ein geringes Mass von Weisheit anwenden und sich namentlich darin gefallen, durch Ungezogenheit, unflätige Worte und Geberden, gute und schlechte Witze die Weisheit und die Lebensart der höhern Stände parodierend zu verhöhnen. Einzelne Streiche gehören der Weltliteratur an und verbreiten sich über ganz Europa, sind sogar in Asien nachgewiesen worden. Ein solcher Schalksnarr ist Markolf oder Morolf in dem sehr alten Roman oder Volksbuch von Salomon und Morolf, ein einfältiger, tölpelhafter Bauer, der aber mit seinem Mutterwitz den weisesten König doch zu Schanden macht, ein Vorläufer oder Vorbote des Hofnarren. Mit Vorliebe erzählen andere Bücher von Pfaffen niedrigen Standes, welche durch tolle Streiche diesen ihren Stand gleichsam rächen, so das Buch vom Pfaffen Amis von dem Stricker, der Pfaff vom Kutenberg und Peter Leu, der ursprünglich Blockträger in Hall war, dann unter die Armaniaken geriet und zuletzt Pfaff wurde. Der vollendetste Volksnarr des niedern Volkes wird aber Eulenspiegel. Die Spezies der Ganznarren ist vertreten durch die Schildbürger; dieses Volksbuch ist aus der Zusammenfassung vereinzelter Stichelschwänke über gewisse Städte und Städtchen entstanden, verrät aber in seinem unbekannten Verfasser einen recht geistvollen Kenner des menschlichen Herzens. Von einem der vielen Weisen Griechenlands lässt er das Völklein abstammen und ursprünglich mit der höchsten Weisheit[715] begabt sein; sie werden daher von allen Fürsten zu Rat berufen und keiner von ihnen kann daheim bleiben, bis endlich ihre Weiber sie zurückfordern, ihr verwildertes Hauswesen herzustellen; worauf sie denn, um ferneren Drang nach ihrer angeborenen Weisheit zu vermeiden, beschliessen, sich närrisch zu stellen, und sich nun allmählich so in die Narrheit verlieben und festrennen, dass sie nicht mehr anders können. Nachdem sie sich in allen Arten der Narrheit meisterlich versucht und befestigt und vom Kaiser ein Privilegium mit Brief und Siegel dafür erhalten haben, geht ihre Narrheit zuletzt ins Tragische über, zerstört ihren eigenen Wohnsitz und zwingt sie, nach allen Gegenden hin auszuwandern: so sind sie nun wieder, wie die Juden, durch die ganze Welt zerstreut und überall anzutreffen.

An den Narren der didaktischen und erzählenden Litteratur schliessen wir den Narren des Schauspiels; er steht mitten inne zwischen einer allegorischen Personifikation der Thorheit und Unvernunft und zwischen dem lebendigen Lustigmacher der Gesellschaft. An die Auffassung des Lasters als Thorheit erinnert im mittelalterlichen Schauspiel die Behandlung des Teufels als komischer Person; als Vater der Sünde ist der Teufel auch Vater der Thorheit; andere mit der Narrheit verflochtene Personen sind die Verliebten oder Liebesnarren, die Ehenarren, Männer, welche ihren Frauen die Hose mit dem längern Messer lassen, der Faulenzer, der Aufschneider, unter den einzelnen Berufsklassen in erster Linie der Bauer, dann der Hirte im Anschlusse an die Hirten im Weihnachtsspiel, die Gärtner, die Söldner, welche im Passionsspiel die Wächter am Grabe vorstellen; seltener werden fahrende Leute, und eigentliche Handwerker, etwa Schneider, Schuster, Leineweber für das dramatische Spiel verwendet; dagegen sind beliebte komische Personen die Krämer, Quacksalber nnd Ärzte, durch den Salbenkrämer im Passionsspiel veranlasst, welcher die älteste lustige Person unseres Schauspiels ist, dann die Juden, Mönche, Pfaffen und alten Weiber; doch sind diese Figuren nicht die eigentlichen Quellen und Vorbilder der Narren als einer bestimmten einzelnen Person des Spiels; vielmehr entwickelte sich der Narr des Dramas aus den Lustigmachern, welche neben dem Spiel herliefen und deren Aufgabe es war, Raum für die in Gesamtheit auftretenden Spieler und die nötige Stille zu schaffen; zugleich dienten sie als Ein- und Ausschreier oder Vorläufer. Es scheint nun, dass zwei Strömungen nebeneinander liefen, eine, welche diesen Gaukelmann, gouggler, wie bisher die genannten Funktionen verrichten liess, und eine ernstere, die ihn in einen ehrsamen Spruchsprecher, oft auch in einen stattlichen Herold umzuwandeln zwang, neben welchen dann jene Narren blos noch neben zu mitliefen; manchmal gebot der Narr bloss Stillschweigen, mit der Aufforderung, dem Argument des Herolds zu lauschen. Zu einer charakteristischen Benutzung des Narren erhob sich die dramatische Kunst des deutschen Dramas im 16. Jahrhundert nicht; nur Jacob Ruef aus Zürich machte ihn in seinem Neujahrsspiel bedeutender, indem er ihm die Aufgabe politischer Satire gab, und Hans Sachs gab ihm in der Esther die Stimme des gesunden Verstandes, der schimpfweis die Wahrheit sagt, und legte ihm sogar in der »Comedia« von Vater Sun und Narr mephistophelische Züge bei, was aber nur vereinzelt blieb.

Durch das Vorbild der englischen Komödianten kam der englische [716] Clown ins deutsche Schauspiel; der Herzog Heinrich Julius von Braunschweig nennt ihn stets Jahn, und stellt ihn als scheinbar dummen, aber mutterwitzigen Knecht hin; in den Tragödien und Komödien des Jakob Ayrer heisst er seltener Narr, sonst auch Jahn, ein unflätiger Knecht, in einzelnen Spielen mit den besonderen Unterscheidungen Jahn der Bott, Jahn Posset, Jahn Clam der Bott, Jahn Panser der Leibknecht, Jahn der Narr, Jahn der Kurzweiler, Jahn Türk der närrische Knecht; auch in Fastnachtsspielen hat Ayrer den Jahn verwendet, aber ebenfalls ohne Glück.

Wieder andere Namen für den Narren begegnen in den zahlreichen Spielen, die im 16. Jahrhundert von Geistlichen und Schulmeistern verfasst wurden: Narrolt oder Reckenkolben, Hans, Heinz, Jäckel, Jogle, Veit, Claus, Lorenz; Hanswurst und Hans Han bezeichnen anfangs nur den Bauernhans, den groben Tölpel.

Nicht minder mannigfaltig als die Erscheinung des Narren in dem ältern Schrifttum ist diejenige im Leben des Volkes; auch dieses Narrentum ist international und hat sich mehr in den Ländern romantischer Zunge und in Deutschland in den Grenzgebieten, besonders in Köln und Wien festgesetzt. Dass auch die Kirche daran teilnimmt, braucht für das Mittelalter keiner Entschuldigung, da sich in ihr oft religiöse Weihe hart und unvermittelt mit höchst weltlichem Gebahren zusammen gekoppelt vorfindet. An römische Gebräuche bei der Saturnalien-Feier pflegt man das sogenannte Narrenfest anzuknüpfen, festum fatuorum, stultorum, follorum, von dem im 12. Jahrhundert zuerst ein Theolog berichtet. Man liess die Schüler Kinderäbte und Kinderbischöfe wählen, welche in den Kirchen den liturgischen Dienst versehen, es wurden dabei eigens gedichtete Lieder gesungen und Prozessionen veranstaltet. Nachher wurde die Parodie zur burlesken Mummerei. Die Zeit der Feier war gewöhnlich zwischen Weihnachten und Epiphanien. An Stelle des Kinderabtes und Kinderbischofes trat dann ein Narrenbischof oder Narrenerzbischof oder ein Narrenpapst: die als Weiber, Tiere oder Possenreisser vermummten Geistlichen betraten das Chor mit Tanzen und Absingen schlechter Lieder; auf dem Altar, vor der Nase des messelesenden Priesters, assen die Diakonen und Subdiakonen Würste, spielten Karten und Würfel, thaten alte Schuhsohlen u. dgl. ins Rauchfass. Auch in den Mönchs- und Nonnenklöstern wurde das Narrenfest gefeiert, das zu Antibes bei den Franziskanern folgendermassen vor sich ging: Am Tage der unschuldigen Kinder kamen statt des Guardians und der Priester die Laienbrüder ins Chor, zogen zerrissene und umgewendete priesterliche Kleider an, hielten die Bücher verkehrt, hatten Brillengestelle auf der Nase, worin statt der Gläser Pomeranzenschalen befestigt waren, bliesen die Asche aus den Rauchfässern einander ins Gesicht oder streuten sie sich auf die Köpfe, murmelten unverständliche Worte und blökten wie das Vieh.

Immer ist es mehr der Name Narrenfest als die Person des Narren, die hier beteiligt ist. Der eigentliche Narr in der Gesellschaft des Mittelalters ist eine Verbindung des freiherumgehenden Blödsinnigen mit dem Lustigmacher, wobei die Heranziehung des erstern in die Gesellschaft nicht blos ein rohes Vergnügen, sondern zugleich eine Versorgung solcher für diesen Zweck noch brauchbarer Menschen gewesen sein mag. Die Entwickelung dieser Figur findet teils innerhalb der gesellschaftlichen Formen des Mittelalters, am Hofe, in den Städten[717] statt, teils im Anschlusse an den italienischen Karneval. Die Entstehung des Hofnarrentums liegt im Dunkeln. Nur so viel ist sicher, dass die Hofnarren, zuerst in Frankreich, an die Stelle der Hofspielleute und Possenreisser traten; auf deutschem Boden erscheint ein solcher narre oder tôre zuerst in einer der Fortsetzungen von Gottfrieds Tristan, die ums Jahr 1300 verfasst ist; hier lässt sich Tristan, um zu einer Dame zu gelangen, ein tôrenkleit machen von wunderlîchen sachen, einen rock seltsaen getân, und eine gugel daran ûz snoedem tuoche, daz was grâ, darûf gesniten hie unt dâ narren bilde ûz rôter wât, daz nieman gesechen hât so toerisch einen rok gestalt, und nam einen kôlben grôz; aus seinem verruchten Gebahren, das er nur der Königin gegenüber zur Schau trägt, ersieht man deutlich, dass es sich hier um einen Blödsinnigen handelt, welcher der Sitte der Zeit gemäss seine eigene Kleidung und Tracht anhatte. Die Narren von Beruf und Anlage sind aber nicht durchweg verdingt, sondern treiben ihr Handwerk oft auf eigene Faust, indem sie bald hier bald dort, bald einzig, bald in Truppen sich anstellen lassen und bleiben, bis ihr Schatz geleert ist. Namentlich sind sie bei festlichen Anlässen unentbehrlich. Sie treten bald als eine eigentliche Körperschaft auf, die ihre eigenen Satzungen hat und sich namentlich durch ihre Kleidung äusserlich schon kennzeichnet. Auf einer französischen Spielkarte aus dem Schlusse des 14. oder dem Anfange des 15. Jahrhunderts findet sich ein solcher Narr (fou) in ganzer Figur dargestellt, umgeben von Kindern, welche ihn hänseln. Hier zeigt sich derselbe unterhalb, bis zu den Hüften hin, völlig nackt; nur um die Hüften, die Scham verhüllend, mit einer schmalen Sackbinde gegürtet. Den Oberkörper bedeckt eine Art Hemd mit mässig weiten unterwärts kurz aufgeschlitzten Halbermeln; darüber ein fast ebenso langer, tief ausgezaddelter Schulterkragen, der gleichmässig ringsherumfallend dem Halse ziemlich enge sich anschliesst. Die Kopfbedeckung hat die Form eines runden Spitzhutes mit turbanähnlicher Umwindung, aus der sich zur rechten und zur linken ein eselohrförmiger Lappen erhebt; die Spitze ist mit einer Schelle versehen. Das Gesicht ist bartlos, auch das Haupthaar völlig verdeckt.

Dieses Kostüm blieb in der Hauptsache unverändert bestehen. Schellenkappen, Eselsohren, Hahnenkamm, lange, mit Schellen besetzte Ermel, Kolben und Fuchsschwanz, nebst den tollen Sprüngen – das alles machte den Narren aus. Vgl. dazu die oben angeführte Abhandlung von Weinhold, S. 39 ff.

Reicher noch waren die Hofnarren gekleidet, so namentlich am französischen Hofe; doch geschah das nicht immer mit würdigen Nebenbeziehungen. So war es z.B. Sitte, die (übrigens kostbare) Kleidung der Narren aus demselben Stoffe herzustellen, mit dem der geheime Stuhl des Königs überzogen war.

Von den eigentlichen Hofnarren zu unterscheiden sind die sogenannten lustigen Räte, kurzweilige Räte oder Tischräte, meist geistreiche Männer, die sich des Vorrechts der freien Rede bedienten, um die Thorheiten und Gebrechen ihrer Zeit und Umgebung zu geisseln und zu verspotten. So ein Mann war der lustige Rat Kaiser Maximilians, Kunz von der Rosen. Auf fahrende Schalksnarren, die in keinem ordentlichen Dienste stehen, sollte gefahndet werden. Das Institut der Hofnarren dauerte etwa bis 1700.

Zuerst am Niederrhein, also wieder an der Grenze Frankreichs, wird von Gecken- und Narrengesellschaften erzählt, wohl in Nachahmung ritterlicher Orden errichtet;[718] die erste derselben wird im Jahr 1381 von 2 Grafen und 35 Herren aus der Cleveschen Ritterschaft gestiftet. Ihr Ordenszeichen, das sie gestickt auf ihren Kleidern trugen, stellte einen Narren vor, der eine halb rote und halb von Silber gestickte Kappe mit gelben Schellen, gelbe Beinkleider und schwarze Schuhe trug und eine vergoldete Schaale mit Früchten in der Hand hielt. Sie wählten alle Jahre einen König und sechs Ratsherrn; Narrenfreiheit, Freiheit von dem Zwange des lästigen Hofzeremoniells war der Hauptzweck der Gesellschaft. In Dijon bestand eine ähnliche, aber grössere Narrengesellschaft, genannt die Narrenmutter, La Mère folie, Mater stultorum, L'Infanterie Dijonnoie. Ihr Obmann, der sich durch gute Gestalt, gefällige Manieren und Rechtschaffenheit auszeichnen musste, hiess im Besondern die Narrenmutter und hatte einen eigentlichen Hofstaat; auf der Fahne der Infanterie waren eine Menge Narrenköpfe mit Narrenkappen gemalt, mit der Überschrift: Stultorum infinitus est numerus. Die 50 Schweizer, welche die Narrenmutter zu ihrer Wache hatte, waren die vornehmsten Künstler der Stadt. Der Aufnahme in die Brüderschaft ging ein Examen in Versen voraus, das mit Versen beantwortet werden musste. Gecken- oder Narrengerichte in kleinerm Massstabe gehören noch heute unter die Fastnachtlustbarkeiten mancher Gegenden.

Die letzte Ausbildung des Narrentums vollzieht sich im Geleite der italienischen Renaissance im 14. und 15. Jahrhundert. Es ist der römische und florentinische Karneval, der in Anlehnung an die Volkssitte, vielleicht auch an altklassische Züge und unterstützt von der damals herrschenden ausserordentlichen Freude an plastischen Darstellungen namentlich grosse Aufzüge zu Wagen, zu Pferd und zu Fusse veranstaltete, mit allegorischen Darstellungen der manigfaltigsten Art; beliebt war besonders der aus dem Heidentume herübergenommene Schiffwagen, eigentlich das Isisschiff, das am 5. März als Symbol der wieder eröffneten Meerfahrt ins Wasser gelassen wurde. Es ist dieselbe Vorstellung, die wahrscheinlich nach einem Vorbilde der Niederländer, zu denen der italienische Karneval Eingang gefunden hatte, unserm Sebastian Brant als Einkleiduug seines Narrenschiffes diente; eines Schiffes also, das auf einem Wagen gezogen, den Stand der Narren zu tragen bestimmt ist. Vgl. noch Flögel, Geschichte der Hofnarren, und Geschichte des Grotesk-Komischen.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 712-719.
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