Plastik

Fig. 113. Elfenbeinrelief des Tutilo.
Fig. 113. Elfenbeinrelief des Tutilo.
Fig. 114. Antependium von Basel.
Fig. 114. Antependium von Basel.
Fig. 115. Taufbecken in der Bartholomäuskirche in Lüttlich.
Fig. 115. Taufbecken in der Bartholomäuskirche in Lüttlich.
Fig. 116. Romanischer Kronleuchter aus Comburg.
Fig. 116. Romanischer Kronleuchter aus Comburg.
Fig. 117. Dreikönigsschrein im Kölner Dom.
Fig. 117. Dreikönigsschrein im Kölner Dom.
Fig. 118. Von der Kanzel zu Wechselburg.
Fig. 118. Von der Kanzel zu Wechselburg.
Fig. 119. Reiterstatue am Dom zu Bamberg.
Fig. 119. Reiterstatue am Dom zu Bamberg.
Fig. 120. Vom nördlichen Seitenportal der Hausfront des Strassburger Münsters. Ende des 13. Jahrhunderts.
Fig. 120. Vom nördlichen Seitenportal der Hausfront des Strassburger Münsters. Ende des 13. Jahrhunderts.
Fig. 121. Vom schönen Brunnen in Nürnberg.
Fig. 121. Vom schönen Brunnen in Nürnberg.
Fig. 122. Grabmal der Landgrafen Ulrich und Philipp in St. Wilhelm in Strassburg.
Fig. 122. Grabmal der Landgrafen Ulrich und Philipp in St. Wilhelm in Strassburg.
Fig. 123. Die Verkündigung von Veit Stoss.
Fig. 123. Die Verkündigung von Veit Stoss.
Fig. 124. Relief vom Waghaus zu Nürnberg von Krafft.
Fig. 124. Relief vom Waghaus zu Nürnberg von Krafft.
Fig. 125. P. Vischers Sebaldusgrab.
Fig. 125. P. Vischers Sebaldusgrab.
Fig. 126. Grabmal aus der Stiftskirche zu Stuttgart.
Fig. 126. Grabmal aus der Stiftskirche zu Stuttgart.
Fig. 127. Zwei Masken sterbender Krieger vom Berliner Zeughaus von Schlütter.
Fig. 127. Zwei Masken sterbender Krieger vom Berliner Zeughaus von Schlütter.

[783] Plastik. Die Bildhauerkunst (Plastik, Skulptur) stellt, wie die Architektur, ihre Werke körperlich, d.h. in drei Raumdimensionen dar. Sind ihre Arbeiten so ausgeführt, dass sie rund der Natur nachgebildet erscheinen und von vorn, von den Seiten, wie von der Rückseite beschaut werden können, so werden dieselben Rundfiguren oder Statuen genannt; ist dagegen das Werk so angelegt, dass es gleich wie ein Bild nur von einer Seite betrachtet werden soll, dass der Hintergrund, von dem sich die einzelnen Figuren abheben, eine mehr oder minder ebene Fläche bildet, so bezeichnet man solche Arbeiten als Reliefs; je nachdem die Figuren mehr oder weniger aus dem Hintergrund hervortreten, spricht man von Hoch- oder Basreliefs.

Das Gebiet, welches der Bildhauer beherrscht, ist ein Verhältnismässig eng begrenztes. Seine Aufgabe ist die Darstellung der lebenden Natur, in erster Linie des Menschen, etwa noch des Tieres: die Wiedergabe der Landschaft, der Bäume, Blumen etc. ist ihm untersagt, er kann sie höchstens andeutend behandeln.

In der klassischen Kunst hat man die Schönheit des menschlichen Körpers zuerst wiederzugeben sich bemüht, die griechische Kunst leistete in Darstellung des nackten Menschenleibes das Vorzüglichste.

Die durch die Schönheit geadelte Sinnlichkeit, wie sie das Altertum empfand, verging mit dem Auftreten der spiritualistischen Lehre des Christentums. Körperliche Schönheit ward nun gleichgültig: Reinheit der Seele, Schönheit der Empfindung ward das höchste Ziel der Darstellung. Von der körperlichen Form bedurfte man nur noch des täuschenden Schimmers, damit trat die Malerei in ihre eigentliche Bestimmung und die Rolle der Plastik schien ausgespielt. Je sichtlicher aber die Kunst selbst verfiel, um so weniger waren auch die Künstler der schwierigen Aufgabe, einen nackten Körper gut und schön wiederzugeben, gewachsen. Zudem waren die meisten Bildwerke für den kirchlichen Gebrauch bestimmt. Man bekleidete deshalb alle Figuren.

Das Wenige, das noch geleistet wurde, zehrte von antiken Reminiszenzen und wiederholte in immer roherer geistloserer Weise die wenigen neuen Typen und Darstellungskreise, welche das Christentum hervorgerufen hatte.

Selbst die rein ornamentale Skulptur ist anfangs noch äusserst schwach und getraut sich kaum, einige schüchterne Linien zu versuchen; die Plastik sinkt zur Kleinkunst herunter und bleibt es bis ins 12. Jahrhundert.

Romanische Epoche: Unter den Werken des 10. und 11. Jahrhunderts[783] steht die Elfenbeinarbeit in erster Reihe. Sie ist fast ausschliesslich wie alle Kunst dieser Zeit, für kirchliche Bedürfnisse thätig. Sie schmückt die kleinen tragbaren Altäre, stattet die Bücherdeckel, Hostienbüchsen und andere Geräte mit Bildwerken aus. Die Darstellungen bestehen meist in kräftigem Relief, das bisweilen mit einer gewissen Starrheit und Schwerfälligkeit, mitunter selbst roh und ungeschickt behandelt ist. Dies zeigt unter andern der angebliche Reliquienkasten Heinrich I. in der Schlosskirche zu Quedlinburg, Vorgänge aus dem Leben Christi darstellend.

Einen merkwürdigen Gegensatz hierzu bietet ein Diptychon in der Sammlung des Hotel Cluny in Paris, aus der Zeit Otto I., der sich mit der griechischen. Prinzessin Theophane verlobt hatte; was zur Verbreitung des byzantinischen Stiles, der sich namentlich in den steifen Prunkgewändern des erwähnten Diptychons[784] zeigt, ein besonderer Anlass war. Wie sehr sich dieser Stil ausbreitete, beweist eine grosse Zahl ähnlicher Arbeiten, darunter zwei Relieftafeln in der Bibliothek zu St. Gallen, die man Tutilo zuschreibt. Fig. 113 (Kunsthist. Bilderbogen). Durch den Byzantinismus erhielt die in Roheit versunkene Technik doch wieder eine strengere Richtung. Aber, wenn sie sich auch eine bessere und geschicktere Behandlung aneignet, so nimmt sie doch nicht ohne weiteres die seelenlose Starrheit des byzantinischen Stiles an. Vielmehr strebt sie überall nach neuem Ausdruck, nach dramatischer Lebendigkeit. Dadurch jedoch werden die äussern formalen Gesetze aufs neue vernachlässigt, die Verhältnisse des menschlichen Körpers unrichtig und flüchtig aufgefasst, namentlich Köpfe, Hände und Füsse ungebürlich gross und ungeschickt gezeichnet.

Mit der Elfenbeinschnitzerei ging die Arbeit in kostbaren Metallen Hand in Hand. Namentlich wurden die Altartische mit Antependien von getriebenen Metallplatten bekleidet, an welchen Reliefs, Schmelzmalerei und kostbare Edelsteine sich in prunkvoller Wirkung verbanden. So wird uns über die Ausstattung der Abteikirche Petershausen vom Jahr 983 berichtet, dass am Altar mit Silberplatten bekleidete Säulen einen reich mit Metall verkleideten Baldachin trugen und das Antependium mit gediegenem Gold und Edelsteinen besetzt gewesen sei. Auch von St. Gallen, von Mainz und vielen andern Orten wissen die[785] Geschichtschreiber von kostbaren Gefässen, welche grösstenteils in Gestalt von Drachen, Greifen, Kranichen und Löwen gebildet waren, von goldenen Kruzifixen und reichen Antependien zu erzählen. Das umfangreichste und bedeutendste Denkmal dieser Art ist die Altartafel aus dem Münster zu Basel, welche sich gegenwärtig im Hotel Cluny zu Paris befindet, und ganz aus Goldblech getrieben ist. Fig. 114 Altartafel zu Basel (Kunsthist. Bilderbogen).

Neben diesen Prachtarbeiten beginnt auch seit Beginn des 11. Jahrhunderts der Erzguss eine um so grössere Bedeutung zu erlangen, als er den Übergang zu umfassenderer monumentaler Anwendung der Plastik bildet. Die hervorragendsten Arbeiten knüpfen sich an die Persönlichkeit des Bischofs Bernward von Hildesheim († 1023), eines gelehrten, in Kunst und Wissen gleich erfahrenen Mannes. Seine erste Arbeit ist die grosse eherne Thür des Doms zu Hildesheim, welche in 16 viereckigen Feldern auf der einen Seite die Momente der Schöpfungsgeschichte, auf der andern Vorgänge aus dem Leben Christi giebt. Der Stil ist noch ungemein primitiv und die Behandlung der Gestalten von seltsamem Ungeschick. Noch eine Reihe anderer Arbeiten erzeugte der Erzguss im 11. Jahrhundert, alle aber verraten, namentlich im Figürlichen, eine harte Strenge des Stiles. Zu hoher Anmut und Freiheit entfaltet sich dagegen gleichzeitig das Decorative, wie in den beiden Kronleuchtern im Dom zu Hildesheim, namentlich aber in dem prachtvollen siebenarmigen Leuchter der Stiftskirche in Essen.

Weniges lässt sich von der Stein- und Holzskulptur des 10. und 11. Jahrhunderts sagen; grössere Bedeutung sollte sie erst im folgenden Jahrhundert mit der reichen Ausbildung der Architektur erlangen. Unter den selbständigen Werken stehen zwei Reliefplatten im Münster zu Basel mit streng antikisierenden Gestalten obenan.

Das 12. Jahrhundert. Wie schon angedeutet, wurde die Plastik im Laufe des 12. Jahrhunderts überwiegend von der Architektur in Anspruch genommen und dadurch, da sie sich nun nicht mehr so frei bewegen konnte, wie in den kleinern dekorativen Werken, einer andern Bestimmung, einer neuen Entwicklung entgegengeführt. Noch einmal wird die Antike zum Ausgangspunkt genommen, aber der bedeutend erweiterte Kreis des Daseins, den der Glanz des ritterlichen Lebens, das Aufblühen der Städte, die weiten Fahrten in den Orient, namentlich die Kreuzzüge eröffnet hatten, erfüllte die alten Formen mit einem jugendlichen, freien und edlen Leben. Das Zusammenwirken mit der Architektur, die sich von unverstandener Nachahmung der Antike nun befreit und im romanischen Baustil ihre eigene Form gefunden hatte, trieb die Plastik zu einer dem baulichen Organismus parallel laufenden Umgestaltung. Allerdings sollte erst das 13. Jahrhundert die reifen Früchte dieses Umschwunges ernten, die Plastik musste im 12. Jahrhundert vorerstlernen, sich gegebenen Raumverhältnissen anzuschliessen und in gleichmässiger Komposition architektonischen Gesetzen sich zu fügen.

Wie schwer ihr oft wurde, die Schätze dunkler Symbolik, mit der sie sich beladen hatte, mit dem klaren Rhythmus eines Bauwerkes in Einklang zu bringen, zeigen manche Portale, Chorschranken, Lettner und Façaden. Nicht selten stehen deshalb die Werte des 12. Jahrhunderts tiefer als diejenigen des vorangegangenen, ja oft fällt die Plastik in äusserste Roheit und Barbari zurück, und selbst der seelenlose[786] Byzantinismus erobert sich noch einmal gewissen Einfluss.

An der Spitze der Leistungen steht auch im 12. Jahrhundert Deutschland. Dem Anfange desselben gehört zunächst das Relief der Extersteine bei Horn in Westfalen an, eine grossartig angelegte Komposition der Kreuzabnahme enthaltend. Das Werk ist in eine Felswand, wahrscheinlich 1115 eingehauen worden. Eine ganze Reihe Reliefkompositionen und in ihnen eine konsequent fortschreitende Entwicklung lässt sich in den sächsischen Kirchen nachweisen; zumeist bestehen dieselben aus Stuck, wie diejenigen an den Chorschranken von St. Michael in Hildesheim. Bemerkenswert ist der freie künstlerische Humor, der sich in den Werken Bahn bricht, wie z.B. an den Reliefs am Chor zu Königslutter, wo die Momente einer fröhlichen Hasenjagd dargestellt sind.

In Süddeutschland sind es vorab[787] die bayerischen Lande, welche sich an einer reichen Übung der Plastik beteiligen. Hier mischen sich die halbverschollenen Gestalten der alten nordischen Sagen mit den christlichen Anschauungen zu einer Phantastik, die in unkünstlerischem Durcheinander ihre wilden Aphorismen planlos über Portale und Façaden hinstammelt. Ein Prachtstück dieser Art ist das Portal von St. Jacob in Regensburg. Der gleichen Richtung huldigt die grosse Säule in der Krypta des Domes zu Freising. Vom Fusse bis zum Kapitäl ist das Ganze ein Gewirr von menschlichen Gestalten, Drachen und andern ungeheuerlichen Zusammensetzungen – eine wahre Martersäule für die gelehrte Auslegung. Auch Schwaben weist eine Menge derartiger Arbeiten auf, in denen die Fülle symbolischer Beziehungen die künstlerische Bedeutung weit überragt. Neben der Kirche zu Alpirsbach ist es namentlich die Johanniskirche in Gemünd, an der neben unglaublich puppenhaften Gestalten Christi und der Heiligen fröhliche Jagdszenen in erfreulicher Frische und Lebendigkeit abgebildet sind.

Eine besondere Gattung von Denkmalen, die Grabsteine, ist im 12. Jahrhundert nur ausnahmsweise künstlerisch vertreten. Man begnügte sich, die Gestalt des Verstorbenen mit eingeritzten Linien oder aus flachem Relief darzustellen.

Neben der Steinskulptur nimmt jetzt auch der Erzguss eine wichtige Stellung ein. Ein bedeutendes Werk dieser Zeit ist das Taufbecken in St. Bartholémy zu Lüttich, welches gegen 1112 durch Lambert Patras von Dinant geschaffen wurde. Fig. 115 (Kunsthist. Bilderbogen). Hieher gehören ferner eine Reihe Kirchengeräte und Thüren, namentlich aber sind jene prachtvollen Kronleuchter zu erwähnen, welche mit den zwölf Thoren das himmlische Jerusalem bedeuten sollten, so in der Abteikirche zu Comburg, Fig. 116[788] (Kunsthist. Bilderbogen) und im Münster zu Aachen. Der Erzguss findet nun auch zuweilen bei Grabplatten Anwendung, wie am Grabmal des Gegenkönigs Rudolf von Schwaben im Dom zu Merseburg in flachem Relief; die Augäpfel und Gewandung waren ehemals reich mit Edelsteinen geschmückt.

Holz- und Elfenbeinschnitzerei ersteigen in dieser Epoche keine neue Stufe, dagegen macht sich an den Arbeiten der Goldschmiede ein neuer Geist in Auffassung und Durchführung der Arbeiten bemerkbar, namentlich in prachtvollen Reliquienschreinen, die in architektonischer Weise angelegt werden. Der Hauptsitz dieser Arbeiten scheint das Rheinland gewesen zu sein. Eines der grossartigsten Werke ist der Schrein der heil. drei Könige im Born zu Köln. Fig. 117 (Kunsthist. Bilderbogen).

Frühgotische Epoche 1200–1300. Das 13. Jahrhundert führte den Prozess, der im 12. begonnen, zu Ende. Einen glänzenden Aufschwung zeigt vorerst die Architektur. Das nördliche Frankreich stellt in dem neuen gotischen Stile eine Schöpfung hin, in welcher Kühnheit der Konstruktion und Scharfheit der Berechnung sich mit glänzender Pracht und dem edlen Ausdruck einer begeisterten Empfindung verschmelzen. Dies vermochte sich aber nur durch eine reichere Anwendung und höhere Entwicklung der Plastik auszusprechen. Daher sehen wir in den[789] Portalen und Vorhallen, in den Galerien der Façaden, den Baldachinen der Strebepfeiler, den Wänden der Chorschranken die Architektur eifrig bemüht, der Schwesterkunst eine freiere Stätte zu bereiten. Architektur und Plastik zeigen nun wieder eine Wechselbeziehung und ein lebendiges Zusammenwirken, wie es seit der griechischen Blütezeit nicht mehr erblickt worden war.

Das vollständigste Bild von einem Künstler des 13. Jahrhunderts ist uns in den Skizzenbuche des Villard von Honnecourt erhalten, welches sich auf der Bibliothek zu Paris befindet. Besonders wichtig ist das Buch durch mehrere Tafeln, auf denen er Anleitung zum Figurenzeichnen gibt. Er verfährt dabei nach einer unter seinen Zeitgenossen allgemeinen üblichen Regel, indem er durch Einzeichnen von geometrischen Figuren, namentlich von Dreiecken in die menschliche Gestalt, die Sache dem architektonisch gebildeten Künstler zu erleichtern sucht. Dies stellt sich uns als ziemlich willkürliches Verfahren dar, aber es gibt Aufschluss darüber, warum die zahllosen Statuen jener Zeit so sicher stehen, so fest in ihrem Schwerpunkt ruhen. An diesem einzigen Beispiel sehen wir, wie strebsam die damaligen Künstler waren; aber das Leben, das sie umgab, war auch dazu angethan, ein künstlerisches Auge zu begeistern. Es war überall anmutiger und geschmeidiger geworden, die Sitten waren milder, man legte Wert auf die Schönheit des Äussern. Darnach entwickelte sich die Tracht, welche den barbarischen Prunk byzantinischer Hofgewänder abschüttelte und dafür die Formen des Körpers klar hervortreten und sich in edler Bewegung frei entfalten liess.

Für die völlige Wirkung der Plastik dieser Epoche wird aber auch eine entsprechende Malerei notwendig. Bereits hatte die Architektur der romanischen Zeit von der Polychromie umfassenden Gebrauch gemacht. Als dann die Plastik anfing, sich an der Dekoration des Innern zu beteiligen, mussten auch ihre Werke, um sich harmonisch dem Ganzen anzuschliessen, kräftige Bemalung erhalten. Mit diesem gesteigerten Ausdrucksmittel hatten die Künstler zugleich einen nicht minder reich entwickelten Ideengehalt auszudrücken. Was die Scholastik in tiefsinniger Durchdringung der Heilslehre als grossartig dogmatisches Gebäude hingestellt, was die von der Kirche ausgegangene dramatische Kunst in den Mysterien dem Volke in lebenden Bildern vorgeführt hatte, das wurde nun auch in den Portalen und Vorhallen der Kathedralen ausgemeiselt: sie geben in den grossen symbolisch-historischen Bilderkreisen die Summe des Glaubens und Wissens ihrer Zeit.

Endlich findet auch der Humor eine Stätte, zunächst wie früher in mancherlei originellen Gebilden an Konsolen und wohl auch an Kapitälen, sodann aber vorzüglich an den Wasserspeiern, welche als phantastische Drachen, Tier- und Untiergestalten gebildet werden. Die Phantastik, die den Völkern des Nordens im Blute steckt und in jener Zeit sich unbefangen als grobe, selbst unflätige Possenreisserei sogar in die kirchlichen Mysterien eindrängen durfte, suchte und fand in jenen abenteuerlichen Gestalten ihren Ausdruck.

In Deutschland tritt uns die Plastik dieser Zeit nicht so grossartig und einheitlich geschlossen entgegen, wie namentlich in Frankreich, wo durch den schnellen Sieg des gotischen Systems das bunte Treiben der frühern lokalen Schulen zum Schweigen gebracht wurde. Als treuer Nachhall politischer Verhältnisse erhebt sich in[790] Deutschland der hartnäckige Unabhängigkeitssinn der einzelnen Schulen gerade jetzt zu grosser Kraft. Wie in der Architektur bilden sich in der Plastik lokale Gruppen, welche sich noch lange dem neuen französischen Stile widersetzen. So überflutet noch in den ersten Dezennien des 13. Jahrhunderts eine ebenso formlose als wilde Phantastik die Chornische an der Kirche zu Schöngrabern in Niederösterreich und die Façaden von St. Stephan in Wien. Welche Anhänglichkeit man auch immer in den verschiedensten Gegenden Deutschlands dem ältern Stile widmete, beweisen unter anderm die bedeutenden Leistungen der fränkischen Schule am Dom zu Bamberg. Welch seelenvoller Schönheit aber auch die alte Auffassung fähig war, erkennen wir an den Arbeiten der sächsischen Schule, namentlich an den Reliefs der Kanzel zu Wechselburg. Noch glänzender entwickelt sich derselbe Stil an den Skulpturen der golden Pforte zu Freiberg im Erzgebirge. In grossartiger Anlage, in Adel der Romantik, vor allem aber in reichlicher Anwendung bildnerischen Schmuckes nimmt sie unter allen Portalen die erste Stelle ein. Fig. 118.

Derselben Richtung begegnen wir in einem zweiten Werke der Kirche zu Wechselburg, dem plastischen Schmucke des Hochaltars.

Wie die romanische Architektur, so vermochte auch die reife Blüte ihrer Skulptur vor dem übermächtig eindringenden gotischen Stile Frankreichs sich nicht zu halten. Die glühende Begeisterung, die innige Sehnsucht und die schwärmerische Hingebung musste sich in den gemeisselten Gestalten aussprechen, und so verloren denn auch die Figuren die stattliche Würde, das an die Antike erinnernde Gepräge von erhabener Ruhe, sie werden schlank, zart aufgeschossen und mit schwärmerischer Neigung des Lockenhauptes dargestellt. Eine eigentümliche Bewegung zieht sich durch den ganzen Körper, als wollte derselbe den Schwingungen des Empfindens folgen. Die Gewandung fliesst voll und faltenreich und nähert sich immer mehr der kleidsamen Zeittracht. Eine liebevolle Behandlung erfährt namentlich das Gesicht: es ist ja der Sitz der Gedanken,[792] das Spiegelbild der gemütlichen Erregungen des Innern. Ein Zug lächelnder Holdseligkeit erhellt fast ohne Ausnahme das jugendliche Gesicht. Das energisch Mannhafte, trotzig Kühne liegt diesem Stil ferne, und selbst seine männlichen Gestalten haben den Ausdruck einer fast weiblichen Anmut. Den ersten Werken des neuen Stils begegnen wir auf deutschem Boden an der Liebfrauenkirche zu Trier, allein es waltet hier noch eine Befangenheit, welche die Elemente des neuen Stils sichtlich als fremde, ungewohnte handhabt. In reifer Vollendung und Schönheit finden wir ihn alsdann an der plastischen Ausstattung des Domes zu Bamberg. Selbst zu Reiterstandbildern versteigt sich diese jugendkräftige Zeit, wie das lebendige Reiterbild des Königs Konrad III. Figur 119 (Kunsthistorische Bilderbogen) am Dom zu Bamberg beweist. Rasch verbreitet sich der neue Stil über Sachsen und das südwestliche Deutschland, wo wir die herrlichsten Beispiele am südlichen Portal und an der Hauptfaçade des Strassburger Münsters erblicken. Fig. 120 Statuen vom Strassburger Münster, (Kunsthistorische Bilderbogen).

Noch entschiedener als die Steinskulptur hielt die Goldschmiedekunst an den prunkenden Formen der romanischen Weise mit ihrer reichen Ornamentik fest. Die Erzplastik aber tritt beinahe ganz zurück.

Spätgotische Epoche, 1300–1450. Mit dem Beginn des 14. Jahrhunderts ist der Höhepunkt des Mittelalters überschritten. Überall geraten die alten Institutionen ins Schwanken. Das majestätische Gebäude der Hierarchie sieht sich in seinen Grundfesten erschüttert, aber nicht minder ohnmächtig sinkt das Kaisertum dahin. Ein neuer Stand beginnt aufzublühen, in dem die gesunden Elemente der Zeit sich vereinigen: der Bürgerstand. Auch im Schosse der Kirche gewinnen die bürgerlichen Mönchsorden über die aristokratischen Genossenschaften der Benediktiner und Cistercienser die Oberhand; an Stelle der abgestorbenen, verknöcherten Scholastik tritt die innerlich gewordene subjektiv erregte Schwärmerei der Mystiker. Schon gegen das Ende der vorigen Epoche sind wir den lyrisch wiederkehrenden Bewegungen des Körpers begegnet und haben auf das konventionelle Lächeln hingewiesen. Diese Züge werden jetzt immer mehr verstärkt. Die Gestalten ergreift ein seltsames inneres Wehen, das sich in geschwungenen Stellungen Luft macht, in starkem Herausbiegen der einen und ebenso starkem Einziehen der anderen Körperhälfte, in übertriebenem Lächeln, wobei die Augen sogar schief gestellt werden. Die Gewandmassen werden gehäuft und durch übermässig viele Falten gebrochen. Aber auch an Tiefsinn und Fülle der Gedanken sind die Werke des 14. Jahrh. denen des 13. nicht ebenbürtig. Nur selten begegnen uns noch als Nachhall jener grossen Zeit die bedeutsamen Bildercyklen. Allein, wenn auch die Plastik in wichtigen Punkten der frühern untergeordnet erscheint, so suchte sie dafür in anderer Hinsicht einen Fortschritt durch genaues Eingehen auf die Natur, durch schärfere Bezeichnung und vollere Entwicklung der Formen; aber, da ein Verständnis des gesamten körperlichen Organismus auch jetzt noch mangelte, so blieb es bei einzelnen Ansätzen. Zugleich war sie aus den Händen der Mönche ganz in diejenige bürgerlicher Meister übergegangen und hatte an dem zünftigen Betriebe zwar eine solide technische Schule erhalten, aber auch eine unverkennbare geistige Schranke. So dürfen wir denn, trotz mancher gelungenen Einzelheit,[793] den hereinbrechenden Verfall des Mittelalters nicht in Abrede stellen, wenn auch der aufkeimende Natursinn der Plastik manche Bereicherung verschaffte und die Künstler das sie umgebende Leben häufiger betrachteten und ihren Darstellungen manche genrehafte, selbst humoristische Züge beimischten. Das war aber auch das einzige Mittel, die[794] nachgerade etwas verbrauchten Stoffe etwas aufzufrischen. Die Region der Teufel (bei Schilderungen des jüngsten Gerichtes) gab schon früher mannigfachen Anlass zu kräftig derbem Humor. Jetzt weicht die dämonische Unheimlichkeit völlig burlesken Ausmalungen und das Niedrigkomische findet reiche Verwendung.

Unbedingt die erste unter den plastischen Schulen des 14. Jahrhunderts ist die Nürnbergische. Ihre erste bedeutende Leistung ist das Westportal der Lorenzkirche und mehrere Portale von St. Sebald. Zu den bedeutendsten Werten der späteren Zeit gehört: der schöne Brunnen Figur 121 (Kunsthistorische Bilderbogen).

Einer zweiten bedeutenden Schule begegnen wir in Schwaben, zunächst in den Portalen des Doms von Augsburg und desjenigen in Ulm, sodann an der Heil. Kreuzkirche in Gmünd bei den humoristischen Wasserspeiern.

In den rheinischen Gegenden finden wir zunächst am Münster zu Freiberg tüchtige plastische Arbeiten. Ein ganzes Kompendium der heil. Geschichte ist in miniaturartiger Ausführung am Westportale der Kirche zu Thann zusammengedrängt.

Einen hohen Wert besitzen endlich die Statuen Christi, seiner Mutter und der Apostel im Chor des Kölner Domes; sie sind namentlich auch durch die treffliche Polychromie von besonderem Interesse.

Neben dieser reichen Anwendung der Steinskulptur stehen die in anderem Material ausgeführten Werke merklich zurück. Die Holzskulptur tritt nur ganz vereinzelt auf.

Wichtiger dagegen sind einige Arbeiten des Erzgusses. Neben einer Menge kleiner, meist handwerksmässiger Arbeiten gewinnt das Reiterstandbild des heil. Georg auf dem Hradschin zu Prag durch Lebendigkeit erhöhte Bedeutung.

Die Grabsteine behalten in der ersten Zeit des 14. Jahrhunderts noch eine Weile das edle Gepräge der früheren Zeit, die typische Allgemeinheit der Gesichtszüge, die ernste Ruhe der Haltung, die verklärte Lieblichkeit namentlich in weiblichen [795] Köpfen. Auch die Tracht bleibt zuerst noch dieselbe ideale, fast antikisierende Gewandung. Indessen fangen die Bildhauer doch auch hier an, nach und nach die Natur vor Augen zu nehmen. Zuerst versucht sich das Streben nach individueller Charakteristik an männlichen Köpfen, die durch kräftigere Entwicklung der Formen, auch wohl durch den Bart dem Bildner einen Anhaltspunkt gewährten. Für die weiblichen Köpfe hielt man dagegen gern, auch bei sogenannten Porträtbüsten, an dem idealen Typus fest, der sich allmählich herausgebildet hatte. Erst im weitern Verlauf der Epoche, nachdem mehrfach die Künstler begonnen hatten, den leer gewordenen Typus der Madonna durch das untergeschobene Bild irgend einer schönen und liebwerten irdischen Jungfrau zu beleben, gewann man auch für weibliche Porträtstatuen das Gepräge der bestimmten Persönlichkeit.

Ein Hindernis für die Entfaltung der Plastik wird schon seit Mitte des Jahrhunderts die veränderte Tracht in den Reiterstatuen; denn mit den kurzen Waffenröcken, den zuerst an den Gelenken auftretenden Eisenschienen, die den ganzen Körper in steife Fesseln schlagen, ist jede Möglichkeit einer edlen Darstellung ausgeschlossen. Die Gestalten zeigen sich nun mit gespreizten Beinen und abstehenden Armen, in derselben ungeschickten Schwerfälligkeit, wie sie eben das Leben mit sich brachte. Fig. 122 Grabmal des Landgrafen Ulrich (Kunsthistorische Bilderbogen). Die schönste Veranlassung, porträtwahre Charakteristik mit den Anforderungen eines würdevollen Stiles zu verbinden, boten die bischöflichen Denkmäler, da gerade diese Tracht die prächtigsten Motive für stilvolle Gewandbehandlung bot.

Unter den Kleinkünsten erfreute sich vornehmlich die Elfenbeinschnitzerei reicher Pflege, namentlich zu kleinen tragbaren Altären oder Schmuckkästchen, Gefässen u. dergl.

Minder Günstiges lässt sich von der anspruchsvollen Technik der Goldschmiede sagen; denn, seitdem auch in diesen Werken das gotische Stilgesetz durchgedrungen war, wurde jedes Gefäss und Gerät seiner natürlichen Form entkleidet und als kleines Bauwerk maskiert, wodurch die freie Plastik nur kümmerlichen Raum für sich behielt.

Neuere Zeit: 1450–1550. Schon seit Beginn des 15. Jahrhunderts hatte sich im Norden, gleich wie in andern Ländern, namentlich in Italien, der Sinn für die Wirklichkeit, der Realismus geregt. Was den völligen Durchbruch der neuen Auffassung in der nordischen Plastik erschwerte, war nicht der Mangel an realistischem Sinne, sondern die lange noch fortdauernde Herrschaft der gotischen Architektur. Die neue Plastik, lebenswahr und selbst extrem realistisch, fand keinen Platz mehr in dem System der Gotik, die neuen Gestalten wollten freie Bewegung haben, wofür in den engen Hohlkehlen, an den beschränkten Bogenfeldern der Portale, zwischen den knappen Säulenstellungen der Baldachine kein Raum war. Als nun trotzdem der Zug nach realistischer Treue die Plastik mit fortriss, musste ein Kompromiss mit der Architektur geschlossen werden; allein die Konzessionen, welche die Gotik machen konnte, waren wohl hinreichend, ihr eigenes Gesetz aufzulockern, aber nicht genügend, den gerechten Anforderungen der Plastik nachzukommen. Darin liegt auch der Grund, weshalb die nordische Bildnerei nicht zu jener harmonischen Gesamtkunst sich entfalten konnte, wie in Italien, von 1420–1520, wo der Einfluss der Antike zugleich eine neue Architektur geschaffen hatte, welche den beiden bildenden[797] Künsten in ihrer fortgeschrittenen Gestalt einen neuen Rahmen, eine zusammenfassende Einheit gegeben hatte. Aber auch die Ungunst der äussern Zeitverhältnisse wirkte ein. Die ehrsamen Bürger und tölpischen Bauern des 15. Jahrhunderts waren kein Gegenstand; an denen sich ein reines Schönheitsgefühl hätte nähren und stärken können. Eine unschöne, bunte, überladene Tracht steigerte das spiessbürgerliche Gepräge der Plastik ins Phantastisch-verzwickte. Dafür konnte die ausdrucksvolle Kraft der männlichen, die holde Anmut der weiblichen Köpfe allein nicht entschädigen, denn die Plastik bedarf mehr als des Kopfes; sie muss auf eine harmonische Ausbildung des ganzen Körpers bedacht sein.

Im Norden fehlt endlich auch das Material, das dem Süden zur Verfügung stand: der weisse Marmor. Man ist auf den grobkörnigen Sand oder Kalkstein angewiesen, mehr aber noch und mit bezeichnender Vorliebe auf das derbe Eichen- und Lindenholz, aus dessen Blöcken das kühn gehandhabte Messer des Bildschnitzers eine Welt von reichen Altarwerken u. dergl. zu gestalten weiss.

Die Mehrzahl dieser Werke in Stein und Holz erhält deshalb ihre volle Bemalung und wetteifert an Goldglanz und Farbenschimmer mit den gemalten Tafeln, die sich mit ihnen oft zu grossen Gesamtkompositionen verbinden. So strebt die nordische Plastik ins Malerische hinein.

Die Stoffe für ihre Werke nimmt sie meistens aus dem Leben Christi, namentlich aus der Passionsgeschichte. In diesen Szenen kann sie ihrem Hange nach leidenschaftlicher Schilderung vollauf genügen, und sie thut es mit unerschöpflicher Erfindungskraft. Weder im Charakter ihrer Gestalten, noch im Ausdruck der Empfindungen sucht sie dabei das Edle, Geläuterte, vielmehr sind ihr die derbsten Charakterfiguren, die heftigsten Motive, die rückhaltlosesten Geberden die liebsten. Man war der ewig gleichförmigen Schönheit im Wurf der Falten, des stillen monotonen Lächelns der Gesichter satt und wollte lieber die Wirklichkeit in ihren eckigen Gestalten, ihren vielfach gebrochenen Gewändern, als jene leer und allgemein gewordene Schönheit. Dies musste auf eine ungleich grössere Mannigfaltigkeit der Richtungen führen, denn jeder Meister hatte, namentlich für Madonnen- und andere Frauenköpfe, nur sein eigenes in der Wirklichkeit vorhandenes Schönheitsideal, in welchem wir noch jetzt oft den schmerzlich süssen Reflex subjektiver Herzenserlebnisse ahnen können.


a) Die Holzschnitzerei.

Am unmittelbarsten knüpft die Holzschnitzerei in Technik und Inhalt an die mittelalterliche Tradition an. Sie ist die Lieblingskunst geworden. Früher spielte sie eine bescheidene Rolle. Wohl kommen auch im 14. Jahrhundert oder im Anfange des folgenden hie und da Holzschnitzaltäre vor, aber erst seit der Mitte des 15. nimmt die Holzschnitzerei in Deutschland einen solchen Aufschwung, dass ihre Werke die Gebilde in Erz und Stein überragen. Die Hauptthätigkeit erstreckt sich, wie schon bemerkt, auf jene zahlreichen Altäre, welche sich in vielen Abteilungen neben und übereinander aufbauen, mit doppelten, ja oft vier- und sechsfachen Flügeln versehen. Der Hauptteil besteht in der Regel aus einem tiefen Schrein, der entweder mit einigen Statuen oder Reliefszenen ausgefüllt ist. Dieselben schildern die Vorgänge durchaus malerisch, auf perspektivisch entwickeltem Plan mit landschaftlichen Hintergründen, und repräsentieren die in Holz übersetzten, mit reicher[798] Bemalung belebten geistlichen Schauspiele, die sog. Mysterien jener Zeit. (Vergl. Artikel Altar.)

Die Priorität in Aufnahme und Ausbildung des neuen realistischen Stils darf die schwäbische Schule in Anspruch nehmen. Auffallend frisch tritt diese Richtung bereits an zwei Altären der Kirche zu Tiefenbrunn hervor, gefertigt von Lucas Moser und Hans Schuhlein; um dieselbe Zeit ist der Maler Friedrich Herlin in Franken thätig. Der Hauptsitz der schwäbischen Schule aber ist einerseits Ulm, wo neben Schuhlein die beiden Jörg Syalin, Vater und Sohn, uns in den Chorstühlen im Münster, im sog. in Stein ausgeführten Fischkasten (Marktbrunnen), in den Chorstühlen zu Blaubeuern und. dem in üppiger Dekoration durchgeführten Schalldeckel im Münster grossartige Meisterwerke hinterlassen haben. Beinahe keine Kirche Schwabens entbehrt glanzvoller Beispiele, ja selbst bis weit in die Schweiz hinein erstreckt sich die Thätigkeit der schwäbischen Schule, wie der von Jacob Rösch im Dom zu Chur 1499 ausgeführte Hochaltar und zahlreiche Altäre in Graubünden darthun.

Am Oberrhein zeigen die wenigen noch vorhandenen Schnitzarbeiten viel Verwandtschaft mit dem dort durch Martin Schongauer in der Malerei begründeten Stil.

Neben Ulm ist Augsburg ein Hauptsitz schwäbischer Kunst. Auch in Österreich findet sich eine grosse Zahl solcher Werke, von denen manche, namentlich im Tirol, ihre Entstehung dem Bildschnitzer Michael Pocher verdanken. Aber auch am Rhein, in Westfalen, in Pommern, lassen sich zahlreiche Beispiele aufführen.

Eine besondere Bedeutung haben sodann die fränkischen Arbeiten, die grösstenteils unter Leitung des auch als Maler thätigen Michael Wohlgemuth ausgeführt wurden; aber erst gegen Ausgang der Epoche tritt Nürnberg durch den Bildschnitzer Veit Stoss wirklich in den Vordergrund. Seine beste und grösste Arbeit in Nürnberg ist der Rosenkranz in der Lorenzkirche. Dazu Fig. 123 Verkündigung von Veit Stoss (Kunsthist. Bilderbogen).


b) Steinskulptur.

Der Steinskulptur blieb in dieser Epoche nur ein enges Feld. Die Architektur verschmähte mehr und mehr ihre Beihilfe. Die gotischen Bauwerke werden entweder in nüchterner Kahlheit aufgeführt oder suchen und finden ihren Schmuck ausschliesslich in den geometrischen Zierformen eines spielend ausgebildeten Maasswerkes. Die Steinskulptur sieht sich deshalb ganz auf kleinere Gegenstände, wie Kanzeln, Brunnen, namentlich aber auf Grabsteine angewiesen. In allen diesen Fällen ist es namentlich das Hoch- oder Flachrelief, und so ist klar, dass die Plastik unaufhaltsam ins malerische Gebiet hinübergedrängt wurde. In einseitig scharfer Nachbildung der Wirklichkeit aber wetteifert die Steinplastik mit der Holzskulptur.

Auch hier weist einesteils Schwaben in den Portalen der Frauenkirche zu Esslingen und am Ulmer Münster, im Sakramentshäuschen daselbst und manchen andern Werken Prachtstücke auf. Prunkvolle Kanzeln besitzen die Dome zu Freiburg, die Münster zu Strassburg und St. Stephan in Wien. Eine Reihe tüchtiger Grabmäler in den Rheingegenden gibt ein anschauliches Bild von der Entwicklung dieser Art Monumente. Von grossem Wert ist namentlich der bald nach 1468 entstandene Grabstein des Königs Ludwig in der Frauenkirche zu München.

Kein Ort in Deutschland ist jedoch für Entwicklung auch der Steinskulptur so bedeutend, wie gerade Nürnberg, welches in Adam Krafft[799] einen der bedeutendsten Meister hervorbrachte. Eines der kunstvollsten Erzeugnisse Kraffts ist das Sakramentshäuschen in St. Lorenz. Gleichzeitig arbeitete er an mehreren Grabmälern, wie am[800] Perzensdörferschen in der Frauenkirche etc.

Mit wie frischer, lebensvoller Naivität der Meister auch das gewöhnliche Dasein zu ergreifen wusste, bewies er an dem anziehenden Relief der Stadtwage, eines prächtigen Genrebildes. Fig. 124 (Kunsthist. Bilderbogen).

Um dieselbe Zeit lebte ein ebenfalls sehr tüchtiger Meister in Würzburg: Tilman Rünsenschneider.

Im Stephansdom zu Wien schuf Meister Niclas Lerch und Michael Dichter das stattlichste Grabmonument der ganzen Epoche für Kaiser Friedrich III. Ganz in die Formen der Renaissance kleiden sich die Grabmäler des Johann Eltz in der Karmeliterkirche zu Boppard und desjenigen des Erzbischofs Albrecht im Dom zu Mainz.


c) Erzarbeit.

Auch in der Erzarbeit gebührt Nürnberg weitaus der erste Rang, denn neben Veit Stoss und Adam Krafft erscheint als dritter grosser Meister: Peter Vischer in seinem Hauptwerk, dem Sebaldusgrab Fig. 125 (Lübke, Geschichte der Renaissance) in der Kirche des heil. Sebaldus. Ungezwungen mischen sich hier die Elemente der hereinbrechenden Renaissance mitgotischen Motiven. Eine Menge Grabmäler verdanken demselben Meister die Entstehung. Der Ruf der Nürnberger[801] Giesshütte verbreitete sich weit herum. Sogar für den Dom zu Schwerin wurde bei Vischer eine Erztafel bestellt. Neben dem Sohne Vischers leistete nach seinem Hingang namentlich sein Schüler Pancraz Labenwolf Bedeutendes. Die glänzendste Leistung der Nürnberger Schule steht in dem Denkmal Maximilians in der Hofkirche zu Innsbruck, welches unter Leitung und nach der Idee des Hofmalers Gilg Sesslschreiber von Augsburg in der Nürnberger Giesshütte und zwar wahrscheinlich zum grossen Teil noch von Vischer selbst ausgeführt wurde.

Das 17. und 18. Jahrhundert. Waren bis jetzt die Einflüsse Italiens auf die nordische Bildnerei nur leichter Art gewesen, so tritt nun der Einfluss namentlich der durch Michelangelo gegründeten römischen Schule ausschliesslich hervor. Man zog immer mehr italienische und niederländische Meister nach Deutschland; denn die religiösen Wirren, die gewaltigen Bewegungen der Reformation[802] zogen die einheimischen Kräfte von einem ruhigen künstlerischen Schaffen ab. Die Aufgaben, welche diese Zeit der Plastik stellt, zeigen die zunehmende Verweltlichung der Kunst. Bezeichnend in dieser Richtung ist die veränderte Gesinnung, in welcher man jetzt die Grabmonumente anordnete. Schon am Denkmal Kaiser Maximilians zu Innsbruck hatte die kirchliche Auffassung kein Wort mehr mitzureden, die Reliefs erzählen nur von kriegerischen und politischen Thaten des Gefeierten. Demselben Geiste begegnen wir in dem Denkmal des Kurfürsten Moritz im Dom zu Freiberg.

Die Erzgiesserei fand ein weites und dankbares Feld an den prachtvollen Brunnen, wie am Augustsbrunnen zu Augsburg, daneben an einer Menge Statuen und Standbildern.

Für die Steinskulptur boten die prunkvollen Grabmäler ergiebiges Feld. Die Dome zu Köln,. Mainz, Würzburg sind besonders reich an gediegenen Arbeiten, ausserdem gehören die 11 Standbilder der württembergischen Fürsten im Chor der Stiftskirche zu Stuttgart, zu den tüchtigsten, Fig. 126 Graf Eberhard in der Stiftskirche zu Stuttgart (Lübke Kunst-Geschichte), die zahlreichen Gräber im Chor der Stiftskirche zu[803] Tübingen zu den prunkvollsten Werken. Ein Prachtstück plastischer Dekoration endlich ist die Façade des Heidelberger Schlosses.

Im 17. Jahrhundert wurde Deutschland durch die Verheerungen des 30jährigen Krieges nicht allein von allem künstlerischen Schaffen abgehalten, sondern auch für lange Zeit in Erschöpfung und Mutlosigkeit gestürzt. Eine neue Triebkraft bricht in dem Staate zuerst wieder hervor, der durch den Heldensinn der grossen Fürsten der Zeit sich damals in jugendlicher Frische erhob, in Brandenburg. Vorerst muss ihm allerdings Holland seine Baumeister und Bildhauer leihen, unter denen Andreas Schlütter (1662–1714) einer der grössten Künstler ist. Für seine hohe Bedeutung im Fach der Skulptur sprechen die zahlreichen dekorativen Reliefs, welche er im königlichen Schloss zu Berlin ausführte, sowie die ergreifenden Köpfe sterbender Krieger über den Fenstern des Zeughauses, Fig. 127 (Kunsthist. Bilderbogen); vor allem aber die kolossale bronzene Reiterstatue des grossen Kurfürsten auf der langen Brücke. Etwas später war in Wien der durch edle Naturauffassung hervorragende Rafael Donner thätig. Nach Lübke: Grundriss der Kunstgeschichte; Lübke: Geschichte der Plastik, vergl. auch; Alvin Schulz: Kunst und Kunstgeschichte.

A. H.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 783-804.
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