[816] Rathaus. Die beiden Kardinal-Gebäude der mittelalterlichen Stadt sind Rathaus und Kaufhaus. Das Rathaus, rathus, rathof, burgerhus, dinchhus, hus überhaupt, erscheint in Deutschland zuerst im zwölften Jahrhundert. Die einzelnen Bestandteile desselben sind:
Die ratestube, ratsdörntze, aestuarium, der Hauptsaal des Gebäudes, mit allerlei Prunk und Zierrat ausgestattet, namentlich war oft über dem Bürgermeistersitze das jüngste Gericht aufgehängt, ausserdem die sogen. Rats-Spruchtafel mit Reimen, aus denen sich eine eigentümliche Form didaktischer Poesie, die ratmanne reime entwickelte, welche auch in die Rechtsbücher Aufnahme fanden. Die wichtigsten Geräte der Ratsstube sind: der Ratstisch, darüber eine kostbare, zuweilen seidene Decke, darauf ein Kästchen mit Reliquien, worauf die Staatseide geleistet wurden, wenn man sich für diesen Zweck nicht mit einem hölzernen Heiligenbilde begnügte. Die Rats-Bank, mit Kissen oder Polstern belegte Sitze, auch der ratstuel genannt, darunter namentlich des Bürgermeisters Sitz ausgezeichnet. Die Ratsstuben-Almer, armaria, ein Aktenschrein. Die Rats-Truhe oder Trog, ein massives eisenbeschlagenes Holzbehältnis, in welchem die bedeutenderen magistratischen Geschäfts Utensilien untergebracht waren und wozu in der Regel mehrere Ratsangehörige die Schlüssel trugen; dazu zählte das grosse Insiegel, falls dasselbe nicht in einem gesonderten Gefäss, der sogen. Siegel-Lade, aufbewahrt wurde. In der Ratsstube fanden die Neuwahlen der Ratsmannen, die Plenarversammlungen des ganzen Rates, d.h. der neuen samt der alten Räte, wozu die Einzelnen in der Regel besonders eingeladen wurden, dann die Wochen-Sessionen des regierenden Rates statt, dessen Geschäfte sich auf die Rats-Gerichtsbarkeit, die Bürgerrechts-Angelegenheiten und auf das sogen. Rats-Notariat bezogen, d.h. auf die Verbriefung und Verbuchung der an den Ratsstul verwiesenen Privatrechtshandlungen. Ausserdem war die Ratsstube die Fest- und Belustigungsstätte des Rates, beziehungsweise der Bürgerschaft, wo Empfangsfeierlichkeiten, Huldigungen, Rats-Mahlzeiten, Rats-Hochzeiten, sogar Fastnachts-Mummereien und Tänze abgehalten wurden. An manchen Orten hatte der Rat seine eigenen Stadtnarren mit einem Spielgrafen an der Spitze. Die Ratsstube war für solche Fälle mit dem erforderlichen Hausrate, Flaschen, Kannen, Tellern u. dgl. ausgestattet und eigene Stubenknechte waren zur Bedienung der Gäste aufgestellt. Die Rats-Laube war ein geräumiger, balkon- oder gallerie-artiger, nach dem Markte oder der Strasse zu offener und mit einer Brüstung versehener Ausbau an einer oder mehreren Seiten des Hauptgebäudes, worin die jährliche Ablesung der Bursprake vor dem Volke und die Verkündigung der neuen Ratsherren vollzogen wurde.
Die Tresekamer war bestimmt zur Unterbringung des Staatsschatzes, der aus mannigfaltigen Kunstgeräten bestand.
Die Kämmerei, camera, Aufenthaltsort[816] der mit dem Kassen- und Rechnungswesen betrauten Kämmerer der Stadt.
In deutschen Rathäusern jüngerer Zeit findet man häufig ausserdem:
eine Wettstube für die durch die sogen. Wetteherren besorgte Bagatell-Gerichtsbarkeit, vornehmlich in Übertretungsfällen der Handwerker und Zünfte;
eine Bau- oder Bauamtsstube;
eine Ratsdiener-Stube;
die Rathaus-Kapelle, worin die Ratmannen vor Beginn der Sitzungen einer Messe beizuwohnen pflegten;
die Ratsküche;
den Rathaus-Turm von mehreren gewölbten Etagen, deren unterste zuweilen das Archiv enthielt, während die oberen verschiedene Glocken beherbergten, die Ratsglocke zur Einläutung gewisser Ratshandlungen, die Wein- oder Bierglocke, auch Feier- oder Wächterglocke genannt.
Die Rats-Kassenkammer.
Der Ratskeller zog sich ursprünglich regelmässig unter dem Rathaus selber hin, während man ihn später unter Umständen in ein anderes Gebäude verlegte. Er war zunächst zur Aufbewahrung der dem Rate gehörenden Weine und Biere bestimmt und hatte eine Trinkhalle für den Ausschank dieser Getränke; sogen. Rats-Keller-Wirtschaften, an verschiedenen Orten der Stadt, durften bloss das städtische Bier verzapfen. Aus dem Ratskeller wurden die sogen. Ehrenweine, Tischtrünke und Weindeputate verabreicht. In einzelnen Städten durften vornehme Thunichtgute ihre Strafen auf einer Ratskeller-Stube absitzen.
Das Rats-Gefängnis.
Die Rathaus-Buden, an Handelsleute vermietete Verkaufsstätten im Untergeschoss des Hauses.
Das Rathaus war in allen seinen Teilen befriedet.
Nach Gengler, Deutsche Stadtrechts-Altertümer. Kap. 16.