Uebersetzungen

[1024] Uebersetzungen nehmen bei der mannigfachen Wechselwirkung, welche das alte und mittlere Zeitalter und die verschiedenen Einzellitteraturen des Mittelalters auf einander haben, eine wesentliche Stelle in der Litteratur des Mittelalters ein. Hier kann es sich, zumal eine gesonderte Behandlung dieses Litteraturzweiges mangelt, nur um eine kurze Übersicht derselben handeln. Da im Mittelalter alle gelehrte Bildung und Schriftstellerei von der Kirche ausgeht, welche sich ununterbrochen der lateinischen Sprache bedient, so zeigt sich vorläufig kaum ein Bedürfnis, die Werke der antikchristlich-römischen Litteratur ins Deutsche zu übersetzen. Eine Ausnahme machen bloss kirchliche Schriften, deren Mitteilung an einen weiteren Kreis der Volksgenossen wünschbar war. Zwar die Bibel ist im altdeutschen Zeitraum nie vollständig ins Deutsche übersetzt worden (siehe den Art. Bibelübersetzungen), zum Teil ohne Zweifel deshalb, weil die ersten Missionare in Deutschland Irländer, also Fremde, waren; dagegen hat man zahlreiche Übersetzungen liturgischer Katechismusstücke, der Glaubensbekenntnisse, des Unservaters, von Beichtformeln; etwas weiter reicht der Versuch Tatians Evangelienharmonie zu übersetzen, es ist dies wie die Interlinearversion der Ambrosianischen Hymnen und[1024] die Übersetzung zweier Schriften des Isidor von Sevilla ein Zeugnis von der durch Karl d. Gr. geweckten Teilnahme für die deutsche Muttersprache; dieses Interesse verschwindet aber bald wieder, und die kommentierten Übersetzungen des Hiob und der Psalmen wie verschiedener Werke der römischen Profanlitteratur, des Boethius, des Martianus Capella und des Aristoteles durch Notker Labeo aus St. Gallen, die ums Jahr 1000 entstanden sind, fanden Jahrhunderte lang keine Nachfolge.

Mit dem Begriffe einer Übersetzungslitteratur berührt sich eng die Thätigkeit der Dichter des höfischen Kunstepos, welche dem Zuge der Zeit und namentlich des Rittertums gemäss die französischen Epen von Karl d. Grossen, Äneas, Alexander, Artus, dem Gral, Tristan u. dgl. aus dem Französischen ins Deutsche übersetzten; wenn sie aber auch im Beginn ihres Gedichtes regelmässig ihre französische Quelle benannten und die Verantwortung der Thatsachen auf jene abschoben, so galten und wirkten diese Dichtungen doch als Originalschriften; ihr Name ist getihte, buoch, sage, maere, âventiure und nie translation oder dergleichen; man wollte nicht das französische Vorbild in seiner Eigenart deutsch übertragen besitzen, sondern man wollte denselben Stoff und dieselbe Form, wie ihn die französischen Ritter besassen, auch in Deutschland zu eigen haben, und deshalb übertrug man denn auch freier, als es der eigentliche Übersetzer zu thun gewohnt ist; auch lateinische Quellen, die man etwa für Legenden benutzte, unterlagen der gleichen Bearbeitungsweise.

Die Bearbeitung französischer Schriftwerke in deutscher Form hört seit der höfischen Zeit nicht mehr auf und nähert sich mehr und mehr der eigentlichen Übersetzung. Meist sind es auch vorläufig die höhern adeligen Stände, für welche solche Arbeiten unternommen werden. Das 13. und 14. Jahrhundert überträgt zahlreiche fabliaux (siehe den Art. Novellen), dann kommt der Roman (siehe diesen) an die Reihe, bis schliesslich gegen Ende des 16. und in den folgenden Jahrhunderten Französisch die Umgangs- und Lesesprache aller derjenigen Bevölkerungskreise Deutschlands wird, welche Anspruch auf Vornehmheit machen.

Eine andere Gruppe von Ubersetzungen, die sich aber zum Teil mit der französischen Gruppe berührt, bilden jene prosaischen Schriften, die zum Teil schon während der höfischen Periode, noch mehr aber in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters internationales, gemeinsames Eigentum der europäischen Völker werden; sie stammen teils aus dem Orient und gelangen anfänglich meist durch Vermittelung der lateinischen Sprache in die Volkslitteraturen; es ergänzt sich aber diese Volkslitteratur immer wieder durch neu auftauchende Werke, von denen jedes, wie ein ins Wasser geworfener Stein, einen engern oder weitern Ring in das Gebiet benachbarter Litteraturen zieht. Solche Weltbücher sind der Physiologus (siehe den Art. Tierkunde), die sieben weisen Meister, die Gesta Romanorum, die Legenda aurea, die Mehrzahl der Volksbücher, Sebastian Brants Narrenschiff, Reineke Fuchs, Eulenspiegel u.a. Auch diesen Übersetzungen liegt aber nicht die Absicht zu Grunde, einen fremden Schriftsteller in seiner Eigenart durch das Mittel der Volkssprache näher zu bringen, sondern es ist immer das stoffliche Bildungsinteresse, das sich dieser Weltbücher bemächtigt.

Die eigentliche Übersetzung von Profanschriftstellern hat erst der Humanismus auf die Bahn gebracht, eine Lebensrichtung, der zuerst die[1025] Bedeutung des Individuums, auch des schriftstellernden, zum Bewusstsein gekommen war. Doch wusste man vorläufig zwischen wirklichen Schriftstellern des Altertums und zwischen lateinischen Skribenten der Neuzeit noch wenig Unterschied zu machen, und bei der Mehrzahl der Leser, namentlich der ungebildeten, für welche diese Arbeiten berechnet waren, überwog noch lange das stoffliche Interesse. Der neuerfundene Buchdruck bemächtigte sich schnell dieses Zweiges der Litteratur. Einer der ersten Übersetzer war Niclas von Wyle, aus Bremgarten, Schulmeister in Zürich, dann Ratschreiber zu Nürnberg und Esslingen, zuletzt Kanzler des Grafen von Württemberg. Er übersetzte eine Reihe kleinerer Schriften des Poggius, Äneas Silvius, Felix Hemmerlin u.a., die zum Teil anfangs besonders gedruckt und dann 1478, ihrer achtzehn an der Zahl, unter dem Titel Translationen zusammengestellt wurden. Andere vorreformatorische Übersetzungen, bei denen die beigesetzte Jahrzahl das Datum des ersten datierten Druckes bezeichnet sind: Der trojanische Krieg des Guido Columna 1474 (siehe Trojanischer Krieg); Boethius De consolatione philosophiae 1473; Äsop (vor 1480); Terenz 1486; Cicero de officiis 1488; Hyginus 1481; Aristoteles Problemata 1492; Livius 1505; Caesar 1507; Plautus 1511; Lukian 1512; Seneca 1507; Plinius lobsagung vom heyligen Keyser Trajano 1515; Sallust 1513; Vergils Aeneis durch Dr. Thomas Murner, 1515; Isocrates 1517; Plutarch 1519.

Nach der Reformation mehren sich zwar die Übersetzungen, doch macht sich das Vorwiegen des stofflichen Interesses noch lange geltend, teils darin, dass man die alten Klassiker in meist sehr ungenügender Form überträgt (Vergil und Homer in Knittelversen), teils in der Vorliebe für die Geschichtschreiber, die Praktiker, und in der gänzlichen Übergehung der Lyriker; griechische Schriftsteller, für die man überhaupt nur noch geringes Verständnis besass, wurden oft durch Vermittelung lateinischer Versionen verdeutscht. Im 16. Jahrhundert kamen zu den schon genannten Autoren, die meist öfters erneut wurden, folgende neue hinzu: Homer Odyssee 1537; Ilias 1610; Vergil Bucolica 1567; Ovids Metamorphosen 1571Flavius Josephus 1531; und von da an in zahlreichen Ausgaben: Justin 1531; Herodian 1531; Thucydides 1533; Herodot 1535; Orosius 1539; Xenophon 1540; Demosthenes 1543; Euclides 1562; Polybius 1574; Sueto und Tacitus 1535; Plinius historia naturalis 1543; Diodor 1554; Vitruvius 1548; Frontin 1532.

Von griechischen Dramatikern erschien in deutscher Verdolmetschung zuerst Euripides Iphigenia in Aulide 1585; Medea 1598; Alcestis 1604; Hecuba 1615; Sophocles Aiax 1608 und Aristophanes Nubes 1613.

Goedeckes Grundriss I, § 114 und 143; J.F. Degen, Litteratur der deutschen Übersetzungen der Römer, Altenburg 1794–99, 3 Bde. und Litteratur der deutschen Übersetzungen der Griechen, 1797–98. 2 Bände.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 1024-1026.
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