Vogt

[1042] Vogt, mhd. voget, vogt, voit, aus mittellat. vocatus für advocatus, ist in erster Linie der Name desjenigen Beamten, der die einem Stifte mit der Immunität gegebenen Rechte handhabt, die Angehörigen des Stifts vertritt und in bezug auf sie alle diejenigen Befugnisse übt, welche kraft der Immunität den königlichen Beamten entzogen sein sollten. Ihm lag zugleich die Pflicht ob, das Stift zu schützen, seinem geistlichen Vorsteher den Beistand zu leisten, dessen derselbe bedürftig wäre; doch ist der Name Schirmvogt, der sich auf diese letztere Funktion bezieht, im Mittelhochdeutschen noch unbekannt. Karl d. Gr. hatte die Funktionen des Vogtes gesetzlich geregelt und namentlich festgestellt, dass ein Stift oder Kloster in jeder Grafschaft einen Vogt haben solle, wo es Güter besass, und dass nicht der Graf oder Centenar, sondern stets ein in der Grafschaft begüterter Mann zum Vogte genommen werden solle. In der karolingischen Zeit wurde derselbe noch unter Mitwirkung des Königs und seiner Beamten eingesetzt, später gilt es als Recht des Bischofs oder Abtes, den Vogt selber zu wählen. Gründer neuer Klöster oder Kirchen pflegten sich und meist auch ihrer Nachkommenschaft die Vogtei vorzubehalten. Obgleich sich der Papst ausdrücklich dagegen erklärte, wurde die Vogtei nicht bloss in dem zuletzt genannten Falle meist wie andere Ämter des Mittelalters erblich, es kam vor, dass der eigentliche Vogt Stellvertreter setzte, die an seiner Statt die Befugnisse übten, Vizevögte, Untervögte, zweite und dritte Vögte, ein Verhältnis, das die Stiftungen gern zu verhindern suchten. Grössere Stifter hatten mit Rücksicht auf die Lage der Güter regelmässig mehrere Vögte, manchmal auch für einzelne Distrikte, Orte und Güter einen besonderen Vogt; doch wird im Laufe der Zeit immer allgemeiner einer als der eigentliche und wahre Vogt bezeichnet. Unter den Karolingern war ausdrücklich bestimmt worden, dass der Graf, den ja der Vogt wesentlich zu vertreten hatte, nicht[1042] selber Vogt sein könne; das änderte sich später so, dass fast regelmässig ein höherer Beamter, der Graf oder der Herzog, in den Besitz der Vogtei über die zu seinem Amtsbezirk gehörigen Stifter oder die hier belegenen Güter anderer Stifter gelangte, ein Verhältnis, das jenen weltlichen Gewalten die ihnen durch die Immunität früher entrissenen Güter und Rechte nur in anderer Form und meist bleibend wieder zubrachte. Namentlich die Klöster sind der Mehrzahl nach der Macht ihrer Vögte mit der Zeit unterlegen. Nur bei solchen Klöstern, die unmittelbar unter des Königs Schutz standen, blieb wohl dem König und dem Reiche die Vogtei vorbehalten, oder er liess sie sich förmlich übertragen, um dann in der einen oder andern Weise wieder über sie zu verfügen, War aber der Vogt auch vom Vorsteher des Stiftes selbst gewählt, eingesetzt wurde er von dem König, der ihm das Recht des königlichen Bannes zu erteilen hatte. Mit der Zeit wurde die Vogtei als Lehen betrachtet, wodurch der Einfluss und die Gewalt, die der Vogt über das Kloster halle, noch stärker wurde. Sonst erhielten die Vögte bloss bestimmte Güter zu Lehen, die als Belohnung oder Besoldung für ihr Amt angesehen wurden, Güter, die manchmal einen ausserordentlichen Umfang erreichten.

Die Funktionen und Rechte des Vogtes wurden oft durch Vereinbarung oder urkundliche Festsetzung bestimmt. Nach diesen sollte er zunächst der Vertreter des Stifts und seines Vorstehers sein; er vollzog Rechtsgeschäfte, Erwerbungen, Tausche u. dgl., führte die Rechtssachen. Innerhalb der Immunität ist der Vogt Richter über die abhängigen Leute des Stifts oder die, welche später der Gerichtsbarkeit desselben unterworfen worden sind. Bussen und andere Gerichtsgefälle erhält er in dem Umfange, wie sie der Graf als Richter empfing. Auch; dieses Verhältnis führte oft den Missbrauch mit sich, dass sich der Vogt als den Inhaber der Gerichtsbarkeit betrachtete, dieselbe auf die Mitglieder des Stiftes selber ausdehnte und sie schliesslich als eine Art Herrschaft über die ihr Unterworfenen ausübte, die dann wie Unterthanen eidlich verpflichtet wurden; es kam vor, dass der Vogt einen Abt sogar ernannte und investierte, Übergriffe, denen die Stifter mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln zu wehren suchten; durch königliche Privilegien, Rechtsentscheidungen, Verträge wurden die Rechte der Vögte festgesetzt, bei neuen Verleihungen bestimmte Vorbehalte gemacht, bei Neugründungen von vorne herein die Vogtei an beschränkende Bedingungen geknüpft; auch versuchte man es, die Erblichkeit, ja auch die Lebenslänglichkeit des Amtes zu durchbrechen, oder man gab die Vogtei in die Hände von Ministerialen, die sich immer in grösserer Abhängigkeit vom Stifte befanden, oder überhaupt von solchen, welche wirkliche Beamte waren und blieben, Meier oder Schultheisse, welche in diesem Falle dann auch Vögte hiessen. In manchen Fällen gelang es, durch Ablösung, Verzicht oder Schenkung des Inhabers die Vogtei ganz zu beseitigen; der Cistercienser-Orden nahm für seine Neugründungen das Recht der Vogteifreiheit in Anspruch.

Ausser den geistlichen Stiftern kommen Vögte auch in andern, weltlichen Verhältnissen vor. So gibt es königliche Vögte, die es meist nur mit der Vertretung des Königs in einzelnen Rechtsfällen zu thun haben. Späterer Entstehung sind die Reichsvögte als Vorsteher von Reichsvogteien, d.h. solcher Territorien, die bei der Auflösung des Reiches in Territorien geistlicher oder weltlicher Herren dem Reiche übrig geblieben waren, sei es, dass freie Reichsgüter[1043] oder freie Grundeigentümer sich erhalten hatten, was besonders am Rhein, in Schwaben, Franken, im Rednitzgau, in Südthüringen der Fall war; Reichsvogt hiess der Vorsteher einer städtischen, Landvogt einer ländlichen Reichsvogtei; doch erhielten sich auch diese Vogteien nicht lange, teilten vielmehr das Schicksal aller übrigen Landesteile Deutschlands, einzelnen Territorien einverleibt zu werden. Wieder andere sind Beamte weltlicher Fürstentümer und landesherrlicher Territorien; es sind Stellvertreter des Landesherrn, die davon den Namen Landvogt tragen, und handhaben wie ehemals der Graf die hohe Gerichtsbarkeit. Endlich haben auch die Städte regelmässig ihren Vogt gehabt; es ist ursprünglich niemand anders als ein oder der Vogt des Bischofs, auf dessen Gebiet die Stadt liegt und in dessen Händen die gräfliche oder hohe Gerichtsbarkeit liegt, dem Schultheiss oder dem Nachfolger des Centenars gegenüber, dem die Ausübung der niedern Gerichtsbarkeit obliegt. Doch gibt es Städte, z.B. Köln, wo jener den Namen Burggraf und dieser den Namen Vogt trägt. Seitdem sich die Städte auf eigene Füsse stellten und die Gerichtsbarkeit von sich aus an die Hand nahmen, blieb Vogt der Name für den Vorsteher des Rates, wenn dieser als hohes Gericht zusammentrat; später nannte man ihn in den sog. Reichsstädten den Reichsvogt. Waitz, Verf. Gesch. VII, Abschn. 12, und Walter, Rechtsgeschichte.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 1042-1044.
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