Gothen

[113] Gothen, mächtiger german. Volksstamm, werden in neuester Zeit mit den Geten in Verbindung gebracht, welche in den Tagen Herodots jenseits der untern Donau wohnten. Unter den ersten röm. Kaisern erscheinen sie an der untern Weichsel angesessen und um 13 n. Chr. im Kampfe gegen Marobod; von da verbreiten sie sich im 3. Jahrh. bis an die Donaumündungen und sind fast im ununterbrochenen Kampfe gegen die Römer begriffen. Kaiser Decius fiel 251 im Kampfe gegen sie, als sie in Mösien eingefallen waren; sie verschafften sich sogar eine Flotte auf dem schwarzen Meere, verheerten die griech. Küsten und Inseln, wurden aber seit 270 zurückgetrieben. Um 350 n. Chr. erstreckte sich ihr Reich von der Ostsee bis zum schwarzen Meere u. zur untern Donau; sie hatten erbl. Könige aus dem Hause der Amaler und Balten und waren die ersten Germanen, welche das Christenthum (Arianismus) annahmen; um 370 übersetzte ein goth. Bischof Ulfila die Bibel in das Gothische, in deren Fragmenten uns das älteste schriftliche Denkmal der deutschen Sprache erhalten ist. Aus unbekannten Ursachen theilte sich das große Reich 369 in das der Terwingen oder Westgothen und der Greutungen oder Ostgothen. Als der König der letztern, Athanarich, beide Völker beherrschte, traf sie 375 der Stoß der aus Asien an die Wolga gewanderten Hunnen; sie konnten nicht widerstehen und die Westgothen wichen theilweise in das Karpathengebirge, während andere bei den Römern Aufnahme in Niedermösien fanden, die Ost-G. aber sich den Hunnen unterwarfen. Die mösischen West-G. geriethen indessen bald mit den Römern in Kampf und siegten [113] 378 bei Adrianopel, worauf sie Thracien verwüsteten, jedoch von Kaiser Theodosius wieder beruhigt wurden. Nach seinem Tode u. der Theilung des Reichs in ein oft- und weströmisches begannen sie unter ihrem Könige Alarich ihre Verwüstungszüge wieder u. dehnten sie bis in den Peloponnes aus; 402 wandte sich Alarich auch nach Italien, brandschatzte Rom und plünderte es später 410 n. Chr. aus, st. jedoch bald und wurde in dem Bette des Flusses Busento begraben. Athaulf führte hierauf die West-G. nach dem südwestl. Gallien, von wo sie nach Spanien übergingen und das Land allmälig eroberten. Die größte Ausdehnung in Gallien hatte ihr Gebiet unter König Eurich nach der Mitte des 5. Jahrh. (bis an die Loire u. Rhone); die goth. Geschichte ist nun die Spaniens (darum s. Spanien). Die Ost-G. wirkten nach Attilas Tod mächtig zur Zertrümmerung des Hunnenreichs mit, wanderten sodann unter Theodorich (Dietrich) 488 nach Italien u. eroberten es 493 gegen die german. Volksstämme, welche dem Heruler Odoaker gefolgt waren (s. Italien). – Die sog. tetraxitischen G. waren in der Krim u. am Kaukasus (gleich den Alanen) zurückgebliebene Reste des großen Volkes, welche erst von der türk. Fluth verschlungen zu sein scheinen.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1855, Band 3, S. 113-114.
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