[227] Genie (franz. génie, v. lat. genius), eigtl. der Schöpfergeist, die Schöpfungskraft, bedeutet die außergewöhnliche Begabung, welche Originelles und Musterhaftes hervorbringt. Die Grundlage des Genies ist die schöpferische Phantasie, welche eine Fülle von Vorstellungen leicht erzeugt, verbindet und von sich gibt. Daher rührt die Lebhaftigkeit und Kühnheit, die Klarheit, Schnelligkeit und Objektivität und der nie rastende Schöpfungsdrang des Genies, seine Abneigung gegen starre, feste Normen, das äußerlich Unvermittelte, Überschwengliche, oft Unverständliche seines Schaffens. Fehlt es ihm an Schulung, so verwildert es und zerfällt mit dem Leben und sich selbst. Zur vollen Entwicklung bedarf es der Selbstbeherrschung, wie sie z.B. Goethe sich erwarb. Daher kommt, es, daß sich die größten Genies auch durch Fleiß ausgezeichnet haben, so außer Goethe[227] Rafael, Michel Angelo, Shakespeare. (Vgl. F.A.Wolf: »Genie ist Fleiß!« und Schopenhauer, die Welt als Wille und Vorstellung I, § 36). Das Genie beschränkt sich meist auf ein bestimmtes Gebiet, so weit dieses auch innerhalb seiner Grenzen sein mag. Sogenannte Universalgenies mit Vollständigkeit aller menschlichen Gaben gibt es selten. Von universaler Begabung waren aber Aristoteles, Leonardo da Vinci, Leibniz, Goethe. Kant (1724-1804) definiert Genie als das Talent, welches der Kunst die Regel gibt oder als die angeborene Gemütsanlage, durch welche die Natur der Kunst die Regel gibt (vgl. Kr. d. Urteilskr. § 46, S. 178 ff.). In neuerer Zeit hat man die Verwandtschaft von Genie und Wahnsinn vielfach nachzuweisen versucht. Vgl. Lombroso, d. geniale Mensch. Übersetzt von Fränkel, Hamburg 1890. F. Brentano, das Genie. Leipzig 1892.