[602] Stolz heißt die Überhebung auf Grund eigener Vorzüge. Der Stolze hat wirklich Vorzüge, aber er schlägt sie zu hoch an; infolgedessen ist sein Ehrgefühl reizbar; er fürchtet, nicht genug anerkannt zu werden oder seinem Werte etwas zu vergeben, und läßt daher andere seine Bedeutung durch ein kaltes, vornehmes Wesen fühlen. Er möchte ihnen durch sein bloßes Auftreten imponieren, damit sie sich neben ihm gering achten. Er hat vielleicht wirklich Erfahrungen gemacht, woraus er schließen zu können glaubt, daß er selbst mutiger, kaltblütiger, klüger, großherziger usf. ist als andere; er hat mit Bewußtsein und Eifer seit lange danach gestrebt, daß dies so sei. So gründet sich das Selbstgefühl des Stolzen auf sein Ich, vor[602] dem er selbst Achtung hegt. Stolz ist man immer nur auf sich oder auf seine Freunde, Kinder, Taten, Werke, weil man etwas geleistet zu haben wähnt. Während der Eitle äußere Ehrenzeichen leidenschaftlich begehrt, der Hochmütige sie rücksichtslos fordert, verschmäht sie der Stolze. So ist Eitelkeit das größte Hindernis des Stolzes. Der Stolze hält sich für zu groß, als daß sein Wert durch die Anerkennung anderer wachsen könnte. Er dünkt sich zu gut, um zu bitten, danken und anzuerkennen, wie er sich andrerseits auch nicht herabläßt zum Schmeicheln und Kriechen, Heucheln und Lügen. Letzteres hat seine gute Seite und ist edler Stolz, d.h. Selbstachtung des Menschen als vernünftiges Wesen, durch das er verhindert wird, etwas Unwürdiges zu denken, zu sagen oder zu tun. Vgl. Selbstgefühl, Eitelkeit, Hochmut.