Ursache

[667] Ursache (causa) heißt diejenige Sache, deren Dasein das Dasein einer anderen, oder derjenige Vorgang, dessen Eintritt den Eintritt eines anderen, der Wirkung, notwendig macht (causa essendi seu fiendi). Beide, Ursache und Wirkung, stehen miteinander in fester Verbindung (Kausalnexus); die Wirkung steht zur Ursache im Verhältnis der Abhängigkeit, die Ursache zur Wirkung im Verhältnis der Herrschaft. Wir schließen, daß B die Ursache für die Veränderung an A sei, sobald wir bemerken, daß aus abc (=A) abd geworden ist, nachdem B zu A hinzugetreten war, und dies in jedem Falle. Der Grund für diese Veränderung, schließen wir, kann nicht in A enthalten sein; denn von selbst wird abc nie zu abd, sondern nur durch B. Nicht daß die eine Wahrnehmung der andern folgt, macht diese zur Ursache jener, sondern, daß, wenn B mit A zusammenkommt, an A das c dem d weicht, macht B zur Ursache des d. So betrachten wir auch nicht die Nacht als Ursache des Tages, sondern die Stellung der Sonne zur Erde. B wird zur Ursache vielmehr erst, sobald es zu A so hinzukommt, daß wir ihm eine Kraft zuschreiben, welche von ihm ausgelöst wird und das d hervorruft. Aber dieses Eingeschlossensein des d, das doch gar nicht an B, sondern an A zur Erscheinung kommt, hat etwas Unbegreifliches. Vgl. Möglichkeit, Kraft. Weil nun aber die Erfahrung das gleiche Kausalitätsverhältnis zweier Dinge stets wiederkehren sieht, ergibt sich als ein Grundgesetz unseres Denkens der Satz: »Kein Ding ohne Ursache«, oder »Alles, was geschieht (anhebt zu sein), setzt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt« (Kant, Kr. d. r. V. S. 189). Stehen doch schon die Begriffe, welche im Satze der Identität und des Widerspruchs verwendet werden, in gegenseitiger Beziehung und Verknüpfung. Sie rufen einander hervor, wie die Ideenassoziation beweist. Ferner glauben wir unser Ich als die schöpferische Ursache für alle seine Vorstellungen erkennen zu können. In der Außenwelt freilich nehmen wir die Ursachen selbst nie wahr, sondern nur die Wirkungen; aus ihnen erschließen wir jene. Aber an uns selbst meinen wir fort und fort den Kausalzusammenhang zwischen Reiz und Empfindung, Unlust und Trieb, Vorstellen und Fühlen, Wollen und Handeln beobachten zu können. Diese Anschauung einer sich äußernden psychischen Kraft übertragen wir dann auf die Außenwelt: Im Bernstein, sagen wir, schlummert[667] die Kraft, Papierstückchen anzuziehen, im Gifte der Tod, im Pulver die Expansivkraft usw. Dieselben Erscheinungen, meinen wir, müssen auch dieselben Ursachen haben: deshalb reden wir von gewissen Naturkräften und Gesetzen, denen wir Allgemeinheit und Notwendigkeit zuschreiben, ohne meist zu beachten, daß diese »ewigen« Naturgesetze oft genug von Erscheinungen durchbrochen oder durch uns selbst erweitert und geändert werden. – Es bleiben aber überhaupt im Begriffe der Ursache unlösbare Schwierigkeiten: Wie kann ein Ding in einem anderen Veränderungen hervorrufen, d.h. ihm eine Qualität aufdrängen, die in ihm selbst gar nicht ist? Verwirft man diesen äußeren Einfluß (influxus physicus) und faßt die Ursachen als innere auf, so erscheint das Ding als seine eigene Ursache und Wirkung. Daher haben manche Philosophen alle Veränderung überhaupt zu leugnen gesucht, andere haben sie auf die jedesmalige Einwirkung Gottes (Occasionalismus) oder wie Leibniz auf eine von Gott prästabilierte Harmonie zurückgeführt, wonach Gott ein für allemal die Veränderungen in den Dingen so geordnet habe, daß sie durcheinander hervorgebracht zu sein scheinen. Im Grunde hat auch die Identitätsphilosophie die Kausalität geleugnet. So kommt die Philosophie mit dem Begriff der Ursache nicht recht zu Rande. Wir stehen vielmehr mit dem Kausalitätsbegriff an einer Grenze unserer Erkenntnis. Wir bedürfen des Begriffs Ursache und Wirkung zum Aufbau unseres Wissens und können ihn doch nicht ableiten und rechtfertigen. Er erscheint wie eine Anthropomorphosierung der Welt durch den Menschen. Auch das psychisch Geschehene in uns gibt uns keine volle Aufklärung über das Wesen der Kraft und Ursache. Verursachung und Begründung (vgl. Grund) sind voneinander zu scheiden und nicht miteinander zu verwechseln; Verursachung ist ein Verhältnis in der Wirklichkeit, Begründung ein Verhältnis der menschlichen Gedanken. Nur wer der Theorie huldigt, daß aus reiner Vernunft Erkenntnis der Tatsachen zu schöpfen sei, also der Rationalist, wird beide einander gleichsehen, wie dies Spinoza (1632-1677) getan hat, für den die Formel sequi = causari gilt.

Schon Platon und Aristoteles stellten es als ein Postulat unserer Vernunft auf, daß man nichts ohne Grund annehme. Aristoteles (384-322) zählt vier Prinzipien auf: Stoff, Form, Ursache und Zweck. Daß nichts ohne Ursache[668] geschehe (nihil fieri sine causa), lehrten auch Epikuros und Lucretius. Doch erst Cartesins (1596-1650) nimmt das Kausalitätsgegetz (nihil ex nihilo fit) in den Zusammenhang der rationalistischen Weltanschauung auf (vgl. Cartesianismus) und erst Leibniz (1646-1716) formuliert den logischen Grundsatz, daß wir keinen Satz als wahr, kein Faktum als wirklich annehmen ohne einen zureichenden Grund (principe de la raison déterminante ou suffisante). Doch schon Wolf (1679 bis 1754), sein Schüler, identifiziert Grund und Ursache, wie vor ihm Spinoza. Kant (1724-1804) ringt wieder nach Scheidung beider und erreicht sie zum Teil in seinem Kritizismus. Schopenhauer (1788-1860) handelt zwar von einem vierfachen Grunde, dem des Werdens, des Erkennens, des Seins und des Handelns (»Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde« 1813), gibt aber zu, daß diese vier Gestalten auf die üblichen zwei hinauslaufen. – Hume (1711-1776) hat zuerst behauptet, der Begriff der Kausalität sei ganz subjektiv und unberechtigt, da er infolge der Beobachtung einer gleichen Aufeinanderfolge von Ereignissen in uns nur durch Gewohnheit entstehe (post hoc, ergo propter hoc); er habe also für die Erkenntnis und das Verhältnis der Dinge selbst keine Bedeutung. Doch widerspricht sich Hume insofern, als er die Sukzession der Ereignisse für die Ursache erklärt, daß die Erwartung in uns erzeugt werde und durch Gewohnheit der Begriff der Ursache in uns entstehe. Ganz im Gegensatz dazu behauptet Kant (1724-1804), daß der Begriff Kausalität unserem Geiste ursprünglich und unabhängig von dem Inhalte der Erfahrung (a priori) als Stammbegriff, Kategorie, angehöre; doch handelt es sich für ihn bei dem a priori nur um den allgemeinen Denkbegriff. In jedem einzelnen Falle entscheidet nach Kants Auffassung über die Ursächlichkeit allein die Erfahrung. Ihm ist Kausalität, allgemein genommen, ein Begriff, eine Denkform. Trotzdem hat er die Dinge an sich für die Ursache des Stoffes der Erfahrung, d.h. der sinnlichen Empfindung, erklärt und somit Ursache in doppelter Bedeutung bezüglich der Dinge an sich und bezüglich der Dinge für uns genommen, ein verborgener Widerspruch, auf den Jacobi (1743-1819) hinwies, und der Fichte (1762-1814) veranlaßte, über Kant zum konsequenteren Idealismus hinauszugehen. Hume's negierende Auffassung des Kausalitätsbegriffs hat vor allem St. Mill (1706[669] bis 1873) erneuert und ausführlich zu begründen versucht. –

Vgl. Cornelius, über die Bedeutung des Kausalprinzips. 1867. A. Fick; die Welt als Vorstellung. 1870. W. Schuppe, das menschliche Denken. 1870. Strümpell, der Kausalitätsbegriff. 1871. Vgl. Causalität, Kategorien.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 667-670.
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