[701] Zweifel heißt derjenige Gemütszustand, in dem man durch einander entgegenstehende Gründe an der Entscheidung einer Frage gehindert wird. Der Zweifel ist entweder ein Zustand intellektueller oder ein Zustand ethischer Art. Sein Gegenteil ist demgemäß entweder die Gewißheit oder die Entschlossenheit oder das Vertrauen. Der Zweifel ist unbequem in der Praxis des Lebens und lahmt die Kräfte des Geistes; aber in der Wissenschaft ist der Zweifel der Vater der Forschung.[701] Denn nur wer verschiedene Möglichkeiten erkennt und sich dadurch hin und her getrieben fühlt, sucht nach Instanzen der Entscheidung. Daher empfahl schon Epicharmos (5. Jahrhundert) den Zweifel: naphe kai memnas' apistein; arthra tyta tôn phrenôn, und auch Aristoteles (384-322) betrachtete ihn als Quelle der Weisheit; Cartesius (1596-1660) empfiehlt dem Philosophen bei Beginn seiner Arbeit den methodologischen Zweifel an allem. Verschieden von dem von ihm geforderten Zweifel ist der skeptische Zweifel, welcher das Endresultat der sich selbst aufgebenden Philosophie ist und auf das Streben nach Erkenntnis verzichtet. Vgl. Skepsis, Wahrscheinlichkeit, Wahrheit.[702]