Die Geschichte der Pförtnerin

[124] Wisse, o Beherrscher der Gläubigen, ich hatte einen Vater, der starb, als seine Zeit erfüllet war, und er hinterließ mir großen Reichtum. Und ich blieb ledig durch eine kurze Zeit und vermählte mich dann mit einem der Reichsten seiner Tage. Und ein Jahr lang lebte ich mit ihm, da starb auch er, und mein Anteil an seinem Erbe betrug nach dem heiligen Gesetz achtzigtausend Dinare in Gold. So wurde ich überreich, und mein Ruf verbreitete sich überall, denn ich hatte mir zehn Gewänder gemacht, von denen ein jedes tausend Dinare galt. Und eines Tages, als ich zu Hause saß, siehe, da trat ein altes Weib zu mir ein, mit eingefallenen Kiefern und Backen, mit faltigen Augen und spärlichen, kahlen Brauen und dem nackten Kopf uralter Frauen, und mit Zähnen, zerschlagen, zerbrochen, ein Grauen, mit krummem Rücken und nickendem Hals, mit schwarzem Gesicht und fließender Nase, und mit Haaren gleich einer gesprenkelten Schlange, eine Scheuche von Angesicht. Und als die Alte eintrat, grüßte sie mich und küßte den Boden vor mir und sagte: ›Ich habe zu Hause eine Waisentochter, und heute nacht ist ihre Hochzeit und der Tag des Putzens. Und wir sind arm und fremd in dieser Stadt und kennen keinen, der hier wohnt, und unser Herz ist gebrochen. So verdiene du dir den Lohn des Himmels und sei zugegen bei ihrer Schmückung, und wenn die Damen dieser Stadt vernehmen, daß du der Ladung folgst, so werden auch sie erscheinen; und du wirst ihren Kummer heben, denn sie ist niedergeschlagen, und sie hat niemanden außer Allah, dem Höchsten!‹ Und sie weinte und küßte mir die Füße.

So faßte mich Mitleid, und ich sagte: ›Ich höre und willige ein, und es gefalle Allah, daß ich noch einiges mehr für sie tue; und nicht soll sie ihrem Bräutigam sich zeigen, es sei denn in meinen Gewändern und meinem Schmuck.‹ Und die Alte freute sich und[125] neigte den Kopf bis zu meinen Füßen und küßte sie und sagte: ›Allah vergelte dir gut und tröste dein Herz, wie du das meine getröstet hast! Aber, o Herrin, sorge dich nicht, mir diesen Dienst zu dieser Stunde zu tun; sei bereit zur Zeit des Nachtmahls, und ich will kommen und dich holen.‹ Und sie küßte mir die Hand und ging ihres Weges. Und als ich dasaß und mir die Perlenschnüre umband und meine brokatenen Gewänder anlegte und mich putzte, ohne zu ahnen, was das Schicksal für mich im Schoße hielt, siehe, da stand plötzlich die Alte vor mir, grinsend und lächelnd, so daß sie jeden Zahnstumpf zeigte, und sprach: ›O meine Herrin, die Damen der Stadt sind gekommen, und als ich ihnen sagte, daß du versprochen hast, dabei zu sein, da freuten sie sich, und jetzt erwarten sie dich und harren begierig deiner Ankunft und der Ehre der Begegnung mit dir.‹ Und ich warf mir den Mantel über und ließ die Alte mich führen und meine Mädchen mir folgen; und wir gingen, bis wir in eine Straße kamen, wohlbewässert und sauber gefegt, und die Luft war von einer frischen Brise bewegt; und wir machten Halt vor einem Bogentor, über dem sich eine marmorne Kuppel wölbte, festgefügt auf starken Mauern, und es führte zu einem Palast, dessen tönerne Wände sich hoch und stolz erhoben und dessen Zinne in die Wolken ragte; und über dem Tore standen Verse geschrieben.

Und angekommen vor dem Tor, das ein schwarzer Vorhang abschloß, pochte die Alte, und uns wurde aufgetan; und wir traten ein und fanden eine Halle, belegt mit Teppichen und rings behangen mit brennenden Lampen und Wachskerzen in Kandelabern, von denen Edelsteine und kostbare Erze niederhingen. Und wir durchquerten diese Halle und kamen in einen Saal, der in der Welt an Pracht und Schönheit seinesgleichen nicht findet. Er war behangen und ausgelegt mit seidenen Stoffen und erhellt von armigen Leuchtern, Spiegellampen und Fackeln, die in doppelten Reihen geordnet waren und zusammenliefen am oberen oder vornehmen Ende des Saales; dort aber stand ein Lager aus Wacholderholz, das eingelegt war mit Perlen und Edelsteinen und überdacht von einem Baldachin aus seidenen Moskitonetzen, aufgesteckt mit Perlen. Und kaum hatten wir das gesehen, so trat hervor aus dem Baldachin ein[126] junges Mädchen, und ich blickte, o Beherrscher der Gläubigen, auf ein Gesicht und eine Gestalt, vollkommener als der Mond, wenn er sich füllt, schöner als die Morgenröte, wenn sie in safranfarbenem Licht erstrahlt.

Und das schöne Mädchen trat herab von der Estrade und sagte zu mir: ›Willkommen und Freude meiner Schwester, der vielgeliebten, erlauchten, und tausend Grüße!‹ Und sie setzte sich nieder und sagte zu mir: ›O meine Schwester, ich habe einen Bruder, der dich oft bei Hochzeiten und auf Festen erblickte: er ist schöner als ich, und er liebt dich verzweifelt, denn das gütige Geschick hat in dir alle Schönheit und Vollendung vereinigt; und er gab dieser Alten Geld, daß sie dich besuchte; und sie ersann diese List, um uns zusammenzuführen. Er hat vernommen, daß du zu den Edlen deines Stammes gehörst, und er gilt in seinem nicht weniger; und da er sein Los an dein Los zu binden wünscht, so erfand er diesen Plan, um mich in deine Gesellschaft zu bringen; denn er möchte sich nach der Vorschrift Allahs und seines Propheten mit dir vermählen; und in dem, was recht ist, liegt keine Schande.‹ Als aber ich diese Worte hörte und sah, daß ich in eine Falle gegangen war, erwiderte ich: ›Ich höre und willige ein.‹ Und sie war entzückt und klatschte in die Hände; und eine Tür tat sich auf, und heraus trat ein Jüngling in der Blüte des Lebens, herrlich gekleidet, ein Muster an Schönheit und Lieblichkeit, an Ebenmaß und vollkommener Anmut; und sein Wesen war zart und gewinnend, und seine Brauen wie ein gespannter Bogen und ein Pfeil auf der Senne, und seine Augen bezauberten alle Herzen. Und als ich ihn ansah, neigte sich mein Herz zu ihm, und ich liebte ihn; und er setzte sich mir zur Seite und sprach eine Weile mit mir; und wiederum klatschte das Mädchen in ihre Hände, und siehe, eine Seitentür tat sich auf, und es erschien der Kasi1 mit seinen vier Zeugen; und sie grüßten uns und setzten sich und entwarfen den Ehevertrag zwischen mir und dem Jüngling und zogen sich wieder zurück. Er aber wandte sich zu mir und sagte: ›Gesegnet sei unsre Nacht!‹ und er fügte hinzu: ›O meine Herrin, ich muß dir eine Bedingung auferlegen.‹ Und ich fragte: ›O mein Herr, sie lautet?‹[127] Und er stand auf und holte eine Abschrift des Heiligen Buches und hielt sie mir hin und sprach: ›Schwöre auf dieses Buch, daß du nie einen andern ansehn willst als mich, noch ihm Leib oder Seele neigen.‹ Und ich schwor es ihm gar gern, und er freute sich in höchster Freude und umarmte mich, derweilen die Liebe zu ihm mein ganzes Herz ergriff. Und man setzte die Tische vor uns, und wir aßen und tranken, bis wir befriedigt waren. Und ich lebte mit ihm ein Leben des Glücks und der Lust einen vollen Monat lang; da aber bat ich ihn um die Erlaubnis, zu Fuß in den Basar zu gehen und mir gewisse Stoffe zu erstehen, und er gab sie mir. So zog ich mir den Mantel an und nahm die Alte mit und eine Sklavin, und ging in den Khan der Seidenhändler und setzte mich dort in den Laden eines jungen Kaufmanns, den die Alte empfahl, indem sie zu mir sagte: ›Dieses Jünglings Vater starb, als er ein Kind war, und hinterließ ihm großen Reichtum; er hat gewaltig schönen Warenvorrat, und bei ihm wirst du finden, was du suchst, denn es hat niemand im ganzen Basar vortrefflichere Stoffe als er.‹ Und sie sagte zu ihm: ›Zeig dieser Dame die kostbarsten Stoffe, die du besitzest‹; und er versetzte: ›Hören ist Gehorchen!‹ Und sie flüsterte mir zu: ›Sprich ein höfliches Wort zu ihm!‹ doch ich erwiderte: ›Ich gelobte, außer meinem Herrn zu keinem Mann zu sprechen.‹ Und als sie begann, sein Lob zu singen, sagte ich scharf: ›Wir brauchen deine süßen Reden nicht; wir wollen kaufen, an was es uns fehlt, und nach Hause kehren.‹ So brachte er mir alles, was ich suchte, und ich bot ihm sein Geld, aber er verweigerte, es zu nehmen, und sagte: ›Laßt die Waren ein Geschenk sein, das ich heute meinem Gaste gebe!‹ Ich aber sagte zu der Alten: ›Wenn er das Geld nicht will, so gib ihm seine Waren zurück.‹ ›Bei Allah,‹ rief er, ›nichts will ich von dir nehmen; ich verkaufe es nicht um Gold oder Silber, aber ich schenke dies alles für einen einzigen Kuß; einen Kuß, der mir kostbarer ist als alles, was der Laden enthält.‹ Fragte die Alte: ›Was soll der Kuß dir nützen?‹ und mir flüsterte sie zu: ›O meine Tochter, hörst du, was der Bursche sagt? Was soll es dir wohl schaden, wenn er einen Kuß von dir erhält und du um diesen Preis das, was du suchest?‹ Ich aber sagte: ›Verhüte Allah, daß ich solches tue! Weißt[128] du nicht, daß ich durch einen Eid gebunden bin?‹ Und sie versetzte: ›Still, still! Laß ihn dich küssen, doch sprich nicht mit ihm, noch lehne dich über ihn, und du hältst deinen Eid und behältst dein Geld, und dir kann nichts Arges geschehen.‹ Und sie ließ nicht ab, mir zuzureden und mich zu verfolgen, bis das Böse mir in die Seele drang und ich den Kopf in die Schlinge steckte und nein sagte und ja tat. Und ich verschleierte mir die Augen und hielt den Saum meines Mantels zwischen mich und das Volk auf der Straße, und er legte mir unter dem Schleier den Mund an die Wange. Aber als er mich küßte, biß er mich, und er biß so scharf, daß er mir ein Stück Fleisch aus der Wange riß; und das Blut floß reichlich, und mich überschlich eine Schwäche. Die Alte fing mich in ihren Armen auf, und als ich zu mir kam, sah ich den Laden verschlossen, und sie trauerte über mir und sagte: ›Allah sei Dank, daß er Schlimmeres abgewendet hat!‹ und sie fuhr fort: ›Komm, faß ein Herz und laß uns nach Hause gehen, ehe die Sache öffentlich wird und du entehrt bist. Und wenn du glücklich hineinkommst, so lege dich nieder und hülle dich ein, und stelle dich krank, und ich will dir Pulver bringen und Pflaster, den Biß zu heilen, und deine Wunde ist in längstens drei Tagen nicht mehr zu sehen.‹ Und so stand ich nach einer Weile auf und war in äußerster Betrübnis, und Angst befiel mich; aber langsam ging ich weiter, bis ich das Haus erreichte; und ich stellte mich krank und legte mich nieder. Und als die Nacht hereinbrach, kam mein Gatte und fragte: ›Was ist dir widerfahren, o mein Liebling, auf deinem Gang?‹ und ich erwiderte: ›Mir ist nicht wohl, mein Kopf schmerzt sehr.‹ Er aber nahm eine Kerze, trat nahe zu mir, sah mich an und sprach: ›Was für eine Wunde ist das, die ich da auf deiner Wange sehe, und gerade im zartesten Teil?‹ Und ich erwiderte: ›Als ich heute mit deiner Erlaubnis ausging, um Stoffe zu kaufen, stieß mich ein mit Brennholz beladenes Kamel an, und eines der Stücke zerriß meinen Schleier und verwundete mir die Wange, wie du es siehest; denn wahrlich, die Straßen dieser Stadt sind eng.‹ ›Morgen‹, rief er, ›will ich Klage führen bei dem Statthalter der Stadt, und alle Holzverkäufer von Bagdad sollen mir an den Galgen.‹ ›Allah sei mit dir,‹ sagte ich, ›belade dir nicht die Seele mit[129] solcher Sünde. In Wahrheit ritt ich auf einem Esel, und er stolperte und warf mich zu Boden; und ich fiel mit der Wange auf einen Pfahl oder ein Stück Glas und trug diese Wunde davon.‹ ›Dann‹, sagte er, ›will ich morgen zu Dscha'afar, dem Barmaki, gehen und ihm die Geschichte erzählen, so wird er alle Eseljungen in Bagdad töten lassen.‹ ›Willst du‹, sagte ich, ›all diese Leute um meiner Wunde willen vernichten? Und doch geschah, was mir widerfuhr, mit Allahs Willen und durch sein Schicksal.‹ Doch er versetzte: ›Es hilft nichts‹; und indem er auf die Füße sprang, bestürmte er mich mit Fragen und drängte mich, bis ich hilflos war und in großer Angst; und ich stotterte und stammelte, und die Zunge wurde mir schwer, und ich sagte: ›Es war ein bloßer Zufall nach dem Willen Allahs.‹ Da aber, o Beherrscher der Gläubigen, erriet er die Wahrheit und sagte: ›Du hast deinen Schwur gebrochen.‹ Und er stieß einen lauten Schrei aus; und eine Tür tat sich auf, und herein traten sieben schwarze Sklaven, und er befahl ihnen, mich aus dem Bett zu reißen und mich mitten im Zimmer niederzuwerfen. Und einen von ihnen hieß er mir die Ellbogen fesseln und sich auf meinen Kopf hinhocken; und einen zweiten, sich auf meine Knie setzen und mir die Füße halten; und indem er das Schwert zog und es einem dritten gab, sagte er: ›Triff sie, o Saad, und spalte sie, und je einer nehme den einen Teil und werfe ihn in den Tigris, damit die Fische sie fressen; denn solches ist die Vergeltung, die Brechern ihrer Gelübde gebührt und Ungetreuen in ihrer Liebe.‹ Und als der Sklave des Befehles sicher war, neigte er sich zu mir herab und sagte: ›O meine Herrin, sprich das Bekenntnis und bedenke, ob du noch etwas getan zu sehen wünschest, denn wahrlich, dies ist deine letzte Stunde.‹ ›Mein guter Sklave,‹ sagte ich, ›warte noch eine kleine Weile und laß mir den Kopf frei, damit ich dir meine letzten Wünsche sagen kann.‹ Und ich hob den Kopf und sah, wie es nun stand, und wie ich aus dem höchsten Glück in die tiefste Schmach gestürzt war, und nach dem Leben (und nach solchem Leben) in den Tod, und wie ich diese Strafe durch meine eigene Sünde selber über mich bringen mußte; und mir strömten die Tränen aus den Augen, und ich weinte in bitterem Weinen und flehte meinen Gatten an um Vergebung und demütigte mich vor[130] ihm und redete ihm sanft zu, denn ich sagte zu mir selber: ›Ich will mit Worten auf ihn wirken, so wird er mich vielleicht doch nicht erschlagen, wenn er mir auch alles nimmt, was ich habe.‹ Und als ich geendet hatte, weinte ich wieder, und er sah mich an und schmähte mich, und er rief dem Sklaven nochmals zu: ›Spalte sie und erlöse uns von ihr, denn sie nützt uns nichts mehr.‹ Und so trat der Sklave zu mir, o Beherrscher der Gläubigen, und ich machte mich auf den Tod gefaßt; und am Leben verzweifelnd, gab ich mich in Allahs Hand, als, siehe, die Alte hereingestürzt kam und sich meinem Gatten zu Füßen warf und sie ihm küßte, weinte und rief: ›O mein Sohn, bei den Rechten meiner Pflege und bei meinem langen Dienst beschwöre ich dich, verzeihe dieser Dame, denn wahrlich, sie hat nichts getan, was solches Schicksal verdiente. Du bist ein Jüngling, und ich fürchte sehr, ihr Tod werde dir zu Lasten fallen; denn es steht geschrieben: Wer erschlägt, der soll erschlagen werden. Diese Sünderin aber, da du sie für eine solche hältst, treibe hinweg von deiner Tür und aus deiner Liebe und deinem Herzen.‹ Und sie ließ nicht ab zu weinen und ihn zu drängen, bis er nachgab und sagte: ›Ich vergebe ihr, aber ich muß ihr mein Siegel aufprägen, das sie ihr Leben lang zieren soll.‹ Und er hieß die Sklaven mich über den Boden schleifen und mich ausstrecken und mir die Kleider herunterreißen; und als die Sklaven so auf mir saßen, und ich mich nicht rühren konnte, da holte er eine Quittenrute herbei und fiel damit über mich her und schlug mich auf Rücken und Flanken, bis ich die Besinnung verlor vor dem Übermaß der Schmerzen und am Leben verzweifelte. Da befahl er den Sklaven, mich gleich nach Einbruch der Dunkelheit fortzutragen, unter der Führung der Alten, die die Straße kannte, und mich in das Haus zu werfen, das ich vor meiner Hochzeit bewohnt hatte. Und sie taten ihres Herrn Geheiß und warfen mich nieder in meinem alten Hause und gingen ihrer Wege davon. Und ich erwachte nicht aus meiner Ohnmacht, bis der Tag erschien; dann aber verband ich mir meine Wunden mit Salben und andern Arzneien; und ich pflegte mich, aber Seiten und Flanken zeigten immer noch Narben der Rute, wie du sie gesehen hast. Und vier Monate lang lag ich danieder, ehe ich aufstehen konnte und mich[131] erholte. Und als die Zeit verstrichen war, ging ich und suchte das Haus, darin all dies geschehen war, und fand es in Trümmern; die Straße war weithin niedergerissen, und wo der Bau gestanden hatte, lagen Haufen Schutts; und wie das geschehen war, konnte ich nicht erfahren. Da ging ich zu dieser meiner Schwester von Vaters Seite und fand sie mit diesen schwarzen Hündinnen. Und ich grüßte sie und sagte ihr, was mir widerfahren war, und erzählte ihr meine ganze Geschichte, und sie versetzte: ›O meine Schwester, wer ist sicher vor der Tücke der Zeit? Dank sei Allah, der dich gerettet hat!‹ Und sie erzählte mir ihre eigene Geschichte und alles, was ihr mit ihren Schwestern widerfahren war und wie es geendet hatte; und wir lebten zusammen, und nie in all den Jahren sprachen wir je wieder von der Ehe. Nach einer Weile aber schloß sich uns unsere dritte Schwester an, die Einkäuferin, die jeden Morgen ausgeht und alles kauft, dessen wir für Tag und Nacht bedürfen; und so lebten wir weiter, bis zu dieser letzten Nacht. Und am Morgen ging unsere Schwester wie gewöhnlich aus, um einzukaufen, und dann geschah, was uns geschah, weil sie den Lastträger mit ins Haus nahm und die drei Mönche einließ. Wir behandelten sie freundlich und ehrenhaft, und noch war kein Viertel der Nacht verstrichen, so kamen drei ernste und ehrenwerte Kaufleute aus Mosul zu uns und erzählten uns ihre Abenteuer. Und wir setzten uns und plauderten mit ihnen, aber nur unter einer Bedingung, die sie verletzten; da behandelten wir sie, wie es der Bruch des Versprechens verdiente, und wir hießen sie den Bericht wiederholen, den sie uns von sich gegeben hatten. Und sie taten, was wir verlangten, und wir vergaben ihnen die Kränkung; und so gingen sie von uns, und heute morgen wurden wir unerwartet vor dich gerufen. Und das ist unsere Geschichte!‹

Der Kalif aber staunte ob ihrer Worte und befahl, daß die Erzählung verzeichnet würde und aufgeschrieben und niedergelegt in den Kammern seines Archives. Dann aber fragte er das älteste Mädchen: ›Weißt du, wo die Ifritah ist, die deine Schwestern verzauberte?‹ Und sie erwiderte: ›O Beherrscher der Gläubigen, sie gab mir eine Locke ihres Haares und sagte: ›Wenn du je mich[132] sehen möchtest, so verbrenne zwei dieser Haare, und ich werde unverzüglich bei dir sein, und wäre ich auch jenseits der Kaukasusberge.‹ Sprach der Kalif: ›Bring her das Haar.‹ Und sie brachte es, und er warf die ganze Locke aufs Feuer; und als der Duft des brennenden Haares aufstieg, da erbebte der Palast und zitterte, und alle vernahmen ein Rasseln und Rollen des Donners und ein Geräusch wie von Flügeln, und siehe, die Dschinnijah, die eine Schlange gewesen war, stand vor dem Kalifen. Nun aber war sie eine Moslemah, und so grüßte sie ihn und sprach: ›Friede sei mit dir, Stellvertreter Allahs‹; und er versetzte: ›Und auch mit dir sei Friede und Allahs Gnade und sein Segen.‹ Und so fuhr sie fort: ›Wisse, dies Mädchen säte für mich die Saat der Güte, und ich kann es ihr nicht genug vergelten, denn sie rettete mich vom Tode und vernichtete meinen Feind. Nun hatte ich gesehen, wie ihre Schwestern gegen sie handelten, und ich fühlte mich gebunden, sie zu rächen. Erst aber wollte ich sie erschlagen, doch ich besorgte, es werde sie grämen, und so verwandelte ich sie in Hündinnen; aber wenn du ihre Befreiung wünschest, o Beherrscher der Gläubigen, so will ich sie dir und ihr zu Gefallen befreien, denn ich gehöre zu den Moslems.‹ Sprach der Kalif: ›Befreie sie, und nachher wollen wir die Sache der geschlagenen Dame untersuchen, und sorgfältig erwägen, was ihr geschah; und wenn sich ihre Geschichte als wahr erweist, so will ich an dem, der ihr unrecht tat, das Gleiche mit Gleichem vergelten.‹ Sprach die Ifritah: ›O Beherrscher der Gläubigen, ich will sie befreien und will dir den entdecken, der an diesem Mädchen also handelte und ihr unrecht tat und ihr nahm, was sie besaß; denn er steht dir von allen Menschen am nächsten!‹ Und sie ergriff eine Schale Wassers und murmelte einen Zauber darüber und flüsterte Worte, die niemand verstand; und sie sprengte ein wenig des Wassers über die Köpfe der Hündinnen und sagte: ›Kehret in eure menschliche Gestalt zurück!‹ und sie standen da in ihrer natürlichen Gestalt und priesen den Schöpfer. Und die Ifritah sprach: ›O Beherrscher der Gläubigen, wahrlich, der dieses Mädchen schlug mit Ruten, ist dein Sohn Al-Amin, der Bruder des Al-Maamun; denn er hörte von ihrer Schönheit und Lieblichkeit, und er brauchte eines Liebenden[133] Listen gegen sie und vermählte sie sich nach dem Gesetz und beging das Verbrechen (denn es ist ein Verbrechen), sie zu geißeln. Und doch ist er nicht zu tadeln, wenn er sie schlug, denn er erlegte ihr eine Bedingung auf und nahm ihr einen feierlichen Eid ab, eines nicht zu tun; sie aber brach ihr Gelübde, und er wollte sie erschlagen; doch er fürchtete Allah, den Allmächtigen, und begnügte sich damit, sie zu geißeln, und schickte sie in ihr Haus zurück. Solches ist die Geschichte des zweiten Mädchens, und der Herr weiß alles.‹

Als der Kalif diese Worte hörte und erfuhr, wer das Mädchen geschlagen hatte, staunte er in höchstem Staunen und sagte: ›Preis sei Allah, dem Höchsten, dem Allmächtigen, der mir seine übermäßige Gnade zeigte und mir erlaubte, diese beiden Mädchen von der Verzauberung und der Folter zu befreien, und mir den Wunsch gewährte und mich bekannt machte mit der Geschichte dieses Mädchens! Und jetzt wollen wir, bei Allah, eine Tat tun, von der man noch reden wird, wenn wir nicht mehr sind.‹ Und er ließ seinen Sohn Al-Amin holen und fragte ihn nach der Geschichte des zweiten Mädchens, der Pförtnerin; und er erzählte sie der Wahrheit gemäß; da ließ der Kalif die Kasis und ihre Zeugen vor sich rufen, und die drei Mönche und das erste Mädchen mit ihren Schwestern, die verzaubert gewesen waren; und er vermählte die drei mit den drei Bettelmönchen, die, wie sie wußten, Prinzen waren und Söhne von Königen, und er ernannte sie zu Kämmerlingen um seine Person und teilte ihnen Einkünfte zu und alles, dessen sie bedurften, und gab ihnen Wohnung in seinem Palast zu Bagdad. Und die Pförtnerin gab er Al-Amin zurück, seinem Sohne, und er erneuerte zwischen ihnen die Ehe und gab ihr großen Reichtum und ließ das Haus noch schöner als zuvor von neuem erbauen. Er selber aber nahm zum Weibe die Einkäuferin, und am nächsten Tage bestimmte er ihr einen Teil des Serails und Sklavinnen zu ihrem Dienst und eine Summe Geldes für jeden Tag. Und das Volk staunte ob seines Kalifen Großmut und seiner natürlichen Wohltätigkeit und fürstlichen Weisheit; noch auch vergaß er, all diese Geschichten in seine Annalen eintragen zu lassen.

Fußnoten

1 Richter in religiösen Dingen.


Quelle:
Die schönsten Geschichten aus 1001 Nacht. Leipzig [1914], S. 124-134.
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