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[114] Wahrlich, seltsam ist meine Geschichte, und es ist diese. Jene zwei schwarzen Hündinnen sind meine ältesten Schwestern, von dem gleichen Vater und der gleichen Mutter; die zwei andern aber, die mit den Narben und Striemen, und unsere Einkäuferin, sind meine Schwestern von einer andern Mutter. Und als mein Vater starb, nahm eine jede das ihre von der Erbschaft; und nach einer Weile starb auch meine Mutter und hinterließ mir und meinen[114] echten Schwestern dreitausend Dinare; und es erhielt eine jede tausend Dinare, und ich, obgleich die jüngste, ebensoviel. Und im Laufe der Zeit vermählten sich meine Schwestern unter den üblichen Festlichkeiten und lebten mit ihren Gatten, die mit ihrer Frauen Gelde Waren kauften und zusammen mit ihnen auf Reisen gingen. So ließen sie mich allein. Und meine Schwäger waren fort mit ihren Frauen fünf Jahre lang, und in dieser Zeit verschwendeten sie all ihr Geld, und als sie nichts mehr hatten, ließen sie sie im fremden Lande und unter fremdem Volk im Stich. Und nach fünf Jahren kehrte meine älteste Schwester zu mir zurück im Bettlergewande, in Fetzen und Lumpen und einem schmutzigen alten Mantel; und wahrlich, sie war in der traurigsten und ärgsten Lage. Und auf den ersten Blick erkannte ich meine eigene Schwester nicht; aber als ich sie dann erkannte, sagte ich: ›Was bedeutet dies?‹ und sie versetzte: ›O meine Schwester, Worte machen Geschehenes nicht ungeschehen, und das Schicksal erfüllte, was Allah bestimmte.‹ Da schickte ich sie ins Hammam und kleidete sie in eins meiner Kleider und kochte ihr eine Brühe und brachte ihr guten Wein und sagte: ›O meine Schwester, du bist die älteste und stehst uns noch an Stelle von Vater und Mutter; und das Erbe, das ich wie ihr beide erhielt, hat Allah gesegnet, und es ist mir gediehen und gewachsen; und mir geht es gut, denn ich habe viel Geld verdient durch Spinnen und Säubern von Seide; und du und ich, wir wollen den Reichtum teilen.‹ Und ich behandelte sie mit großer Freundlichkeit, und sie blieb bei mir ein ganzes Jahr, und unsere Gedanken waren stets bei unserer Schwester. Bald darauf aber kam auch sie, und sie war in noch ärgerer und traurigerer Lage, als meine ältere Schwester gewesen war; und ich verfuhr gegen sie noch ehrenhafter als gegen die erste, und beide hatten ihren Teil an allem, was mein war. Und nach einer Weile sagten sie zu mir: ›O unsere Schwester, wir wünschen uns neu zu vermählen, denn wahrlich, wir haben nicht die Geduld, unser Leben ohne Gatten zu verbringen und das Dasein verzauberter Witwen zu führen‹; und ich versetzte: ›Ihr meine Augen, ihr habt bislang nur wenig Wohlsein in der Ehe gefunden, denn heutzutage sind gute und echte Männer Seltenheiten geworden[115] und Kostbarkeiten; noch auch halte ich euren Plan für rätlich, dieweil ihr die Ehe schon erprobt habt ohne Erfolg.‹ Aber sie wollten sich meinem Rate nicht fügen und vermählten sich ohne meine Einwilligung; trotzdem aber gab ich ihnen von meinem Gelde Mitgift und Ausstattung; und so zogen sie davon mit ihren Männern. Und in äußerst kurzer Zeit verrieten ihre Gatten sie und nahmen ihnen, was sie konnten, und gingen davon und ließen sie im Stich. Da kamen sie zu mir, beschämt und in trauriger Lage, und sie entschuldigten sich und sagten: ›Vergib uns unsere Schuld und zürne uns nicht, denn wenn du auch jünger an Jahren bist, so bist du doch an Verstand die ältere; wir wollen hinfort nicht wieder von Heirat reden; so nimm uns zurück als deine Dienerinnen, daß wir unsern Bissen essen können.‹ Sprach ich: ›Willkommen, meine Schwestern, mir ist nichts teurer als ihr.‹ Und ich nahm sie auf und war nur doppelt freundlich. Und ein volles Jahr lang ließen wir nicht ab, so in Liebe zu leben. Da aber beschloß ich, meine Waren in der Fremde zu verkaufen, und mir zunächst ein Fahrzeug nach Bassorah zu verschaffen; und ich befrachtete ein großes Schiff und belud es mit Waren und wertvollen Gütern für den Handel, und mit Proviant und allem, was für eine Reise nötig ist; und ich sprach zu meinen Schwestern: ›Wollt ihr zu Hause bleiben, während ich reise, oder begleitet ihr mich lieber?‹ Und sie versetzten: ›Wir wollen mit dir reisen, denn wir ertragen die Trennung nicht.‹ Und ich teilte mein Geld in zwei gleiche Teile, von denen der eine mich begleiten und der andere in den Händen eines zuverlässigen Menschen bleiben sollte; denn ich sagte mir: ›Vielleicht trifft das Schiff ein Unglück, und wir bleiben doch am Leben; dann werden wir bei der Rückkehr finden, was an sicherer Stelle für uns liegt.‹ Und ich nahm meine beiden Schwestern, und wir reisten ein paar Tage und Nächte; aber der Führer des Schiffes war achtlos und verlor den Kurs; und das Schiff ging mit uns in die Irre und kam in ein anderes Meer, als das wir suchten. Eine Weile aber wußten wir es nicht; und der Wind war uns günstig zehn Tage lang, und als der Wächter hinaufstieg, um Ausschau zu halten, rief er: ›Gute Nachricht!‹ Und er stieg nieder und sagte: ›Ich habe etwas gesehen, wie eine Taube, und[116] es scheint eine Stadt zu sein.‹ Da freuten wir uns, und ehe noch eine Stunde verstrichen war, sah man deutlich von der See die Gebäude, und wir fragten den Kapitän: ›Wie heißt die Stadt?‹ und er erwiderte: ›Bei Allah, ich weiß es nicht, denn ich sah sie noch nie zuvor, noch segelte ich je in diesen Meeren; doch da unsere Not mit der Rettung endet, so braucht ihr hier nur mit euren Waren zu landen, und wenn ihr den Verkauf von Vorteil findet, so verkauft und kaufet wieder, was der Markt hier aufweist; und wenn nicht, so bleiben wir nur zwei Tage und nehmen Vorrat ein und segeln weiter.‹ Und wir liefen ein in den Hafen, und der Kapitän ging in die Stadt und blieb eine Weile fort; und als er zurückkam, sagte er: ›Auf! geht in die Stadt und staunt ob der Werke Allahs an seinen Geschöpfen und betet, daß ihr bewahrt bleibt vor seinem gerechten Zorn!‹ Und so landeten wir, und als wir die Stadt betraten, sahen wir am Tore Leute mit Stäben in den Händen; aber als wir ihnen näher kamen, siehe, da waren sie durch Allahs Zorn verwandelt und zu Stein geworden. Und wir gingen hinein in die Stadt, und fanden alle, die darin gehandelt, in schwarzen Stein verwandelt: kein bewohntes Haus fand der Beschauer, Feuer brannte in keiner Mauer. Und uns faßte Grauen bei dem Anblick, und wir strichen dahin durch die Straßen des Marktes, wo noch das Gold und das Silber und alle Waren lagen; und wir freuten uns und sagten: ›Sicherlich steckt ein Geheimnis hinter all diesem.‹ Und wir verteilten uns durch die Straßen und sammelten den Reichtum und das Geld und die reichen Stoffe und achteten wenig auf Freund und Gefährten. Und ich selber ging in den Palast, der stark befestigt war; und ich trat durch die Tore aus rotem Golde in des Königs Palast und fand all das Gold- und das Silbergeschirr, und der König saß inmitten seiner Kämmerlinge und Nabobs und Emire und Veziere: gekleidet alle in Gewänder, die jede menschliche Kunst beschämten. Ich trat näher und sah ihn auf einem Throne sitzen, der eingelegt war mit Perlen und Edelsteinen; und seine Gewänder waren aus Goldtuch, geschmückt mit Juwelen, deren jedes blitzte wie ein Stern. Und rings um ihn standen fünfzig Mamelucken, weiße Sklaven, gekleidet in mancherlei Seide, gezogene Schwerter in ihrer Hand; aber als[117] ich herbeitrat, siehe, da waren auch sie schwarzer Stein. Und ich war ratlos vor ihrem Anblick und ging doch weiter und trat in die große Halle des Harim1, dessen Wände behangen waren mit Teppichen aus goldgestreifter Seide und der belegt war mit seidenen Teppichen, bunt bestickt mit goldenen Blumen. Und hier sah ich die Königin liegen in Gewändern, besetzt mit frischen jungen Perlen; und auf ihrem Haupte saß ein Diadem mit mancherlei Edelsteinen, deren jeder taugte für einen Ring, und um ihren Hals hingen Ketten und Schnüre. Und all ihre Kleidung und ihr ganzer Schmuck war wohlerhalten, aber sie selber war durch Allahs Zorn zu schwarzem Stein geworden. Da aber sah ich eine offene Tür, zu der ging ich, und sie führte zu einer Flucht von sieben Stufen. Und ich stieg hinauf und kam in einen Saal, getäfelt mit Marmor und belegt und behangen mit goldgewirkten Teppichen; und in der Mitte stand ein Thron aus Wacholderholz, eingelegt mit Perlen und Edelsteinen und besetzt mit großen Smaragden. Und in der hinteren Wand war eine Nische, deren Vorhänge mit Perlenschnüren herabgelassen waren, und ich sah ein Licht daraus strahlen und trat näher und sah, daß das Licht aus einem Edelstein kam, so groß wie ein Straußenei, der am oberen Ende der Nische auf einem Goldelfenbeinlager stak; und dies Juwel, das wie die Sonne strahlte, warf seine Strahlen ringsumher. Und das Lager war belegt mit allerlei seidenen Stoffen, die den Beschauer durch ihren Reichtum und ihre Schönheit erstaunten. Und ich bewunderte all das sehr, und besonders, als ich brennende Kerzen erblickte; und ich sagte in meinem Herzen: ›Irgend jemand muß diese Kerzen entzündet haben.‹ Und ich ging weiter und kam in die Küche, und von dort in die Speisekammer und in des Königs Schatzgewölbe; und ich durchforschte den Palast von Raum zu Raum; und ich vergaß mich in Scheu und Staunen, und ich versank in Sinnen, bis die Nacht hereinbrach. Nun wäre ich gegangen, aber da ich das Tor nicht wußte, so verlor ich den Weg; und ich kehrte zu der Nische zurück, wohin mir die brennenden Kerzen als Wegweiser dienten, und setzte mich auf das Lager; und[118] ich hüllte mich ein in eine Decke und hätte, nachdem ich ein paar Verse des Korans gesprochen, ein wenig geschlafen, hätte ich es gekonnt; doch ich war von Rastlosigkeit erfüllt. Und um Mitternacht hörte ich eine Stimme in den lieblichsten Tönen den Koran singen; aber die Klänge waren ganz leise, und so stand ich auf, froh, daß die Stille unterbrochen war, folgte dem Gesang und erreichte eine Kammer, deren Tür nur angelehnt war. Und als ich durch den Spalt sah, siehe, da war es ein Betraum, in dem eine Nische von zwei Wachskerzen erhellt wurde, und von Lampen, die an der Decke hingen. Und ein Gebetsteppich war darin ausgebreitet, auf dem ein Jüngling saß, schön anzuschauen. Und vor ihm lag auf ihrem Halter eine Abschrift des Korans, in der er las. Und ich staunte, ihn lebend zu finden unter dem Volke der Stadt, trat ein und grüßte ihn; und er hob die Augen und erwiderte mein Salam. Sprach ich: ›Ich beschwöre dich bei der Wahrheit dessen, was du liest in Allahs Heiligem Buch, antworte mir auf meine Frage.‹ Er aber sah mich an und lächelte und sagte: ›O Sklavin Allahs, erst erzähle mir, weshalb du herkommst, und dann will ich dir sagen, was so mir wie hier dem Volke dieser Stadt widerfahren ist, und wie seinem Schicksal nur ich entging.‹ Ich erzählte ich ihm meine Geschichte, und er staunte; und ich fragte ihn nach dem Volke der Stadt, und er versetzte: ›Habe Geduld mit mir auf eine Weile, o meine Schwester!‹ Und ehrfurchtsvoll schloß er das heilige Buch und barg es in einem seidenen Beutel. Und er hieß mich neben ihm setzen, und ich sah ihn an, und siehe, er war wie der volle Mond, schön von Angesicht und köstlich von Gestalt, zart und schlank, von feinem Ebenmaß im Gang, die Wangen glatt und blank, wie ein Juwel, das Strahlen trank. Und ich sah ihn an mit einem einzigen Blick, der tausend Seufzer in mir weckte; und mein Herz war entwaffnet, so daß es vor Gefangenschaft nicht schreckte; und ich fragte ihn: ›O mein Herr und Geliebter, sage mir, wonach ich dich fragte‹; und er versetzte: ›Hören ist Gehorchen! Wisse, o Sklavin Allahs, diese Stadt war die Hauptstadt meines Vaters, des Königs, den du auf dem Throne sahest, verwandelt durch Allahs Zorn in schwarzen Stein, und die Königin, die du in der Nische sahest, ist meine Mutter. Sie und[119] alles Volk der Stadt waren Magier, und sie beteten zum Feuer statt zum Allerneuer, und sie schworen bei Lohe und Hitze, bei Schatten und Licht, und den kreisenden Sphären, in denen der Tag in die Nacht sich verflicht. Und mein Vater hatte keinen Sohn, bis er gegen das Ende seiner Tage mit mir gesegnet wurde; und er zog mich auf, bis ich emporwuchs, und alle Dinge kamen meinem Wunsch entgegen. Nun aber war es so bestimmt, daß bei uns lebte eine hochbetagte Frau, eine Moslemah, die im Herzen an Allah und seinen Propheten glaubte, wenn sie sich äußerlich auch dem Glauben meines Volkes anschloß; und mein Vater setzte volles Vertrauen in sie, denn er kannte sie als zuverlässig und tugendhaft; und er behandelte sie mit immer wachsender Freundlichkeit, da er nicht anders wußte, als daß sie seines Glaubens war. Und als ich nun fast herangewachsen war, gab mich mein Vater in ihre Obhut und sagte: ›Nimm ihn und erziehe ihn und lehre ihn die Regeln unseres Glaubens; laß ihn des besten Unterrichts genießen und lasse nicht ab in deiner Pflege und Sorge.‹ Und sie nahm mich zu sich und lehrte mich den Glauben des Al-Islam und die göttlichen Vorschriften der Wuzu-Waschung und die fünf täglichen Gebete, und sie ließ mich den Koran auswendig lernen und sagte mir oft: ›Diene niemandem als Allah, dem Allmächtigen!‹ Und als ich all dies Wissen beherrschte, sagte sie zu mir: ›Mein Sohn, verbirg all das vor deinem Vater und offenbare ihm nichts, damit er dich nicht erschlage.‹ So verhehlte ich es ihm, und wenige Tage darauf starb die alte Frau; und das Volk der Stadt trieb seine Gottlosigkeit und Anmaßung und den Irrtum seines Wandels nur noch ärger. Eines Tages aber, siehe, da vernahmen sie einen lauten und furchtbaren Ton, und ein Rufer schrie mit einer Stimme gleich brüllendem Donner, daß es vernahm ein jedes Ohr: ›Ihr Leute dieser Stadt, laßt ab von den Altären des Feuers, und betet zu Allah, dem allerbarmenden König!‹ Und Furcht und Schrecken fiel unter die Bewohner, und sie drängten sich zu meinem Vater, denn er war König der Stadt, und fragten ihn: ›Was bedeutet diese Stimme des Schreckens, die wir hörten, denn sie hat uns erschüttert mit dem Übermaß ihres Grauens?‹ Und er erwiderte: ›Laßt nicht eine Stimme euch schrecken noch eure[120] Standhaftigkeit erschüttern, oder euch abwenden von dem Glauben, der der rechte ist.‹ Und ihre Herzen beugten sich vor seinen Worten, und sie ließen nicht ab, zum Feuer zu beten, und sie beharrten in der Abtrünnigkeit noch ein volles Jahr, nachdem sie die erste Stimme vernommen hatten; und am Tage der Jahreswiederkehr erscholl ein zweiter Ruf, und ein dritter zu Anfang des dritten Jahres. Und immer noch verharrten sie in ihrem Frevel, bis eines Tages mit dem Morgengrauen das Gericht und der Zorn des Himmels in aller Plötzlichkeit über sie kam; und durch die Heimsuchung Allahs wurden sie alle in schwarzen Stein verwandelt, sie mitsamt dem Vieh und aller Kreatur; und niemand wurde verschont außer mir, der im Gebet beschäftigt war. Seit jenem Tage lebe ich, wie du mich siehst, beständig im Gebet und im Fasten, im Lesen und Singen des Koran; aber wahrlich, ich bin müde geworden durch meine Einsamkeit, da ich niemanden zur Gesellschaft habe.‹ Und ich sprach zu ihm (denn er hatte mein Herz gewonnen und war Herrscher über mein Leben und meine Seele): ›O Jüngling, willst du mit mir kommen nach Bagdad und die Olema2 besuchen, daß du wachsest an Weisheit und Verstand und Kenntnis des Glaubens? Und wisse, daß die, die vor dir steht, deine Sklavin sein wird, ob sie gleich ihrer Familie Haupt ist, und Herrin über Knechte und Eunuchen und Diener und Sklaven. Wahrlich, mein Leben war kein Leben, ehe es deine Jugend traf. Ich habe bei mir ein Schiff, beladen mit Waren; und gewißlich trieb mich das Schicksal in diese Stadt, damit ich Kunde erhielt von diesen Dingen, denn es war vorbestimmt, daß wir uns treffen sollten.‹ Und ich ließ nicht ab, ihn zu überreden, bis er bereit war, mit mir zu ziehen. Und ich schlief in dieser Nacht zu seinen Füßen und wußte vor Freude kaum, wo ich war. Und als der Morgen dämmerte stand ich auf, und wir traten in die Schatzgewölbe und nahmen alles, was an Gewicht leicht war, doch schwer an Wert; und dann gingen wir Seite an Seite vom Schloß zu der Stadt hinab, wo wir den Schiffsführer trafen und meine Schwestern und Sklaven, die nach mir suchten. Und als sie mich sahen, freuten sie sich und fragten, was mich aufgehalten hätte, und ich sagte ihnen[121] alles, was ich gesehen hatte, und erzählte ihnen die Geschichte des jungen Prinzen und der Verwandlung, mit der die Einwohner gerechterweise heimgesucht wurden. Und alle staunten darüber; als aber meine beiden Schwestern (diese Hündinnen, o Beherrscher der Gläubigen) mich an der Seite meines Geliebten sahen, wurden sie eifersüchtig und zornig und planten Arges gegen mich. Wir warteten günstigen Wind ab und gingen in Freuden an Bord, weil wir so große Güter gewonnen hatten, doch meine größte Freude galt dem Jüngling; und wir warteten, bis der Wind uns günstig war, und setzten Segel und stachen in See. Und als wir nun saßen und plauderten, fragten mich meine Schwestern: ›Und was willst du tun mit diesem schönen Jüngling?‹ und ich versetzte: ›Ich will ihn zu meinem Gatten machen!‹ Und ich wandte mich zu ihm und sagte: ›O mein Herr, ich muß dir einen Vorschlag machen, in dem du mich nicht durchkreuzen darfst; es ist aber dies: wenn wir nach Bagdad kommen, meiner Heimatstadt, so biete ich dir als deine Sklavin mein Leben zur heiligen Ehe, und du sollst mir Gemahl sein, und ich will dir Gemahlin sein.‹ Und er versetzte: ›Ich höre und gehorche! Du bist meine Herrin und Gebieterin, und was du auch tuest, ich werde nicht widersprechen.‹ Und ich wandte mich zu meinen Schwestern und sagte: ›Dies ist mein Gewinn; ich begnüge mich mit diesem Jüngling, und wer von mir etwas besitzt, der mag es behalten als seinen Gewinn, ich gönne es ihm gern.‹ Und die beiden erwiderten: ›Du redest und handelst recht‹; aber sie sannen auf Verrat. Und wir ließen nicht ab, vor dem günstigen Winde zu treiben, bis wir das Meer der Gefahr mit dem Meere der Rettung vertauschten, und in wenigen Tagen erreichten wir die Stadt Bassorah, deren Gebäude klar vor uns lagen, als der Abend hereinsank. Aber als wir zur Ruhe gegangen waren und in festem Schlafe lagen, standen meine Schwestern auf und nahmen mich mit dem Bett und allem und warfen mich ins Meer; und sie taten das gleiche mit dem jungen Prinzen, der nicht schwimmen konnte und also sank und ertrank, und Allah nahm ihn auf in das edle Heer der Märtyrer. Ich aber, wollte der Himmel, auch ich wäre mit ihm ertrunken! Doch Allah bestimmte, daß ich gerettet wurde; und als ich erwachte[122] und mich im Meere sah und das Schiff wie ein Blitz davonfuhr, warf Er mir einen Balken in den Weg, den ich erkletterte; und die Wellen warfen mich hin und her, bis sie mich auf einer Inselküste landeten, an einem hohen und unbewohnten Ufer. Ich ging den Rest der Nacht auf der Insel umher; und als der Morgen dämmerte, sah ich einen rauhen Pfad, der kaum für Menschenfüße taugte, und er führte zu einer flachen Furt, die Insel und Festland verband. Und sobald die Sonne aufgegangen war, breitete ich meine Kleider zum Trocknen aus und aß von den Früchten der Insel und trank von ihrem Wasser; und schließlich machte ich mich auf dem Fußpfad auf und ließ nicht ab, bis ich das Festland erreichte. Als aber zwischen mir und der Stadt nur noch zwei Stunden Weges waren, siehe, da flog jählings eine große Schlange auf mich zu, stark wie eine Dattelpalme; und sie glitt bald nach rechts und bald nach links, bis sie mir ganz nahe war; und ihre Zunge hing eine Spanne weit aus ihrem Rachen zu Boden und fegte durch den Staub. Und ein Drache verfolgte sie, der war nicht länger als zwei Lanzen und schlank gebaut wie etwa ein Speer, und obgleich ihr die Angst gleichsam Flügel lieh und sie sich unaufhörlich hin und her wand, holte er sie ein und faßte sie am Schwanz; da strömten Tränen aus ihren Augen, und in Todesangst ließ sie die Zunge hängen. Ich hatte Mitleid mit ihr, rief Allah zu Hilfe, griff einen Stein auf und warf ihn mit solcher Gewalt nach dem Kopf des Drachens, daß er auf der Stelle verendete, und die Schlange entfaltete zwei Flügel und flog empor und schwand mir aus den Augen. Und ich setzte mich voll Staunen über dieses Abenteuer nieder, denn ich war müde und schläfrig, und so schlief ich eine Weile ein. Doch als ich erwachte, sah ich ein kohlschwarzes Mädchen zu meinen Füßen sitzen, die sie knetete; und ihr zur Seite standen zwei schwarze Hündinnen (meine Schwestern, o Beherrscher der Gläubigen). Und ich schämte mich vor ihr und setzte mich auf und sagte: ›O meine Schwester, wer und was bist du?‹ und sie erwiderte: ›Wie bald du mich vergessen hast! Ich bin die, für die du eine gute Tat vollbrachtest und sätest die Saat der Dankbarkeit und schlugest ihren Feind, denn ich bin die Schlange, die du eben mit Allahs Hilfe von dem Drachen befreitest.[123] Ich bin eine Dschinnijah, und er war ein Dschinni, der mich haßte, und niemand rettete mir das Leben als du. Als aber du mich von ihm befreitest, flog ich auf dem Winde zu dem Schiff, aus dem dich deine Schwestern warfen, und alles, was darin war, trug ich in dein Haus. Und ich befahl den Marids, die mir dienen, das Schiff zu versenken, und verwandelte deine Schwestern in diese schwarzen Hündinnen; denn ich weiß alles, was zwischen dir und ihnen vorfiel; der Jüngling aber ist freilich ertrunken.‹ Und sie flog mit mir und den Hündinnen empor und setzte mich nieder auf der Dachterrasse meines Hauses, in dem ich alles wiederfand, was in dem Schiffe mein gewesen war, und nichts vermißte. ›Nun‹, fuhr sie fort, die die Schlange gewesen war, ›schwöre ich bei allem, was in Sulaimans Siegelring gegraben steht (mit ihm sei Friede!), wenn du nicht jeden Tag einer jeden dieser zwei Hündinnen dreihundert Schläge austeilst, so will ich kommen und dich auf ewig unter der Erde gefangen setzen.‹ Und ich sprach: ›Ich höre und gehorche‹; und sie flog davon. Aber ehe sie ging, sprach sie noch einmal: ›Nochmals schwöre ich dir bei Ihm, der die zwei Meere fließen ließ (und dies sei mein zweiter Schwur), wenn du mir zuwiderhandelst, so will ich kommen und dich wie deine Schwestern verwandeln.‹ Und seither, o Beherrscher der Gläubigen, habe ich nie unterlassen, ihnen die Zahl der Schläge auszuteilen, bis ihr Blut mit meinen Tränen floß; denn ich hatte Mitleid mit ihnen, und wohl wissen sie, daß es nicht meine Schuld ist, wenn sie gegeißelt werden, und sie verzeihen es mir. Dies aber ist meine Geschichte und meine Erzählung!‹
Und der Kalif erstaunte ob ihrer Abenteuer und gab Dscha'afar ein Zeichen, der nun zu dem zweiten Mädchen, der Pförtnerin, sagte: ›Und du, wie kamest du zu den Striemen und Narben auf deinem Leibe?‹ Und sie begann
1 Frauenhaus, das Wort bezeichnet nicht nur die Wohnung, sondern – ähnlich dem deutschen Frauenzimmer – auch die Bewohner.
2 Rechts- und Schriftgelehrte.
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