Wöchentliche Passion-Andacht


Freytags Morgen-Lied

[93] Nach der Singweise: Christus, der uns seelig macht.


1.

JESU! dein ist dieser Tag,

Roht von deinem Blute.

Du littst manche Angst und Plag

Heute mir zu gute.

Auch dein Tod hat ihn geweiht,

Der mir gibt das Leben.

Mir soll deine Marter heüt

Im Gedächtnis schweben.


2.

Sieben Tage ich allhier

Alle Wochen zehle:

Solt davon nicht einen dir

Geben meine Seele?

JESU! dein Erlösungswerk

Will ich heute preisen:

Gib zur Andacht Geistes-stärk,

Meine Pflicht zu weisen.

3.

JESU! in vergangner Nacht,

Da ich sanft geschlaffen,

Hat dir dortmals bang gemacht

Die Last meiner Straffen.

In dem Garten floß von dir

Blutschweiß auf die Erden,

Daß nicht in der Hölle mir

Ewig bang möcht werden.
[93]

4.

Mich zu lösen ließest du

Fangen dich und binden,

Schläge flogen auf dich zu:

Waren meine Sünden.

Vor mich littst du Spott allhier,

Der dort mich solt hönen.

Dein Verspeyen muste mir

Meine Seel verschönen.


5.

Falsche Zeugnis dich verklagt,

Daß nicht nach dem Sterben

Meine Schuld werd angesagt,

Wann ich Gnad soll erben.

Dich verdammet man zum Tod,

Meinen Tod zu tödten

Und von der Verdamnis-Noht

Meine Seel zu retten.


6.

Was die Trauer Nacht anfieng,

Hat der Tag vollendet.

JESUS an die Marter gieng,

Heiden eingehändet.

Sonne, die ich sih aufgehn,

Kontest du sechs Stunden

Deinen Schöpfer leiden sehn,

Zehlen seine Wunden?


7.

Seinen Leib die Henkersrott

Peitscht mit Geiselstricken,

Dornen krönen Ihn mit Spott,

In sein Haupt sich drücken.

Ganz erbärmlich zugericht

Er vor Augen stehet,

Daß der Richter selber spricht:

Welch ein Mensche, sehet!


8.

Letzlich wird zum CreutzesTod

Ausgeführt mein Leben,

Muß zu abtrag meiner Noht

An dem Fluch-Holz kleben.

Nägel seine Füß' und Händ' –

Ach! mit was für Schmerzen! –

Haben grausamlich durchrennt.

O ihr harten Herzen!


9.

Nacket hängt Er in der Luft,

Meine Schand zu decken.

Uber Durst Er klagt und rufft,

Büst mein Schlämm- und Schlecken.

Ihn verlassen Welt und GOTT,

Seines Leids man lachet,

Bis der Tod all-solcher Noht

Selbst ein Ende machet.


10.

Sonne! du kontst sehen nicht

Deinen Schöpfer sterben:

Drüm sah man dein Angesicht

Sich als todt verfärben.

Auch die harte Felsen-Erd

Muste selbst zerkrachen,

Weil man, welches unerhört,

GOTT ein Grab solt machen.

11.

JESU! wolst dein Marterbild

Meinem Geist vorstellen,

Daß mein Herz, mit Reu erfüllt,

Möge Threnen quellen.

Meine Sünd, nit Jüd und Heyd,

Hat dich so zerquälet.

Solt es mir nit machen Leid?

Ich hab dich entseelet.


12.

JESU! höre und erhör

Diß mein sehnlichs Flehen.

Was geschehen ist bisher,

Laß nit mehr geschehen.

Laß mich doch mit Sünden dich

Martern nicht auf's neue.

Von mir selbst erlöse mich:

Wider mich ich schreye.


13.

Töd mein Fleisch, du TodesTod,

Daß ich dir mög leben.

Wolst der abgenomnen Noht

Mich nicht übergeben.

Bös bin ich ohn deine Güt:

Hältst du nicht, ich falle.

JESU! ach! so wandle mit,

Daß ich seelig walle.
[94]

14.

Muß es ja gestrauchelt seyn,

– Wir sind schwach von Beinen –

Laß dann, JESU! deine Pein

Mir zu Trost erscheinen.

Bin ich bös: du hast gebüst,

Meine Schuld bezahlet.

Was aus deiner Seite fliest,

Engel-schön mich mahlet.


15.

An dem Freytag woltst du heut

Mich von Leid befreyen.

Dein Leid nenn' ich meine Freud:

Wolst es mir verzeihen.

Deine Liebe diesen Tag

Mir zum Freudtag machet,

Weil daß mich aus deiner Plag

Gottes Huld anlachet.


16.

Du hast heut üm mich gefreyt,

Mich mit Blut erworben.

Dein bin ich in Ewigkeit

Lebend und gestorben.

JESU! wollest heut in mir

Deinen Freytag halten:

Laß die Liebe gegen dir

Mir das Herze spalten.


17.

JESU! wie du littst für mich,

Lehr mich dir nachleiden.

Leid vereinigt mich und dich,

Bahnt den Weg zu Freuden.

Nach dem bittren Freytag wird

Sich der Sonntag nähen,

Da ich Himmel-ein geführt

Werd zur Hochzeit gehen.


18.

Brich bald an, du Sonntags-Liecht!

Daß ich seh und preise

Den, der mich so hoch verpflicht,

Dessen Braut ich heise.

Indeß wolle Gottes Huld

Mir zur Nachfolg geben

JESU fromme Lamms-gedult

Und sein TugendLeben.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 5, Hildesheim 1964, S. 93-95.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Klopstock, Friedrich Gottlieb

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon