[Zweimal hab' ich dich gesehn]

[448] [1820–1833]


Zweimal hab' ich dich gesehn,

Bei der einz'gen, die mir lebet,

Und es war, als käm' ein Wehn

Über Gräber hergeschwebet.


Eine Stille ist in dir,

Die beruhiget und schweiget,

Diese hat im Herzen mir

Fern und nahes Glück gezeiget.


Vor den Furien auf der Flucht

Hab' ich nach geweihten Orten,

Oft mit heißer Angst gesucht

Weinend vor verschloßnen Pforten,


Und so habe ich gelernt,

Liebe Herzen zu erschauen,

Wo die Quäler sich entfernt,

Konnt' ich wie ein Kind vertrauen.


Selten doch ist mir geschehn,

In die Freistatt einzudringen

Immer muß ich draußen stehn,

Wo sie ihre Geißeln schwingen.


Aber du, du bist recht gut,

Als ich bei dir eingetreten,

Hat in mir das Herz geruht,

Ja ich könnte bei dir beten.


Wenig Worte sprachen wir,

Doch hast du mich viel gelehret,

Denn ein Schweigen ist in dir,

Das man mit der Seele höret.[449]


Was mich blühend einst berückt,

Was mich scheidend jetzt versöhnet,

Hast auch du ans Herz gedrückt,

Hat auch dir den Traum verschönet.


Abgemähet war das Feld,

Nach der Ernde gieng ich fragen,

Und mir ward da freigestellt

Meine Armut frei zu sagen.


Und so hör' dann ohne Arg:

Vor mir wird ein Kreuz getragen,

Unter Blumen in dem Sarg

Scheint mein Herz schier noch zu schlagen.


Hat die Ährenleserin

Nichts als Unkraut gleich gefunden,

Hat sie doch mit frommem Sinn

Diesen Erndekranz gewunden.


Keiner folgt, als sie allein,

Die gern mit dem Kreuze gehet,

Und sie wird auch bei mir sein,

Wenn's auf meinem Hügel stehet.


Wird es schmücken mit dem Kranz,

Den sie meinem armen Leben

Ohne Tugend, ohne Glanz

Auf den letzten Weg gegeben.


Wird auch beten bei dem Grab,

Wenn, den sie verlassen haben,

Den ihr Gott als Kranken gab,

Wenn den Toten sie begraben.


Als zur Kirche du wolltst gehen;

Bist du Braut zu uns gekommen,

Hast den Totenkranz gesehen,

Und der Tote rief: willkommen![450]


Willst du mir die Liebe tun,

Gieb mir ein paar Schritt Geleite

Leichter wird es mir, zu ruhn

Gehst du still an ihrer Seite.


Denk dabei an meinen Kranz,

Und an die, die ihn gewunden,

Wie von solchem Duft und Glanz

Keiner nie mehr wird gefunden.


Denk, daß dieser Rosen Glut

An den Wunden sich entzündet,

Deren übersinnlich Blut

Unsre Sünde überwindet.


Denk, die Maienglöckchen weiß

Perlen sind, die Sie gewonnen,

Als des Herren Todesschweiß

Auf ihr kindisch Herz geronnen.


Und die Astern Sterne sind,

Überm Haupt Ihr aufgegangen

Als das Kind zum Heilandskind

In der Krippe trug Verlangen.


Denk, hier die Vergißmeinnicht

Blicke sind, die fromm Sie hebet,

Wenn Sie zu dem Heiland spricht,

Der für uns am Kreuze schwebet.


Ja der Kranz der liebsten Braut,

Dürft' ein Sterbender ihn wählen,

Könnte nimmer so vertraut

Mit dem Leben ihn vermählen.


Blumen von so ew'gem Glanz

Wie sie meinen Sarg bekränzen

Schmückten keinen Hochzeitskranz

Seit der Welt, seit allen Lenzen.[451]


Und so nenn' ich dich beglückt,

Weil du in umkränzten Tagen

Jenen Kranz ans Herz gedrückt,

Den ich bis ins Grab darf tragen.


Ewig lieb bleibt mir dein Bild,

Treu will ich's im Herzen hüten,

Weil du sprachst so leis und mild:

O wie glänzen diese Blüten!


Wohl ist dies ein andrer Glanz,

Als der Strahl im Frühlingsliede,

Als die Glut in Sommers Kranz,

Als der Schein in Herbstes Friede.


Alle hab' ich dir gezeigt,

Dich ergötzte all dies Funkeln,

Als die Sonne sich geneigt,

Schimmerte es süß im Dunkeln.


Aber dann, dann kam die Nacht,

Hat mir vieles zugedecket,

Bei mir hat der Traum gewacht,

Hat mir alles auferwecket.


Komm nur mit, kein Blättchen rauscht,

Still ist's auf den vielen Hügeln,

Regt sich einer wohl, und lauscht,

Ist's mit angstgebundnen Flügeln.


Sitze nieder! schweigend Bild,

Horcht nur zu, ihr armen Seelen,

Wie der Herr unendlich mild,

Hör', jetzt will ich's dir erzählen.


Glaube, den ich stolz verschwur,

Hoffnung, die ich schnöd zerrissen

Liebe, die ich nie erfuhr

Kehrten heim mit dem Gewissen.[452]


Daß das heil'ge hohe Lied

Mir konnt Sinnentaumel scheinen,

Muß, der durch den Spiegel sieht,

Himmeltrunken ich beweinen.


Denn es schwand das Feuerband

Das die bunte Wehmut webte,

Als ich vor der Sonne stand

Und nach ird'schen Farben strebte.


Du auch hast dein sehnend Herz

In dies Abendrot getauchet,

Deine Wonne, deinen Schmerz

In dies tönend Wehn gehauchet.


Doch ich hab' in ihm gewohnt,

Wie ein Pfau ihm nachgeschrieen

Übers Grab den ernsten Mond

Ich wie einen Geist sah ziehen.


Ach, es war nicht Gott in mir,

Einem falschen Schmerz ergeben

Suchte ich mit wilder Gier

In dem Schein den Schatz zu heben.


Nicht die frommgestirnte Nacht

Zog mich auf zu heil'ger Ferne

Wo die Glut auf Schätzen lacht

Sucht' ich meine Schicksalssterne.


Doch die Schätze dieser Welt

Sind so arglistig bedinget

Daß mitsamt dem Schatz verfällt

Wer ihn mühsam auch erringet.


Glimmen sah ich's hier und dort,

In die Glut, den Schatz zu heben,

Warf ich manch ein Kleinod fort,

Immer muß ein Pfand man geben.[453]


Heil'ge Pfänder trug ich viel,

Daß ich bar von ihnen werde

War allein des Feindes Ziel

Der die Schätze hat der Erde.


Und er ließ am Abgrund hin

Melusinenlippen lachen

Und Sirenentöne ziehn,

Eh' der Drache zeigt den Rachen.


Poesie, die Schminkerin

Nahm mir Glauben, Hoffen, Beten

Daß ich wehrlos worden bin,

Nackt zur Hölle hingetrieben.


Nur ein Schild blieb unbewußt

Mir noch aus der Unschuld Tagen

Heil'ge Kunst auf Stirn und Brust

Ein katholisch Kreuz zu schlagen.


Längst vergessen war dies Gut,

Und als Pfand mein Christenleben

Warf ich in die falsche Glut

Um den bösen Schatz zu heben.


Doch die Hölle stieß mich aus,

Denn dort wird kein Kreuz gelitten

Zwischen Licht und finsterm Graus

Schwebt' ich in der Wüste Mitten.


Wie in einem kalten Schacht

Hab' ich da gezagt, getrauert,

In die Säule eigner Nacht,

War ich Böser eingemauert.


Und als ringend ich erkannt

Wer ich sei und wer gewesen,

Ich den Mutterpfennig fand,

Kreuz! du kannst allein erlösen![454]


Aus der Nacht zur lichten Höh'

Ward das Kreuz, das ich geschlagen

Wie ein Lotos aus dem See

Liebesuchend aufgetragen.


Oben aber war ein Land

Und ein Kind, das Blumen pflückte,

Und mein Kreuz, das vor ihm stand

Pflückte und ans Herz dann drückte,


Gleich hat es mein Kreuz erkannt,

Flocht mir eine Dornenleiter,

Tief hinab mit frommer Hand,

Und ich stieg mit Schmerzen weiter.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 448-455.
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Märchen / Ausgewählte Gedichte (Fischer Klassik)

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