Der Schreihals

Der Schreihals

[559] »Da, Lina, zieh ihm 's Nachtzeug an,

Daß ich die Flasche wärmen kann.«


Der Schreihals

Die Mutter geht, und eh' sie scheidet,

Wird Willi schon des Hemds entkleidet.
[559]

Der Schreihals

Die Wäscherei gefällt ihm nicht,

Vor allen Dingen im Gesicht.


Der Schreihals

Doch schreit er nicht und hält ganz still

Und läßt sich pudern, wo man will.
[560]

Der Schreihals

Kaum aber schnüret man ihn ein,

So fängt er auch schon an zu schrein.


Der Schreihals

Habäh! – So tönt sein Wehgeschrei

Und lockt den Vater selbst herbei.
[561]

Der Schreihals

»Hier, halt ihn eben mal, Papa!

Ich geh' und rufe die Mama!«


Der Schreihals

Der Vater trommelt an den Scheiben,

Um Willis Trauer zu vertreiben.
[562]

Der Schreihals

Er läßt ihn in den Spiegel schaun. –

Der Willi schreit, bis daß er braun.


Der Schreihals

»Horch, Willi, horch, die Ticktackuhr!«

Der Willi schreit noch ärger nur.


Der Schreihals

[563] »Susu, mein Herz! Schlaf ein, schlaf ein!« –

Er fängt noch lauter an zu schrein.


Der Schreihals

Mit List zeigt er die Zipfelhauben –

Umsonst!–der Willi will's nicht glauben.
[564]

Der Schreihals

Jetzt macht er einen Butzemann. –

O weh! – Nun geht's noch schlimmer an.


Der Schreihals

Die Mutter öffnet grad die Tür:

»Mein Herz! Was machen sie mit dir?!!«
[565]

Der Schreihals

Die Mutter macht ein ernst Gesicht:

»Ja, was ist das? – Auch dieses nicht?!« –


Der Schreihals

Grad kommt die Tante auf Visite

Und ruft erschreckt: »Du meine Güte!!« –
[566]

Der Schreihals

Voll Weisheit öffnet sie den Bund. –

Da haben wir's! – Das war der Grund! –


Der Schreihals

Und Willi, der von Schmerz befreit,

Lacht laut vor lauter Heiterkeit.
[567]


Quelle:
Wilhelm Busch: Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bde. I-IV, Band 2, Hamburg 1959.
Lizenz:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Flucht in die Finsternis

Flucht in die Finsternis

Robert ist krank und hält seinen gesunden Bruder für wahnsinnig. Die tragische Geschichte um Geisteskrankheit und Tod entstand 1917 unter dem Titel »Wahn« und trägt autobiografische Züge, die das schwierige Verhältnis Schnitzlers zu seinem Bruder Julius reflektieren. »Einer von uns beiden mußte ins Dunkel.«

74 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon