Achtens

Wallfahrt

[115] Ein Christ verspüret großen Drang,

Das heil'ge Grab zu sehn;

Drum will Antonius schon lang

Dahin wallfahrten gehn.

Es schickt sich, daß ein frommer Mann

Die Sache überlegt;

Er schafft sich einen Esel an,

Der ihm den Ranzen trägt.


Wallfahrt

So zogen sie hinaus zum Tor

Und fürder allgemach;

Der Heilige, der ging hervor,

Der Esel hinten nach.[115]

Wallfahrt

Da kam aus seinem Hinterhalt

Ein Bär in schnellem Lauf;

Er greift den Esel alsobald

Und zehrt ihn mählich auf.


Wallfahrt

Antonius, als ein guter Christ,

Schaut's an mit Seelenruh':

»He, Alter! Wenn du fertig bist, –

Wohlan! – so trage du!«[116]

Wallfahrt

Der heilige Antonius macht

Sich bald das Ding bequem;

Er setzt sich auf und reitet sacht

Bis nach Jerusalem.


Wallfahrt

Wo Salomonis Tempel stand,

Liegt mancher dicke Stein;

Den allerdicksten, den er fand,

Packt St. Antonius ein.[117]

Er sprach: »Den Stein, den nehm' ich mit!«

Der Bär, der macht: Brumm brumm!


Wallfahrt

Das hilft ihm aber alles nit,

Wir kümmern uns nicht drum.[118]

Der Bär, obschon ganz krumm und matt,

Setzt sich in kurzen Trab


Wallfahrt

Bis hin nach Padua der Stadt;

Da stieg Antonius ab.
[119]

Wallfahrt

Und milde sprach der heil'ge Mann:

»Mein Freund, du kannst nun gehn!

Und wie es einem gehen kann,

Das hast du nun gesehn!«


Wallfahrt

Der Bär, als er zum Walde schlich,

Der brummte vor sich her:

»Mein lebelang bekümmr' ich mich

Um keinen Esel mehr!«
[120]

Quelle:
Wilhelm Busch: Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bde. I-IV, Band 2, Hamburg 1959, S. 115-121.
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Der heilige Antonius von Padua.
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