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[784] Der Tag, an dem sich dies alles zugetragen hat, ist der Freitag vor Kirchweih.

Kirchweih! Bauernkirta!

Schon am Kirchweihsamstag beginnen die Vorbereitungen zu diesem Fest, dem üppigsten und größten des ganzen Jahres.

Und so ist auch auf dem Schiermoserhof am andern Tag Rüsttag für die Kirchweih.

Und wenn es die Schiermoserin bis dahin nicht bedauert hätte, daß sie Haus und Hof verlassen, an diesem Tag hält sie's kaum aus an ihrem Fensterplatz.

Schon früh um vier Uhr schlurft die Barbara in den Hühnerstall und hinüber zu den Gänsen.

Ein kurzes, aufgeregtes Geschrei und Gegacker – dann kommt die Tochter wieder zum Vorschein. In der einen Hand zwei Hühner mit durchschnittenen Hälsen, in der andern eine schwere Gans.

Und dann tritt der Schiermoser aus dem Haus, gefolgt von seinem Sohn, dem Franz, und Rosalie, deren werktätige Hilfe sich der Bauer für das Fest erbeten hatte.

Die Tenne wird geöffnet, ein großer Tisch, der Backtrog voll heißen Wassers und eine Schüssel voll Pech stehen bereit. – Der Schiermoser zieht die quieksende, schreiende Kirchweihsau aus dem Stall.[784]

Die Schiermoserin zerrt und reißt an ihrem Schürzenband – an dem Vorhang – an ihrem Rosenkranz.

»Was? Dees Weibsbild derf statt meiner mithelfa beim Abstecha? Sie derf 's Bluat rührn vom Schiermoser seiner Kirtasau? Naa, i halts nimma aus ... i muaß abe ...«

Schon ist sie an der Tür.

Aber da dringt schon der kurze Schrei des Tieres, der dumpfe Schlag des Holzschlegels und das Rufen des Schiermosers an ihr Ohr.

Und die Alte kommt eben in dem Augenblick die Stiege herab und sagt: »Hast es gsehgn, Rosina! Sie muaß mithelfa! Dees kinnan guate Kirtawürscht werdn, bals dee Stadtgoaß macht. Macht nix. Die sollns nur einkenna, was a rechte Bäuerin is und was koane.«

Jawohl. Recht hat sie, die Großmutter. Die sollen's nur einsehen! Jetzt, heut und morgen wird sich's ja zeigen, was sie taugt auf einem Bauernhof, die Städterin.

Und sie setzt sich mit wildklopfendem Herzen wieder an ihren Platz.

Aber drüben auf dem Hof geht alles seinen Gang.

Das Schwein wird geschlachtet, gebrüht, geputzt und zerteilt; es hängt, schön mit leinenen Tüchern bedeckt gegen die Fliegen, luftig in der Tenne, und die Mägde sind schon beim Putzen und Zurichten der Ingeweide.

Und nach diesem werden die Leberwürste und die Leberknödel, der Blutpressack und die Milzwurst bereitet, und schließlich geht's an das große Putzen und Aufwaschen.

Denn nun heißt's, die Kirtanudeln und Krapfen backen, und dazu muß die Kuchel rein und sauber sein.

Den Nudelteig hat inzwischen schon des Schiermosers zweite Tochter, die Mariedl, abgeschlagen und als kleine Kräpflein auf die mehlbestäubten Bretter gereiht.

Nun schürt sie das Feuer zur lustigen Flamme, die Barbara schleppt die großen Nudelpfannen und Schmalzhäfen herbei,[785] und Rosalie stellt die bemalten Schüsseln, in denen die Krapfen auf den Tisch kommen, zurecht.

Es geht wirklich und wahrhaftig, ohne daß eins aus dem Haus herüberkäme zu ihr, der Schiermoserin, und bittet: »Geh, Bäuerin, hilf uns; Kirta is!«

Sie werden wirklich fertig ohne Bäuerin.

Ein unendlicher Grimm und eine trostlose Bitterkeit kriecht in der Schiermoserin herauf. Es würgt in ihrem Hals und schüttelt sie in hartem Weinen.

Und drüben im Hof geht der Tag seinen Gang in hurtigem Schaffen, gewürzt mit Lachen und Scherzen, mit Essen und Trinken.

Denn Franz hat bereits das erste Faß mit Kirtabier im Hausflöz auf die Bank gestellt und angezapft.

Und nachmittags um drei, da ringsum die Kirchenglocken das Fest einläuten, da tönt aus dem Haus der erste Juchschrei, die Zither erklingt, und ein lustiges Singen und Jodeln hebt an.

Und dann hört man das Stampfen der tanzenden Burschen und das Lachen der Dirnen.

Gegen Abend kommen dann die jüngeren Leute aus der Nachbarschaft in den Heimgarten.

Der Schiermoser trägt die beiden Hälften der Kirchweihsau in die Kuchel, und Franz richtet in der Tenne die große »Kettenhutsche« her.

Dazu schleppen die Nachbarburschen eine Menge schwerer Kuhglocken herbei. Diese werden schaukelartig an den mächtigen Querbalken der Tenne befestigt; die eine beim vorderen Tor und die andere beim rückwärtigen. Und diese beiden Kettenschaukeln werden nun verbunden durch zwei aufeinandergelegte, leichtlich sieben bis acht Meter lange Bretterladen aus gutem Eichenholz.

Das Aufmachen der Kirchweihhutsche ist eine Ehrensache bei den Bauernburschen; denn da oft bis zu fünfzehn Personen[786] auf dieser sitzen und schaukeln, muß sie sehr gewissenhaft gekettet und befestigt sein.

Nach dem feierlichen Abendessen wird dann die Hutsche ausprobiert von sämtlichen Burschen und Mädchen des Hofs.

Und so kommt es, daß die Schiermoserin und ihre Mutter noch spät abends das Rasseln der Ketten und das Knarren der Bretter, das Scherzen der Burschen und das Kreischen der Maidln hören müssen und keine Ruhe finden und keinen Schlaf bis tief in die Nacht.


Kirchweihsonntag.

Der dämmernde Morgen wird begrüßt von dem festlichen Geläute der Glocken ringsum; es rufen die alten, tiefen der großen Pfarrkirchen ernst und feierlich, und es klingen die kleinen Glöcklein der Kapellen hell und silbern hinaus in die Täler und hinauf an den Hügeln, schwingen und singen droben auf den Höhen und erfüllen die Luft mit ihrem vom Windhauch getragenen Ton wie ein Lied vom Himmel.

Droben auf den Bergen ringsum stehen die Böller und schicken krachend und donnernd ihren Ruf hinaus ins Gau: »Auf! Kirchweih ist!«

Und ihr Krachen bricht sich an den Wäldern und Höhen, wird zum rollenden Donner und erzittert endlich als vielstimmiges Echo an den Fenstern der Bauernhöfe ringsumher. Da wirds lebendig in den Häusern.

Der Bauer bindet das buntseidene Halstüchl sorgfältiger, zieht das samtene Gilet mit den silbernen Knöpfen an und bürstet lange an dem schweren wattierten Kirchenrock herum.

Die Bäuerin prangt im seidenen Gewand mit perlenbesetztem Fürtuch; sie hat das Haar gestrählt und pomadisiert und trägt eine feierlich-andächtige Miene zur Schau.[787]

Der alte Großvater nimmt den langen tuchernen Festtagsrock aus dem Kasten, zieht die glänzenden Kanonenstiefel über die engen Lederhosen und zählt die Kreuzer zum Biergeld in seinem altmodischen Zugbeutel.

Die Burschen und Knechte stehen lachend und stänkernd in der kurzen Wichs unter der Haustür, richten den Flaum am Hut, horchen auf die Sackuhr, ob sie geht, und probieren die Schärfe des Messers, ehe sie es im hinteren Hosensack verschwinden lassen.

Die Töchter und Mägde aber schwatzen und kichern, richten zum drittenmal das Haarnest und zum viertenmal die Halsbarbe, zupfen an den Röcken und glätten die Schürzen, behängen den Hals mit Ketten und bestecken den Spenzer mit Broschen und Nadeln.

Und endlich versammeln sich alle drinnen in der großen Stube; die Bäuerin breitet das schwere linnene Festtagstafeltuch auf dem Eßtisch aus, die Tochter oder die Oberdirn stellt die Krapfenschüssel drauf, und die Kucheldirn trägt die Kaffeesuppe herein.

Der Bauer betet den Morgengruß und bittet den himmlischen Vater um seinen Segen für Speis' und Trank, und dann beginnt die Kirchweih: zum Morgenimbiß Krapfen, Kücheln und Kirchweihbrot mit Kaffee, Brennsuppe und Leberwürsten.

Nach der Kirche beim Postwirt oder beim Oberwirt, beim Unter- oder beim alten Wirt die Kirtamaß für den Heimweg. Und daheim der Festtagsschmaus!

Die Mannsbilder ziehen schon vor dem Essen die Joppe aus und setzen sich hemdärmelig um den Tisch.

Dann gehts in schöner Ordnung und nach altem Brauch und Herkommen: erst kommt die Schüssel mit dem Kraut und den Blutwürsten; dann das Voressen. Darnach die Fleischsuppe mit den Leberknödeln, das Rindfleisch und die roten Rannen. Nun füllt der Hausvater die Bierkrüge.[788] Die Bäuerin aber trägt weiter auf: den schweinernen Braten und die Kirchweihgans, die gebackene Milzwurst und den gedämpften Gockel.

Die Weiberleut beginnen langsam zu seufzen, und die Mannsbilder knöpfen bedächtig die Knöpfe des Gilets und der Hose auf.

Aber der Hausherr hilft abermals nach mit frischem, gutem Trunk.

Und so geht das Essen seinen Gang weiter: nach dem Gockel kommt das Kälberne auf den Tisch und nach diesem die Apfelküchel, die roggernen Schmalznudeln und die weizernen Kirchweihkrapfen.

Den Dankgott betet die Bäuerin meistens für sich allein. Denn die anderen Glieder des Hauses sind ernst und schweigend hinausgegangen – in den Stall – in den Hof – hinter das Haus.

Eine gute Kaffeesuppe aber bringt wieder Munterkeit und wirkt befreiend. Man lacht wieder, scherzt, stänkert und ist endlich in der Stimmung, die zum Kirtatag gehört.

Der eine nimmt die Zither zur Hand und der ander die Harmonika, der Oberknecht faßt die Unterdirn um die Mitte, hebt sie juchzend in die Höh, und bald ist alles im Wirbel des Tanzes und im Trubel der Lust des Tags.

Und was nicht Essen und Trinken, nicht Tanzen und Singen zuweg brachten, das erreicht die Hutsche.

Kreischend und lachend sitzen die Weiberleut auf dem langen Brett; ein paar stämmige Burschen stehen an den Enden der Hutsche auf dem äußersten Rand und umklammern mit ihren Fäusten die langen Ketten.

Der Musikantenlippel spielt auf der Ziehharmonika einen Marsch, und die Burschen beginnen langsam die Schaukel zu treten.

Erst ganz bedächtig, die Haltbarkeit nochmals überprüfend, bewegen sie die Hutsche; aber bald wer den sie kühner,[789] erhitzen sich an dem Juchzen der Burschen und an dem Kreischen der Maidln und werken nun mit voller Kraft.

Hei! Da flattern die Röcke und zappeln die Beine!

Da bittet manche herrische und anhabische Dirn den sonst so verhaßten Bewerber um Gnade!

Da kommt ein Rausch über alle, die noch jung sind und Blut haben in ihren Adern!

Das ist die Stunde, von der man noch kichernd und verstohlen spricht, wenn längst die Kirchweih vorüber und der Winter in die Bauernhöfe eingezogen ist. Wenn die Jugend beisammensitzt in der Spinnstube und die Alten sich erwärmen auf der langen Ofenbank. – Wie überall an diesem Tag, so ist es auch auf dem Schiermoserhof.

Ein Kirchweihtag voller Lust und Genuß, voller Freud und Ausgelassenheit.

Rosalie ist auch heute die Seele des Ganzen – die Bäuerin.

Sie läuft und schafft, kocht und werkt, hat die Händ voller Arbeit und das Herz voller Lust. Und Tante Adele hilft getreulich mit beim Kochen und Backen, beim Essen und Trinken, beim Lachen und Lustigsein.

So kommt's, daß die gute Schiermoserin samt ihrer alten Mutter vergebens der Stunde des Tages harren, da eine oder die andere von den Töchtern gelaufen kommt, um zu betteln: »Geh, Muatta, hilf! Der ganze Kirta is beim Teife, balst net kimmst. Dees Stadtweiberts hat uns den ganzen Kirta verhunzt!«

Nein. Nichts dergleichen rührt sich.

Nur das Gansdirndl bringt gegen Mittag die Botschaft: es wär alles fertig und wenn die Schiermoserin Lust hätt, herüberzukommen zu einem kleinen Schmaus ...

Daß unser Herrgott sie davor bewahre!

So gern sie etwas verkosten möchte von den Gerichten, die dieses Weibsbild zubereitet hat!

Sie kanns überwinden![790]

Und mit Verachtung auf den Lippen, Groll in den Augen und bitterem Weh im Herzen setzt sie sich einsam an ihren Tisch und würgt hinunter, was vom Tag vorher noch da ist: ein harter Knödl und ein wenig Kraut.

Darnach kleidet sie sich festlich an und geht hinab nach Glonn zum Rosenkranz und zur Vesper.

Indes der Schiermoser, ihr Eheherr, wie ein Junger daheim durchs Haus läuft, lacht, scherzt, mit keinem Gedanken sich seines trutzigen Eheweibs erinnert und zu guter Letzt Rosalie sogar um einen Tanz angeht, indem er sagt: »I muaß wissen, obst aa a so a riegelsame Tanzerin bist wia a Bäuerin!«

Im Herzen aber denkt er: Eine bessere Hochzeiterin hätt er nicht finden können, der Franzl, und wenn er suchen wollt zwanzig Stunden im Umkreis. Bei diesem Kegelschieben hat sein Bub den besten Wurf getan!


Assessor von Rödern wundert sich schon seit geraumer Zeit, daß seine Braut so gar nichts mehr von sich hören läßt.

Außer ein paar nichtssagenden Kartengrüßen hat er von Rosalie nichts erhalten, was ihn irgendwie ihrer Zuneigung hätte versichern können.

Die Rätin allerdings schrieb fleißig.

Aber ihre Briefe sind stets von einer schwulstigen Schönrederei, von einer so unangenehm geschraubten Art, so gedrechselt und so gewunden, daß er sich am End nicht mehr darin zurechtfinden kann.

Was nützen ihm all die Redensarten der Mutter, wenn die Tochter nicht jene Worte findet, die man als Verlobter doch schließlich beanspruchen kann!

Ist er denn nun eigentlich Bräutigam, oder ist er's nicht?

Er will sich Klarheit schaffen. – Sofort.

Und so findet ihn der leuchtende, schier sommerliche[791] Oktobersonntag, an dem bei den Bauern Kirchweih ist, auf dem Weg nach Berganger.

Er hat noch einen Freund dazu eingeladen, und sie wollen zugleich eine kleine Wanderung durch den Herbst mit dieser Reise verbinden.

Es ist bald um die Stunde des Abendessens.

Die Lust und der Trubel des Kirchweihtags ist aufs höchste gestiegen; der dritte, vierte Banzen wird angezapft, und die Kirchweihschaukel beginnt zu quieksen und zu knarren bei jedem Schwung.

Franz Schiermoser hat mit dem Oberknecht das Treten der Hutsche übernommen.

Und Rosalie sitzt nun gleich den Töchtern und den andern Mädchen auf dem Brett, lachend und voller Übermut.

Da kommen zwei Wanderer des Wegs, schauen verwundert auf die Szene und nähern sich langsam, angezogen von dem Lärmen und Lachen und der Musik, der Tenne.

In diesem Augenblick gibt Franz Schiermoser das Zeichen zum Halten.

Die Burschen springen hinzu, halten die Schaukel an und bemächtigen sich der schreienden Dirnen.

Und der Franzl springt herunter vom Brett, hilft Rosalie herab, wirbelt sie etliche Male im Kreis herum und hebt sie darnach juchzend in die Höhe.

Draußen vor dem Tor steht der Assessor mit seinem Freunde.

»Indianerfreuden!« sagt dieser mitleidig. »Sie sind doch noch Wilde, diese Bauern!«

Der Assessor will antworten.

Da erkennt er Rosalie.

Sieht, wie Franz Schiermoser sie in den Armen hält, küßt, mit ihr tanzt, sie wegführt!

Da wendet er sich schweigend ab und folgt dem Freunde.

Etliche Tage später empfängt Rosalie einen Brief, der weiter[792] nichts enthält als die Worte: »Ich betrachte unsere Verlobung als gelöst, von Rödern.«

»Na also!« sagt Tante Adele. »Es geht doch alles, wie es gehen soll. Morgen fahren wir zurück in die Stadt und rüsten den Brautwagen!«

Quelle:
Lena Christ: Werke. München 1972, S. 784-793.
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