[207] Simon Dachen
1648. 10. Ostermonats-Tag.
Ad pios manes Defuncti.
Si mihi non tanto sociatus amore fuisses,
Carmine te flerem fortè, Roberte, bono.
Sed cum non Pylades ita fidum adamârit Orestem,
Et fuerit Thesêi major amore Tuus.
Me jactura tui nimio necat atra dolore,
Atque Tuis meritis scribere digna vetat.
Nunc, o Dive, Tibi muta pietate litamus,
Et bruti gemitus carminis instar erunt.
Andern hab ich bis anher
Die sich fanden in Beschwer,
Können Trost ertheilen,
Wer wird mir in dieser Noht,
Da mein liebster Freund mir todt,
Meine Wunden heilen?
O der Mann nach meinem Sinn
Roberthin mein Trost ist hin,
Der, in dessen Leben
Meines sich befand, mein Raht,
Meine Rhue vnd Zuflucht hat
Gutte Nacht gegeben.
Niemand fodder' itzt von mir
Etwas von belebter Zier,
Ach ich kan nicht geigen,
Der mein Phoebus vormals war
Liegt im Sarg und auff der Bahr,
Vnd heisst nun mich schweigen.
Allen Seiten bin ich feind
Ohn die etwa mit mir weint,
Was ich erst zu küssen
Vnd sehr hoch zu halten pflag
Was mir wie im Hertzen lag,
Stohss' ich jetzt mit Füssen.
[207]
Selbs mein grüner Helicon
Ist mir jetzund Gram und Hohn,
Wild von Dorn- vnd Hecken,
Wird von Grauen stets bewahrt,
Ist ein Platz da aller art
Schlangen sich verstecken;
Ist ein Ort den ich verflucht,
Wer darinnen Quellen sucht,
Suchet Milch zu saugen
Aus dem Felsen und dem Stal,
Ohn das Wasser, so für Qual
Rinnt aus meinen Augen.
Ist wer unter vns betrübt
Vber dem, so er geliebt,
Kommt ich helff euch weinen,
Witwen, Waisen, und was mehr
Klaget aus der massen sehr
Den Verlust der Seinen.
Sonderlich wo in der Welt
Sich ein Theseus noch enthält
Der sich zwar verschworen
Dein zu seyn, Pirithous,
Aber dein entrahten mus,
Weil er dich verlohren.
Komm du Pilades Geschlecht,
Sag sind meine Thränen recht
Trew und auserlesen?
Giebt der Nachtwelt dan Bescheid,
Daß ein Paar auch dieser Zeit
Sey, was du, gewesen.
O was heb ich immer an!
Zwar ich sol dem thewren Mann
Jetzt ein Denckmal stellen,
Welches wan es vmb mich wer
Hat verdient, so ist es Er,
Vnd in tausent Fällen.
Aber meine Krafft ist fort,
Ich vermag schier nicht ein Wort,
So was taug, zu fassen,
Bin als dem Verstand gebricht,
Was zu thun sey weis ich nicht,
Noch was sey zu lassen.
Sein Verdienst hergegen steht
Vber MenschenWitz erhöht,
Tullius mag sprechen
Was selbst Rom bestürtzet macht,
Hie wird es an Redens Pracht
Warlich ihm gebrechen.
Maro, Claudian, Papihn
Werden hie den kürtzern ziehn.
Würden sie nicht sagen,
Lebten sie nur, ihre Zeit
Hätt in solcher Fertigheit
Keinen Mann getragen?
Was für Leut ich je gekant,
Welche Weisheit vnd Verstandt
Billig mus erheben,
War dem dieß, dem das allein,
Keinem aber in gemein
Alles fast gegeben.
Der ist reich von Wissenschafft,
Doch im Leben tadelhafft,
Der wird feig befunden,
Der hat keiner Sprachen Gunst,
Hier nur hatte sich mit Kunst
Alles schier verbunden.
War sein Vrtheil oder Witz
Nicht viel schneller als der Blitz,
Den das Wetter schicket,
Als der alles stracks begrieff,
War es noch so schwer vnd tieff
Was er nur erblicket.
Worauff mancher sich bedenckt
Vnd in tausent wegen kränckt,
Kuntt er stracks ergründen,
Vnd in Sachen, wie sie seyn,
Stracks ohn Arbeit, Sorg vnd Pein
Einen Ausschlag finden.
Welches Buch war jhm nicht kunt
Durch vnd durch bis auff den Grundt?
Was ich möchte lesen,
Was ich nachschlug mit Begier,
Merckt' ich daß er längst vor mir
War daselbst gewesen
[208]
Vnd in allen Künsten zwar,
Darumb wir zu jhm auch gar
Als zur Schulen kamen,
Vnd in der vnd jener Sach,
Als uns Wissenschafft gebrach,
Lehre von ihm nahmen.
Darumb führt umb Ihn Geschrey
Musica, Poëterey,
Redkunst vnd dergleichen,
Ja es trägt ohn Vnterscheid
Auch das Handwerk vmb Ihn Leid
Daß er mus verbleichen.
Bleibt der Herr- und Fürsten-Standt
Hie auch billig unbenant,
Welchem er für allen
Wegen seiner Gaben Schar,
Die nicht aus zu sprechen war,
Allzeit wollgefallen?
Das Hoch Edle Hof-Gericht
Schweiget, weis ich, seiner nicht,
Wird jhn hoch beklagen,
Vnd der Fürstlich Ober-Rath
Der jhn wol geprüfet hat,
Selbs Leid umb Ihn tragen.
Ja der Graff von Schwartzenbergk
Hat an seiner Tugend-Werck'
Offtmals sich ergetzet,
Was? selbs vnser Haupt vnd Liecht,
Friedrich Wilhelm, hat Ihn nicht
Für gemein geschätzet.
Vnd wo bleibt so mancher Mann
Den ich jetzt nicht nennen kan
Hier im gantzen Lande?
Denn wer jrgends von Ihm wust'
Hatte zu Ihm Lieb vnd Lust,
Auch aus jedem Stande.
Sol ich Deutschland lassen stehn?
Engelland fürüber gehn?
Nichts von Frankreich melden?
Nichts von Welschland, da die Kunst
Ihn verknüpfft durch Lieb vnd Gunst
Manchem wehrten Helden?
Dennemarck und Schweden nährt
Leute die Ihn hoh und wehrt
Vnd erkohren halten,
Vnd ohn zweiffel vberall,
Wenn si hören diesen Fall,
Schreckens-voll erkalten.
Denn nicht aus zu sagen ist,
Wie er eilends ward erkiest
Wenn man Ihn nur hörte,
Stracks gewann er aller Hertz,
Massen er durch Ernst und Schertz
Allzeit etwas lehrte.
O wie war doch seine Lust
Zu beförtern, wie er wust,
Alle Kunst vnd Tugend,
Trew vnd fleiß ward nicht gespart,
Merckt er was von gutter Art
In der lieben Jugend.
Mit was tieffer Niedrigheit
Pflag er Gottes jederzeit
Bey mir zu erwehnen,
Da es jhm im Hertzen nicht
Hat an Andacht, im Gesicht
Nicht gefehlt an Thränen.
Sonst kam List und Heucheley
Gantz nicht seinem Hertzen bey,
Das nur Warheit liebte,
Vnd mit wolbedachtem Rath
Alle Sachen die er that
Frey vnd frewdig übte.
Soll ich seine reiche Handt
Die er hat an mich gewandt
Auch denn nicht erzehlen?
Nein, ich sorg', es werde mir
An vermögen, zeit, Papier
Vnd an Worten fehlen.
Vnd wer weis vorhin nicht schon
Auch im gantzen Land' hievon?
Von so vielen Jahren
Hatt es wol, nach meinem Wahn,
Was er stets bey mir gethan,
Auch ein Kind erfahren.
[209]
Vber das so häufft die Zahl
Seiner Gutthat meine Qual,
Nichts kan ich ermässen,
Stracks fällt sein Gesicht mir ein,
Stehend pflag er so zu seyn,
So ist er gesessen.
Fraw, du sonst ein Tugend-Schild,
Jetzt ein wahres Trübniß-Bild,
Groß ist zwar dein Leiden,
Aber heisch nicht Trost von mir,
Denn ich weis mich selber hier
Mein nicht zu bescheiden.
Halt es diesmal mir zu gut.
Schaw wie meiner Thränen Flut,
So ich allzeit treibe,
Mit der Tinten sich vermischt,
Vnd mir von der Taffel wischt
Alles was ich schreibe.
Buchempfehlung
Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.
106 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro