Die Mette von Marienburg

[346] 1.

»Nachtlockiges Weib, jagellonisches Blut,

So siegte doch endlich die süße Glut!

Lang' blieb ihr verhaßt der Deutsche, der Fremde,

Mit dem weißen Mantel auf schuppigem Hemde:

Doch endlich ward sie inne

Der siegenden Frau Minne,

Daß sie mir freud'ge Botschaft schrieb:

»O, komme, so wahr dir dein Leben lieb,[346]

In der Christnacht auf Podol, mein Schloß.«

Nun, Greif, mein Rappe, mein wackres Roß,

Die schöne Feindin soll nicht warten!«


Und er zieht geheim in den Burgwallgarten

Am Zügel das leise wiehernde Tier:


»Schweig, trauter Greif, das rat' ich dir!

Wenn uns die Gebiet'ger erlauschten, die frommen,

Wir würden in sichern Verwahr genommen,

Und wir flögen wohl niemals wieder, wir beide,

Auf Minnefahrt durch Wald und Heide.«


Und sacht und rasch auf beschneitem Rasen

Führt er das Roß an die Ausfallpforte:


»Still, alter Hans, keine Predigtworte!

Willst du vielleicht das Lärmhorn blasen

Und den Priestern deinen jungen Herrn

Verraten, daß sie ihn fahn und sperrn

Sein Leben lang zu Brot und Wasser,

Die gottseligen Burgunderprasser?«


Da lachte Hans, dann sprach er ernst:


»Daß du doch niemals Sitte lernst!

O lieber Falk, mein Junker wert,

Weit ist gerühmt dein rasches Schwert:

Jedoch du läss'st nicht von der Minne!

Die frommt dem Deutschherrnritter nicht!


Wohin stehn dir heut' nacht die Sinne,

Heut' nacht, da heil'ge Christenpflicht

Uns alle ruft zur Mittnachtmette?«
[347]

»Auf Hans, rasch fort die Riegelkette!

Vielschönes Weib berief mich heiß!«


»Die Nogat geht in Trümmereis!« –


»Greif schwimmt gleich einem Neckarhecht!«


»Im Weichselwalde fährt sich's schlecht:

Dort rennen rudelweis die Wölfe.«


»Nicht fürcht' ich ihrer zehn und zwölfe!«


»Im Tanne von Podol verhohlen

Masuren bergen sich und Polen.«


»Gleich ihren Wölfen acht' ich sie:

Zwölf gegen einen fürcht' ich nie!

Rasch auf das Türlein! Greif, nun lauf:

Frau Aventiure, nimm mich auf!« –


2.

»Gesteh, du wilder, geliebter Mann,

Ob Zauber dir mein Herz gewann?

Du bist wie Sturm und Glut und Gewitter,

Bist heißer als all' die blonden Ritter,

Bist mark'ger als die Polenknaben:

Aus deinen dunklen Augen und Locken

Sprüht's und knistert's wie Feuerflocken,

Du bist wie Gold und Stahl und Flamme« –


»Schön Lieb, das rührt von meinem Stamme!

Ich bin vom freud'gen Volk der Schwaben,

Ich bin aus Deutschlands wonn'gem Süd,

Wo heißer Blut und Minne glüht!

Wer suchte wohl den Falk von Stauf

Heut' nacht bei schön Lodoiska auf!«
[348]

»Wie kamst du in den frommen Orden?«


»Der Heimat war ich urdrüß worden:

Mein Schwert schlief ein auf leichten Siegen:

Da drang der Ruf ins Neckarland:

– ›Die deutschen Herrn erliegen!

Marienburg wird heiß berannt,

Sie schüttelt kaum vom Nacken

Die Wölfe, die Polacken,

Und Tag um Tag tobt grimmes Morden.‹ –

Da dacht' ich: ›Falk, flieg aus nach Norden.‹

So trat ich in den frommen Orden:

Traun, nicht fürs Werk der Pfaffen,

Fürs freud'ge Werk der Waffen.«


»So magst du leichtern Herzens hören,

Was ich erst jetzt enthüllen kann:

Du kannst den Plan nicht mehr zerstören,

Der meinem Volk den Sieg gewann:

Als ich dich sterben sollte wissen,

Da ward mein Lieben grell mir klar:

Geliebter Mann, dich hat entrissen

Lodoiska sichrer Todgefahr:

Weißt du, weshalb ich dich beschworen

Heut' aus Marienburg hieher?

All' deine Brüder sind verloren,

Sie schaun den nächsten Tag nicht mehr!

Verrat erschließt das Nogattor

Beim letzten Schlag der Mitternacht:

Sechstausend Polen stehn davor:

Was drinnen lebt wird umgebracht.

So siegt mein Volk – die Deutschen fallen:

Doch du, der Einz'ge, sollst von allen,[349]

Du wilder Edelfalke mein,

Durch mich, für mich gerettet sein:

Ich liebe dich! Komm an mein Herz« –


Auf fuhr der Stauf in Schreck und Schmerz:


»Marienburg! der Brüder Leben!

Gott, Flügel mußt du jetzt mir geben!«


Und eh' die Polin sich's versehn,

War schon der kühne Sprung geschehn

Vom Erkerfenster in den Schnee:


»Jetzt renne, Greif! sonst, ewig: Weh!«


3.

Den Nacken gesenkt, die Zügel verhängt,

Durch die Nacht kommt der rasende Reiter gesprengt.


Längst ließ er die Straße, verlor er den Pfad,

Nach Süden, nach Süden nur pfeilgerad!


Über der Heiden endlos Weiß,

Über der Bäche krachendes Eis,

Über die Schluchten von mürbem Schnee,

Über den spiegelglatten See,

Hinab die Halden, hinan die Hügel

Trägt ihn das Roß wie Adlerflügel:

Die Dornen reißen im heißen Hetzen

Vom flatternden, weißen Mantel Fetzen,

Schon gewann er den dichten Wald von Podol:

Zu seinen Häupten lacht es hohl: –

Das sind in den Föhrenwipfeln die Eulen.[350]

Doch näher und immer näher heulen

Die Wölfe zur Rechten, die Wölfe zur Linken:

Dem Rappen wollen die Kniee sinken,

Es schnaubt, es zittert das edle Tier:


»Greif, Freund Greif, nicht bange dir!

Halt' aus, halt' aus! es gilt viel mehr

Als unser Leben: es gilt die Ehr'!

Laß sie nur kommen, die Hunde, die feigen:

Ich will ihnen schwäbisches Eisen zeigen.«


Und er klopft ihm den Hals – ausgreift das Roß –:

Ganz nah schon rennt der heulende Troß:

Zur Linken, zur Rechten sieht er sie jagen,

Doch den Ansprung will keiner wagen:

Herr Stauf zieht jetzt sein breites Messer:

Er schwingt's im Mondlicht – das scheucht sie besser:

Aber die eine, die Wölfin, die magre,

Die graue, die große, die hungrige, hagre,

Reißt endlich hin die lechzende Gier:

Sie springt auf den Bug dem schnaubenden Tier: –

Da fährt durch die Gurgel ihr scharfer Stahl,

Und die Sterbende schleudert Herr Falk zur Erde –

Und sofort sie zerfleischen die andern zumal

Und lassen vom Reiter und seinem Pferde. –

Der weiße Mantel ward blutig rot:

»Vorüber, Freund Greif, die Wolfesnot –


Aus dem Tann in das Freie jagt der Stauf; –

Was stutzt der Rappe? was hält ihn auf?

Vor ihnen welch' Gurgeln! der Mond tritt grell

Aus dunklem Gewölk: er leuchtet hell

Und ringsum kracht's und knistert und dröhnt:

Die Nogat ist's, die im Eisgang stöhnt![351]

Im Strahl des Monds, weiß, grün und grau,

Wogt Wasser und Eis – welch' grimme Schau!

Bald Fluten schwarz wie Todesnacht,

Bald Eisgezack kristallner Pracht:

Es rauscht, es knirscht, es zieht, es kracht: – –

Falk spornt das Roß: doch der treue Greif

Er sperrt sich todesbang und steif:

Die Vorderfüße vorgestemmt,

Den Hinterbug zurückgehemmt,

Die Mähne weht kopfüber wirr, –

So starrt er in das Eisgeklirr;

In die dunkle Flut, in den kalten Wind: – –


»Greif aus, mein Greif, geschwind, geschwind!

Schwimm durch! schwimm durch! es gilt viel mehr

Als unser Leben: es gilt die Ehr'!

Nun spring' und schwimm! es muß, es muß!«


Und in den eisigen, grollenden Fluß

Setzt der Rappe mit edlem Schwung:

Er springt und watet und schreitet und klimmt

Ans Ufer, ans steile, mit sichrem Sprung!

Da grüßet schon – das ist kein Stern! –

Das Licht Marienburgs von fern,

Das rote Licht vom Remterturm! –


Doch vor der Burg, wie ein ringelnder Wurm,

Was kauert und schleichet und lauert dort?


»Halt, Reiter, gib das Losungswort«

So ruft's in zischelndem Slawenton! –


»Der Teufel ist's, du Wolfessohn,

Der Teufel kömmt euch holen,

Ihr gottverfluchten Polen!«[352]

So ruft Herr Falk und jagt vorbei:

Da hallt ein halb verhalt'ner Schrei:

»Nach, nach! mit allen Rossen!

Mit sausenden Geschossen,

Doch leis, daß von der Zinne

Man unser nicht wird inne.«


Und hinter dem keuchenden, schäumenden Rappen

Die kleinen polnischen Hufe klappen:

Und verrät der Mond den weißmant'ligen Reiter,

Dann schwirren die Pfeile: weit und weiter

Schon jagt er voraus: – noch einmal ein Schwarm

Von Geschossen auf Schulter und Rücken und Arm: –

Da hält er auch schon vor dem Nogattor:

Tot stürzt das Roß: – aus dem Sattel empor

Der Reiter springt und mit letzter Kraft

Schlägt er ans Tor das Schwert mit Macht,

Ein-, zweimal, drei: – und geisterhaft

Anschlägt die Glocke Mitternacht.

Er ruft: »Verrat! auf! auf!

Euch Brüder warnt der Stauf,

Laßt jetzt Gebet und Metten,

Das Leben gilt's zu retten!

Verrat erschließt das Nogattor

Beim letzten Schlag der Mitternacht –

Sechstausend Polen stehn davor –

Ich kann nicht mehr – es ist – vollbracht!«


Ein lauter Hornruf scholl vom Wall,

Rings Fackeln, Waffen überall:

Bald brachen wie Gewitter

Hervor die deutschen Ritter.[353]

Die Polen flohn mit Eilen: –

Doch tot, mit sieben Pfeilen,

Hob man den Warner auf,

Den Schwaben Falk von Stauf!

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 346-354.
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