Venus Adultera

[73] Komm, Schatz; komm, Katz; laß das Wimmern!

Nein, das darf dich nicht bekümmern,[73]

daß ich nicht »treu« bin; rück nur her!

Komm, ich hab ein Dutzend Seelen;

wer kann all die Kammern zählen,

sechse stehn mir grade leer.


Sieh nicht auf den Ring an meinem Finger!

Hoh, mein Kind, ich bin viel jünger

als mein narbigtes Gesicht.

Weißt du, die Runzeln und die Hiebe

tun erst die Würze zu Ehre und Liebe!

Ja, das nannt ich als Student schon Pflicht:


Viel geliebt! noch mehr getrunken!

kuscht euch, Unken und Hallunken!

heida, wie der Schläger pfiff!

Soll das Leben dir was nützen,

lerne brav dein Blut versprützen:

nicht gezuckt! los! blick und triff! –


Hast doch auch schon »Blut« verspritzt,

oft – – hui, wie dein Auge blitzt:

zürnst wohl gar dem frechen Buben?

Was denn: Tränen?? o nicht doch! oh!

Herzchen, so'was lernt man so

in der Luft der Ehestuben!


Komm: sei gut, Kind! gib mir die Hand!

Hast ja Mut, Kind – und hast Verstand:[74]

nein, ich will dich nicht verführen.

Aber gelt, du wärst gern Braut?

Hier das Venushalsband deiner Haut

läßt verhaltene Wünsche spüren.


Sieh mich doch an, du: ich bin kein Dieb!

habe das Halsband nur so lieb

und deine dunkeln Augenringe.

Sieh doch, mein Blick ist ein zündender Pfeil,

sprühenden Fluges ein sausendes Seil:

komm, durch Höllen und Himmel soll's uns schwingen!


. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .


Ja – so wird aus Sehnsucht Sünde;

Hölle, die den Himmel stürmt.

Seele öffnet alle Schlünde,

die der Geist rings mühsam übertürmte.


Denn Natur schürt wieder alle Gluten,

die der Mensch beherrschte in Gedanken;

lüstern lecken ihre Lavafluten[75]

an dem Erzgerüst der heiligen Schranken.


Wie es hinschmilzt! Wer kann's kalt beschauen?

Nur der Mond in seiner Leichenpracht.

Und die Seele badet sich im Grauen,

und der Geist buhlt mit der Nacht.


Bis er Frevel heckt wie Don Juan,

der nur lüstern war aus Qualengier,

ein vom Teufelswahn verlockter Gottesmann,

freudeloser als ein Tier.


Nein, nicht Lust war's, du Jungfräuliche,

als ich deine Opferfreude schmeckte;

ich genoß nur das Abscheuliche,

zu entweihn dich Unbefleckte,

Quelle:
Richard Dehmel: Die Verwandlungen der Venus. Berlin 1907, S. 73-76.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.

106 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon