Freundschaft

[119] Was aber hätt ich von dieser Welt,

Und hätt ich, was ich wünscht, im Nu,

Was Herz erwärmt und Geist erhellt,

Und hätt keinen Freund dazu?


Was hätt ich von aller Liebe gar,

Was hätt ich von dem funkelnden Wein,

Wenn Alles, was süß mir ist und war,

Nur blühte für mich allein?


Was wollt ich mit der schwellenden Brust

Und schütte sie arglos nimmer aus?

Vergrabenes Leid, verschlossene Lust,

Das ist der Seelengraus.


Der Alles überdauern muß,

Wenn dir so manche Blüthe geknickt,

Das ist des Geistes kräftiger Genuß,

Der ewig verjüngt, erquickt.
[119]

Es ist allein der liebende Freund,

Der Einen ganz und gar versteht,

Der mitgelacht und mitgeweint,

Geärntet, was mitgesät.


Dann erst, o dann, geschähs einmal,

Da würd es einsam in dir und leer,

Wenn deine Freunde wegstürben all,

Würde dirs Leben schwer.

Quelle:
Ludwig Eichrodt: Leben und Liebe, Frankfurt a.M. 1856, S. 119-120.
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