Begegnung

[50] Ich ging im Feld. Die Drossel schlug.

Ein lindes weiches Wehen trug

Von einem wilden Apfelbaum

Ein Blütenblatt, einen Frühlingsflaum.

Da kam aus Osten, hügelab,

Trug keinen Hut und keinen Stab

Und führte keinen Ranzen mit,

Der Tag im leichten Wanderschritt.


Auf seine helle Stirne fiel

Ein frei Gelock, des Windes Spiel.

Kein Kleid umgab der Glieder Pracht,

Nackt schritt er, wie ihn Gott erdacht.

Nur eine Sonnenblume hielt

Er in der Linken. Hochgestielt,

Der goldne Sternkelch scheitelnah

Ihm schwankend über die Schulter sah.


So ging er strahlend gradeaus,

Und über ihm zog mit Gebraus

Ein Schwarm von weißen Schwänen mit.

Er wuchs, wie er das Feld durchschritt,

Und stand zuletzt am Horizont,

Ein Riese, flammend übersonnt.

Um ihn, wie lichte Wölkchen sahn

Die Vögel aus, Schwan neben Schwan.

Und aus dem weißen Glitzermeer

Grüßte die gelbe Blume her.


Quelle:
Gustav Falke: Ausgewählte Gedichte. Hamburg 1908, S. 50-51.
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