|
Ein klapperdürrer Fiedelmann
Stand unter einem Baume
Und setzte seine Geige an
Und geigte wie im Traume
Und sang ein leises Zwitscherlied,
Das rührte an die Äste,
Und als der letzte Ton verschied,
Da starb ein Spatz im Neste.
Der klapperdürre Fiedelmann
Stand unter trocknem Kranze
Und setzte seine Geige an
Und geigte flott zum Tanze
Und geigte flott zum Erntebier,
Wo Rock und Schürze fliegen,
Ein letzter Triller, zart und zier,
Da muß die Großmagd liegen.
Und wieder stand der Fiedelmann
Stocksteif vorm Pastorate
Und setzte seine Geige an
Zur geistlichen Sonate.
Ein rührend Religioso sang
Von allen Himmelsschauern,
Ein schluchzender Morendogang –
Wer predigt nun den Bauern?[68]
Dann stand der fleißige Fiedelmann
Wohl auf der Herrendiele
Und setzte seine Geige an
Zu raschem, scharfem Spiele.
Das klang halb wie ein Trinklied froh,
Halb wie ein Sturm auf Schanzen,
Ein kurzes, keckes Tremolo,
Da muß der Schloßherr tanzen.
Und neulich stand der Fiedelmann
Auch vor des Schulzen Kammer
Und setzte seine Geige an
Und sang wie eine Ammer
Und sang und sang den ganzen Tag
Und sang vor tauben Ohren,
An dem, der da im Fieber lag,
Schien jede Kunst verloren.
Da trat er dicht ans Bettgestell,
Hub wütend an zu kratzen,
Doch statt des Kranken Trommelfell
Mußt ihm die Quinte platzen.
Erbost schlug er sein Saitenspiel
Aufs Haupt dem zähen Recken,
Die Geige in zwei Stücke fiel,
Der Schulze starb vor Schrecken.
Der klapperdürre Fiedelmann,
Da hockt er nun am Rande
Und leimt sein Zeug, so gut er kann,
Flickt Saiten, Steg und Bande
Und brummt, das hat man nun davon,
Dem spielt ich zu manierlich,
Jetzt lern ich Baß und Bombardon,
Die Geige ist zu zierlich.
Buchempfehlung
Im Alter von 13 Jahren begann Annette von Droste-Hülshoff die Arbeit an dieser zarten, sinnlichen Novelle. Mit 28 legt sie sie zur Seite und lässt die Geschichte um Krankheit, Versehrung und Sterblichkeit unvollendet.
48 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro