Die zierliche Geige

Ein klapperdürrer Fiedelmann

Stand unter einem Baume

Und setzte seine Geige an

Und geigte wie im Traume

Und sang ein leises Zwitscherlied,

Das rührte an die Äste,

Und als der letzte Ton verschied,

Da starb ein Spatz im Neste.


Der klapperdürre Fiedelmann

Stand unter trocknem Kranze

Und setzte seine Geige an

Und geigte flott zum Tanze

Und geigte flott zum Erntebier,

Wo Rock und Schürze fliegen,

Ein letzter Triller, zart und zier,

Da muß die Großmagd liegen.


Und wieder stand der Fiedelmann

Stocksteif vorm Pastorate

Und setzte seine Geige an

Zur geistlichen Sonate.

Ein rührend Religioso sang

Von allen Himmelsschauern,

Ein schluchzender Morendogang –

Wer predigt nun den Bauern?[68]


Dann stand der fleißige Fiedelmann

Wohl auf der Herrendiele

Und setzte seine Geige an

Zu raschem, scharfem Spiele.

Das klang halb wie ein Trinklied froh,

Halb wie ein Sturm auf Schanzen,

Ein kurzes, keckes Tremolo,

Da muß der Schloßherr tanzen.


Und neulich stand der Fiedelmann

Auch vor des Schulzen Kammer

Und setzte seine Geige an

Und sang wie eine Ammer

Und sang und sang den ganzen Tag

Und sang vor tauben Ohren,

An dem, der da im Fieber lag,

Schien jede Kunst verloren.


Da trat er dicht ans Bettgestell,

Hub wütend an zu kratzen,

Doch statt des Kranken Trommelfell

Mußt ihm die Quinte platzen.

Erbost schlug er sein Saitenspiel

Aufs Haupt dem zähen Recken,

Die Geige in zwei Stücke fiel,

Der Schulze starb vor Schrecken.


Der klapperdürre Fiedelmann,

Da hockt er nun am Rande

Und leimt sein Zeug, so gut er kann,

Flickt Saiten, Steg und Bande

Und brummt, das hat man nun davon,

Dem spielt ich zu manierlich,

Jetzt lern ich Baß und Bombardon,

Die Geige ist zu zierlich.


Quelle:
Gustav Falke: Ausgewählte Gedichte. Hamburg 1908, S. 66-69.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Droste-Hülshoff, Annette von

Gedichte (Die Ausgabe von 1844)

Gedichte (Die Ausgabe von 1844)

Nach einem schmalen Band, den die Droste 1838 mit mäßigem Erfolg herausgab, erscheint 1844 bei Cotta ihre zweite und weit bedeutendere Lyrikausgabe. Die Ausgabe enthält ihre Heidebilder mit dem berühmten »Knaben im Moor«, die Balladen, darunter »Die Vergeltung« und neben vielen anderen die Gedichte »Am Turme« und »Das Spiegelbild«. Von dem Honorar für diese Ausgabe erwarb die Autorin ein idyllisches Weinbergshaus in Meersburg am Bodensee, wo sie vier Jahre später verstarb.

220 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon