Der Tod des Perikles

[266] Führt mich hinaus! Versinkend blickt der Tag

Aus goldnen Wimpern über Salamis,

Und kühler vom Piräus weht's herauf.

Mein Auge will noch einmal, eh' es sich

Auf immer zuschließt, ruhn auf dieser Stadt;

Denn über alles hab' ich sie geliebt

Und liebe sie noch heut in ihrer Not,

Wiewohl sie mein vergaß.


O mein Athen,

Juwel von Hellas, stolze Herrscherin

Des Meers und aller Götter Liebling einst,

Könnt' ich dich, Kodrus gleich, durch meinen Tod

Vom Fluch erretten, der im fahlen Qualm

Dumpfbrütend über deinen Zinnen hängt,

Wie freudig stürb' ich! Doch es ward mir nicht

So schön vergönnt; die bleiche Stirne soll

Kein Kranz mir schmücken. Lautlos hingerafft,

Wie eine dunkle Well' im dunkeln Strom,

Versink' ich mit im allgemeinen Leid.


Weint nicht, ihr Treuen! Immer war's mein Stolz,

Daß keines Bürgers Träne jemals floß

Um meinetwillen; laßt mich diesen Ruhm

Bewahren bis ans Ende! Klagt auch nicht,

Daß dies gestählte Herz, bevor es brach,

Noch so viel Leid erfuhr. Es trifft der Gott

Mit schärfstem Pfeile, wen er einst erhöht.

Und wenn mein Phidias im Kerker starb,[266]

Wenn, der mit Milch der Weisheit mich genährt,

Geächtet floh, wenn kleiner Haß sich frech

An sie gewagt, die meine Muse war,

So wißt: ich nehm' es hin als meines Glücks

Ausgleichung, und dafern ich allzu kühn,

Verführt vom Reize des Gelingens, je

Mich überhob, als Buße meiner Schuld.


Durch meine Seele dunkel mahnend tönt

Das Lied der Eumeniden, das ich nie

Vergessen konnte. Zürnend sang es mir,

Zum Wanderstab schon greifend, Äschylus,

Als ich die Pfleger fromm erstarrten Brauchs,

Die Alten, von den Richterstühlen warf.

Vielleicht, wenn damals ich mein Herz bezähmt,

Hinausgeschoben hätt' ich diesen Tag

Und seine Not, vielleicht – vielleicht auch nicht!

Denn viel ist Schicksal, was als Tat erscheint,

Und wie der Apfel, wenn kein Wind vom Ast

Ihn schüttelt oder keine Hand ihn pflückt,

Unwiderruflich grünt und reift und – fault,

So grünt und reift und fault die Kraft des Volks,

Im Anfang herbe, dann vom milden Saft

Der Freiheit schwellend, der sie Tag für Tag

In reichrer Füll' und Zierde prangen macht,

Bis endlich dieser Saft, wenn er das Werk

Der Zeitigung vollbracht, zum Gärungsstoff

Ausartend, langsam alles Feste löst.

Wir aber sind zumal in dies Gesetz

Mit eingeschlossen, eine stille Macht

Trägt wie ein Strom uns; alles können wir,

Mit ihr verbündet, ihr zuwider nichts.

Wer sie begreift, ist weise, wer sie nutzt,[267]

Ist stark, und wer mit reinem Herzen ihr

Zu dienen weiß, ist glücklich. War ich's doch,

Und alles fiel mir zu, was herrlich heißt,

So lang ich steuern durfte mit der Flut!

Doch als ich wider ihren Schwall den Kiel

Gerichtet, ward ich machtlos fortgespült.

Denn wer bezwingt das Unabwendliche!

Der Tag der Überreife kam, es fällt

Die Pest die Geister wie die Leiber an;

Wir sind am Faulen, und das Glück ist hin.


Doch ziemt mir's nicht zu klagen. Eine Welt

Von Schönheit, aufgeblüht in Stein und Erz

Und goldner Rede, bleibt als Zeugin stehn,

Was diese Stadt vermocht, und wer ich war.

Denn hätt' ich nicht die flücht'ge Stunde kühn

Am Haar ergriffen, nicht das Farbenspiel

Der jungen Lebenssonne Strahl um Strahl

Versammelt wie in eines Spiegels Rund

Und jeder Kraft ihr höchstes Ziel enthüllt,

Wer weiß, sie hätt' in reichem Stückwerk sich

Umsonst zersplittert, und um einen Kranz

Wär' Hellas ärmer, wie zum zweitenmal

Kein Gott ihn beut. Ich hab', als ich ihn wand,

Im Augenblick Unsterblichkeit gelebt,

Und willig steig' ich drum hinab. Lebt wohl!

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 266-268.
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