FRAUENLOB

[51] In der stadt mit alten firsten und giebelbildern ·

Den schneckenbögen an gebälk und tür ·

Gemalten scheiben · türmen die an die sterne rühren ·

Mit hohlen gängen und verwischten wappenschildern ·

Bei den brunnen wann morgen und abend graut

Bei der gelächter und der wasser silbernem laut:

Ein leben voll zäher bürden

Ein ganzes leben dunklen duldertumes

War ich der herold eurer würden

War ich der sänger eures ruhmes:


Weisse kinder der bittgepränge

Mit euren kerzen fahnen bändern ·

Führerinnen der heitren klänge

In farbigen lockeren gewändern ·

Bleiche freundinnen der abendmahle ·

Patriziertöchter stolze hochgenannte

Die unter heiligem portale[52]

Die schweren kleider falten der levante –

Und habe meiner töne ganze kunst gepflegt

Für euch ihr zierden im fest- und jubelsaale ·

Herrinnen mächtig und unbewegt.


Wer von euch aber reichte mir zum grusse

Den becher und den eichenkranz entgegen

Und sagte mir dass sie mich würdig wähne

Ihr leichtes band gehorsam anzulegen?

Welche träne und welche milde busse

Gab antwort je auf meiner leier tränen?

Ich fühle friedlich schon des todes fuss.


Bei der glocke klage folgen jungfraun und bräute sacht

Einem sarg in düstrer tracht.

Nur zarte hände reine und hehre

Dürfen ihn zum munster tragen zum gewölb und grab

Mit königlicher ehre

Den toten priester ihrer schönheit zu verklären.

Mädchen und mütter unter den zähren

Gemeinsamer witwenschaft giessen edle weine

Blumen und edelsteine

Fromm in die gruft hinab.

Quelle:
Stefan George: Die Bücher der Hirten- und Preisgedichte, der Sagen und Sänge und der hängenden Gärten. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 3, Berlin 1930, S. 51-53.
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