TAGELIED

[53] Da nacht den neuen morgen noch umschattet

Und dein gemach

(Ein sichres dach)

Noch lange freuden uns gestattet:

Was soll dein leises weinen

Und dein weher blick?

– Des glückes stunden meinen

Für mich ein missgeschick.[54]


Es tröste dich mein schwur

Dass du auch fürder keusch mir bist

Und ich zu deinen füssen

Ergeben dich als engel nur

Beschauen will und grüssen ·

Dein ganzer leib mir lieb und heilig ist ·

An jedem glied

Mein haupt mit inbrunst hängt

Und mit gesenktem lid

So wie man Gott empfängt.


Und trenn ich mich für heut · für ferne fahrt:

Ich trage auf der brust verwahrt

Das seidentuch worauf dein name steht

Der mich wie ein gebet

Eh spiel und schlacht beginnen

Bestärkt und sieg mir bringt.

– O möchten dann nur meine tränen rinnen

Wann uns des wächters horn zu scheiden zwingt.

Quelle:
Stefan George: Die Bücher der Hirten- und Preisgedichte, der Sagen und Sänge und der hängenden Gärten. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 3, Berlin 1930, S. 53-55.
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