Des I. Abschnitts III. Hauptstück.
Von scherzhaften Heldengedichten.

[433] 1. §.


In allen menschlichen Dingen und Erfindungen geschieht nichts auf einmal, oder durch einen Sprung; sondern alles wird nach und nach erfunden, verbessert, und allmählich zur Vollkommenheit gebracht. Diejenigen kennen also die Wirkungsart der Natur sehr schlecht, die sich einbilden, Homer habe auf einmal das große Heldengedicht, Ilias, zuerst erfunden, und zugleich den höchsten Gipfel der Dichtkunst dadurch erreichet. Durch ordentliche menschliche Kräfte wäre solches gewiß nicht möglich gewesen: und es ist also nur gar zu wahrscheinlich, theils daß Homer in dieser Art von Heldengedichten Vorgänger gehabt; theils, daß er sich selbst in einigen kleinen Arten von epischen Gedichten geübet haben müsse, ehe er sich an ein so großes Werk gemachet. Was das erste betrifft, so bestätiget die Geschichte unsere Muthmaßungen. Orpheus, Musäus, Linus, Eumolpus, Phemius, Demodokus u.a.m.1 hatten sich schon vor ihm im Dichten hervorgethan, und mochten unter andern auch kriegerische Thaten beschrieben haben. Das andere aber lehret uns der Augenschein selbst. Denn wir[434] finden nicht nur, daß Homer verschiedene Lobgesänge auf die Götter, Apollo, Merkur, Venus, Bachus, Mars u.s.w. gemachet, sondern daß er sich auch durch ein scherzhaftes Heldengedicht vorbereitet, und geübet habe, dereinst ein größeres Werk dieser Art zu verfertigen. So ist denn die Dichtkunst nicht mit einem Sprunge von der äsopischen Fabel zum Heldengedichte, gestiegen; sondern sie hat sich allmählich und stufenweis bis auf diesen Gipfel erhoben.

2. §. Um nun dieses desto besser begreiflich zu machen, wollen wir dieses älteste spaßhafte epische Gedicht etwas näher ansehen. Er nennet es Βατραχομυομαχία, oder der Froschmäusekrieg, weil darinn erzählet wird, daß die Frösche mit den Mäusen einen schweren Krieg gehabt. Die Fabel verhält sich kürzlich so: Psicharpax, des Mäusekönigs einziger Prinz, wird von der Katze verfolget, und flieht durstig ans Wasser, wo der Frösche König, Physignatus sitzt. Dieser fraget jenen, wer er sey, und woher er komme? Der Mäuseprinz pralet mit seiner königlichen Abkunft, und seiner zärtlichen Erziehung, erzählet auch alle Leckerbissen, die er zu essen pflege; imgleichen, wie er sich vor keinem Menschen fürchte, und nur den Habicht und die Katze und die Mäusefalle zu scheuen habe. Physignatus spottet über sein leckerhaftes Maul, und sagt: auch die Frösche hätten viel wunderbares zu Wasser und Lande: weil Jupiter ihnen zweyerley Lebensart verliehen hätte. Wenn er dieses sehen wollte, sollte er sich nur seinem Rücken anvertrauen; so wolle er ihn in sein Haus führen. Psicharpax springt auf, und Physignatus schwimmt mit ihm in den See. Kaum aber läßt sich eine Wasserschlange blicken, so erschrickt dieser, taucht sich unter, und der Mäuseprinz kömmt elendiglich um. Lichopinax, sein Gefährte, der am Ufer steht, wird es gewahr, läuft nach Hause, und erzählet es den andern Mäusen. König Troxartes berufet des andern Morgens seine Stände zusammen, klaget ihnen sein Unglück, daß er seinen ersten Sohn durch die Katze, den zweyten durch die[435] Mäusefalle, und nun auch den dritten und letzten durch die Bosheit des Froschkönigs verlohren habe, und bittet um ihren Beystand. Alle stimmen ein, diesen Schimpf an den Fröschen zu rächen, und waffnen sich zum Kriege.

3. §. Als nun der Mäuse Herold kömmt, den Krieg anzukündigen, leugnet Physignatus, daß er den Mäuseprinz ermordet habe; und sagt, er habe aus Muthwillen, gleich den Fröschen, schwimmen wollen, darüber er ersoffen sey. Indessen redet er sein Volk gleichfalls an, und ermuntert sie zur Gegenwehr: worauf sich alles waffnet. Als Jupiter nun beyde Heere am Ufer ihre Lanzen schwingen sieht, wie Centauren und Riesenheere irgend thun möchten: fraget er die Götter mit Lächeln: wer von ihnen den Mäusen, oder den Fröschen beystehen wolle? Minerva sagt: sie möchte den Mäusen nicht beystehen, weil sie ihr viel Schaden gethan hätten. Es wäre auch besser, daß sich die Götter nicht darein mengeten, und sich um ihrenthalben verwunden ließen. Sie wollten der Sache lieber vom Himmel zusehen, und sich daran ergetzen: welches auch von allen Göttern beliebet wird. Darauf blasen zwo Mücken mit ihren Trompeten zur Schlacht, und Jupiter giebt vom Himmel das Zeichen eines bösen Krieges. Die Schlacht geht an, und viele Helden fallen beyderseits; bis Meridarpax, ein tapfrer Held unter den Mäusen, sich vorsetzet, das ganze Froschgeschlecht auszurotten. Jupiter erbarmet sich der Frösche, und will den Mars und die Pallas wider ihn in den Streit schicken. Mars aber versetzet, sie beyde würden den Untergang von den Fröschen nicht abwenden können: alle Götter müßten ihnen zu Hülfe ziehen. Jupiter wirft also selbst einen Blitz und Donnerkeil herab, davor beyde Heere erschrecken. Allein die Mäuse hören nicht auf, die Frösche zu metzeln. Darauf schickt ihnen Jupiter die Krebse zu Hülfe, die geharnischt, stark von Brust und Schultern, mit Scheren und acht Füßen versehen sind, über quer gehen, und mit Händen nicht gegriffen werden konnten. Diese klemmten[436] den Mäusen Schwänze, Arme und Beine ab: daher sie sich fürchteten, und auf die Flucht machten, so daß der ganze Krieg in einem einzigen Tage aus war.

4. §. Dieß ist der kurze Inhalt eines Gedichtes, welches vielen neuern und viel weitläuftigern Werken zum Muster gedienet hat. Ehe wir nun dieselben erzählen, müssen wir die Absichten und Kunstgriffe entdecken, die Homer darinn vor Augen gehabt, und angewandt hat. Ohne Zweifel hat er irgend eine kurze und lächerliche Zwistigkeit einiger kleinen Städte, oder Dörfer, die zu seiner Zeit irgendwo vorgefallen, lächerlich machen wollen. Weil die Völker klein und ohnmächtig gewesen, so hat er sie unter dem Bilde verächtlicher Thiere abbilden wollen; und die einen, die vom festen Lande waren, mit den Mäusen, die andern aber, die vieleicht Fischer und Seeleute gewesen, mit Fröschen verglichen, die mit beyden Elementen zurecht kommen können. Ihre Rüstungen beschreibt er, nach Art solcher Thiere sehr kurzweilig; ohne Zweifel, weil der wahre Streit, bey der damaligen Seltenheit eiserner Waffen, auch auf eine lächerliche Art geführet worden. Aber die Sache desto lustiger zu machen, vergleicht er sie mit Centauren und Riesen, menget auch ein Rathschlagen der Götter drein: denn nichts ist lächerlicher, als wenn große Dinge ins Kleine gemenget werden. Der Held Meridarpax, mag auch etwa einen verwegenen Großsprecher bedeuten, der sich unter den Landleuten gefunden hat; und da diesen auch ein Donnerwetter nicht furchtsam gemachet, mögen vieleicht einige geharnischte, und besser bewaffnete Leute den Fischern zu Hülfe gekommen seyn, die er spashaft als Krebse beschreibt: dadurch denn die Landleute zurückgetrieben, und der ganze Krieg geendiget worden. Die abgezielte Lehre kann seyn: daß es thöricht sey, wenn kleine Gemeinen einander über bloße Unglücksfälle, in die Haare gerathen, und einander gar zu Grunde richten wollen.[437]

5. §. Ich muthmaße dieses alles, aus der innern Beschaffenheit dieses Gedichtes, und der Voraussetzung: daß ein so großer Geist, als Homer, auch bey diesem anscheinenden Spielwerke, nicht bloß Possen treiben; sondern unter einem, obwohl lächerlichen Bilde, doch etwas ernsthaftes habe vorstellen wollen. Seine Art ist es sonst allemal, lehrreiche Fabeln zu dichten: und warum sollte er hier davon abgewichen seyn? Es ist wahr; man findet bey den Alten keine Nachricht von einer solchen Begebenheit. Allein wie kann mans fodern, daß lange vor Herodots Zeiten, als noch keine Geschichtschreiber waren, Begebenheiten von so geringer Wichtigkeit, als die Schlägerey von ein paar Dörfern, sollte aufgezeichnet worden seyn: da wohl viel wichtigere Thaten keinen Schriftsteller gefunden haben? Will indessen jemand durchaus ein bloßes Spielwerk daraus machen: so werde ich darüber nicht zanken, und einem jeden seine Meynung lassen? Genug, daß auch ein solches Spielwerk der homerischen Muse lehrreich ist, und in Nachahmungen zu ernsthaften Absichten dienen kann; ja wirklich oft gedienet hat. Beyläufig will ich nicht unerinnert lassen, daß, nach dem Suidas, von einigen die Batrachomyomachie dem Pigres, oder Tigres, einem Bruder der Artemisia, zugeschrieben worden; wie denn auch Henrich Stephan bezeuget, daß er auf einer Abschrift dieses Gedichtes den Namen PIGRETI, oder TIGRETI CARI, geschrieben gefunden. Allein eine Schwalbe, macht keinen Sommer, und die allgemeine Meynung ist vorzuziehen. Ein gewisser Elisius Calentius, hat, so wohl als Smetius, dieß Gedicht in lateinische Verse gebracht.

6. §. Indessen ist es zu bewundern, daß unter einer so unglaublichen Menge griechischer Poeten, als le Fevre und Vossius uns beschrieben haben, kein einziger den Homer in diesem Stücke nachahmen wollen. Denn die GALEOMYOMACHIAM, die in DORNAVII AMPHITHEATRO SAPIENTIÆ SOCRATICÆ JOCOSERIÆ steht. kann ich deswegen hieher nicht[438] rechnen, weil sie ein dramatisches Stück ist. Selbst von den Lateinern hat sich so eigentlich niemand in dieses Feld gewaget. Denn wenn gleich Virgil in seiner Jugend, um sich zum Heldengedichte vorzubereiten, ein Gedicht auf die Mücke, und ein anders, auf den Vogel CIRIS, den einige für eine Lerche, Scaliger aber, für eine Art von Reyger halten, gemachet: so kann man sie doch nicht eigentlich in dieses Fach ziehen. Das erste beschreibt nämlich einen schlafenden Schäfer, zu dem sich eine Schlange nähert, ihn zu stechen. Die Mücke sieht das, und will ihn davor warnen, sticht ihn also in den Backen; daß er davon erwachet. Der Schäfer ist böse über diesen Stich, und erdrücket die Mücke; wird aber sogleich die grausame Schlange in der Nähe gewahr, die er sich eifrig vom Halse schaffet; und darauf von neuem wieder einschläft. Die Seele der erschlagenen Mücke erscheint ihm hier im Traume, und rücket ihm seine Ungerechtigkeit vor, da er sie um ihrer wohlgemeynten Warnung wegen erschlagen; und erzählet ihm alles, was sie im Reiche der Todten, und den elysischen Feldern angetroffen: da denn die alten römischen Helden nach der Länge erzählet werden. Der Schäfer erwachet, erkennet sein Unrecht, und richtet der Mücke ein schönes Grabmahl von Rasen auf, dabey er allerley Blumen und schöne Stauden pflanzet. Die CIRIS aber ist nichts anders, als eine Erzählung, wie des Königes Nisus Tochter, die Scyl la, in einen Vogel verwandelt worden. Dieses ist also freylich wohl ein kleines episches, aber kein scherzhaftes Gedicht zu nennen, es wäre denn, daß man die ovidischen Verwandlungen alle auch so taufen wollte.

7. §. Die Ehre also, Homers Nachahmer in diesem Stücke zu werden, ist im XVten Jahrhunderte unserm Landsmanne, Hinrick von Alkmar aufgehoben gewesen, der uns Reinicken den Voß, in plattdeutschen, oder sächsischen Knittelversen geliefert hat. Ich weis wohl, daß man eine lange Zeit geglaubet, wie aus Rollenhagens Vorrede zum[439] Froschmäuseler, und Morhofs Tractate, von der Deutschen Sprache und Poesie erhellet, Baumann, ein Professor in Rostock, habe dieses Gedicht geschrieben, und 1522. zuerst ans Licht gestellet. Allein der Irrthum ist entdecket worden, als die erste Ausgabe dieses Werkes einem gelehrten Manne zu Helmstädt in die Hände gefallen, der 1709. in einer akademischen Einladungsschrift die beste Nachricht davon gegeben. Da hat sichs nun gewiesen, daß dieselbe bereits 1498. zu Lübeck in 4. herausgekommen, und daß der Verfasser in der Vorrede so von sich geschrieben: Ick Hinreck von Alkmer, Scholemester vn tuchtlerer des eddelen dogentlicken Vorsten vn Heren, Hertogen von Lotryngen, umme bede wyllen mynes gnedigen Heren, hebbe dyt geghenwerdige Boeck uth walscher vn französescher Spracke gesocht, vn vmmgeset in dütsche Spracke, to dem Lawe vn to der Ere Gades, vn to heylsamer Lere der, dei hirynne lesen, vn hebbe düt sülve Boeck gedeelet in veer part. vn hebbe by yglick capittel gesett eyne korte Utlegginge vn Meinninge des selvsten poeten, vmme to verstaen den rechten sin des capitels. Ob nun wohl dieser Dichter sich nur für einen Uebersetzer ausgiebt: so ist doch das französische Original in Frankreich nirgends zu finden: und es kann gar wohl seyn, daß er sich bloß dieses Vorgebens bedienet habe, um selbst nicht wegen des Inhalts zur Rede gesetzet, oder zur Verantwortung gezogen zu werden. Zu Wolfenbüttel hat man indessen 1711. in 4. diese alte Lübeckische Ausgabe aufs genaueste nachgedrucket, unter dem Titel: REINEKE DE VOSS MIT DEM KOKER, d.i. Köcher, wegen des im Anhange beygefügten Gedichtes, das diesen Namen führet.

8. §. Sollen wir also von Baumannen unsere Gedanken sagen: so hat er zwar sehr wohl gethan, daß er eine neue Auflage dieses so trefflichen und sinnreichen Werkes veranstaltet; auch viel schöne Auslegungen und Zeugnisse, aus dem [440] Renner, Freydanken, Morsheimen, Sebastian Branden, Schwarzenbergen, dem Memorial der Tugend, u.a.m. beygefüget. Allein er verdienet auch eben so viel Tadel, daß er 1.) die alte Schreib- und Mundart des Verfassers, nach seiner meklenburgischen Sprache geändert, wie man aus der Gegeneinanderhaltung beyder Ausgaben sehen kann. 2.) Daß er die Vorrede des Verfassers, und so gar seinen Namen weggelassen, und sich also stillschweigend für den Urheber desselben ausgegeben. Denn ob er wohl in den Auslegungen von dem Dichter des Buches allezeit in der dritten Person redet, und ihn Poeta nennet: so scheint doch solches nur eine Bescheidenheit zu seyn; weil er nirgends den Namen desselben mit einfließen lassen, und ihn also recht sorgfältig verschwiegen hat.

9. §. Indessen war dieß Werk kaum etwas bekannter geworden, als man es um die Wette überall nachgedrucket, übersetzet und wieder aufgeleget hat. Ich besitze selbst eine plattdeutsche Auflage von 1549. wie auf dem letzten Blatte steht; ungeachtet es am Ende des Registers heißt: Gedrückt tho Rostock, dorch Ludowich Dietz M.D.L. IIJ. in 4. imgl. eine in 8. von 1575. zu Frf. am M. gedruckt; ferner eine hochdeutsche in Fol. die 1545. zu Frankf. am Mayn bey Cyr. Jacobi zum Bock, unter dem Titel, der ander Theil des Buches Schimpf und Ernst etc. und eine lateinische, die 1595. zu Frf. am M. von Hartmann Schoppern, unter dem Titel, SPECULUM VITÆ AULICÆ, in 12. ans Licht gestellet worden. Außer diesen bediene ich mich auch der Wolfenbüttelischen von 1711. anstatt des Originales. Die holländische Dollmetschung ist mir nie vorgekommen: die hochdeutsche aber ist sehr ungetreu; so, daß Laurenberg noch zu wenig gesagt, wenn er geschrieben:


Man hefft sick twar toomartert dat Boeck tho bringen

In hockdütsche Sprack, man it wil gantz nich klingen:

It klappet gegen dat Original tho recken,[441]

Als wenn man plecht een Stück vul holt tho brecken;

Edder schmit eenen olen Pot gegen de Wand;

Dat makt, dewyl velen yß onbekant,

De natürlicke Eegenschop dersülven Rede,

Welke de angebohrne Zierlichkeit bringet mede.


10. §. Ich will mich hier dabey nicht aufhalten, daß ich die Veranlassung und das wahre Urbild des Reinike, als des Haupthelden dieses lustigen Buches, aus den Geschichten zeige. Dieses soll zu seiner Zeit in einem andern Werke geschehen. Hier ist genug zu sagen, daß der Verfasser die Eigenschaften eines scherzhaften epischen Gedichtes sehr schön eingesehen, und beobachtet hat; obgleich er keine kriegerische That zu beschreiben hatte. War nämlich Homers Froschmäusekrieg, der Ilias zu vergleichen: so ist dieses Scherzgedicht der Odyssee ähnlicher, indem es uns das Hofleben unter einem sehr lebhaften Bilde darstellet. Es hat auch destomehr Schönheiten in sich, je weitläuftiger es ist, und je mehr Verwirrungen, listige Streiche, Lügen und Ausflüchte der Fuchs anbringt, um zu seinem Zwecke zu gelangen. Er erhält denselben endlich, aller seiner Uebelthaten ungeachtet, dennoch recht glücklich, und wird des Königes Kanzler, oder erster Minister, und triumphiret also über seine Feinde, die ihn vorher schon auf die Galgenleiter gebracht hatten. Hier ist die Einigkeit der Handlung, nach Ueberwindung aller Schwierigkeiten, recht nach dem Muster der Odyssee und der Aeneis beobachtet; wie wir im folgenden Hauptstücke hören werden. Seine Personen aber sind lauter Thiere, die zwar nach menschlicher Art, auf gut äsopisch redend und handelnd eingeführet werden; gleichwohl aber sich ihren bekannten Naturen und Charakteren nach verhalten. Alles dieses nun kömmt so spaßhaft heraus, als irgend ein andres scherzhaftes Werk; und ist darzwischen mit den herrlichsten Sittensprüchen angefüllet: so daß der angezogene Laurenberg mit allem Rechte sagt:[442]


In weltlycker Wyßheit ys keen Boeck geschrewen,

Dem men billick mehr Rohm vn Loff kan geven,

As Reinke Voß: een schlicht Boeck, darinne

To sehnde ys een Spegel hoger Sinne,

Verstendicheit in dem ringen Gedicht,

Als een dürbar Schat verborgen licht,

Glyck als dat Füer schulet in der Asche,

Un güldne Penninge in eener schmerigen Tasche.


11. §. Fast auf eben den Schlag hat sich Rollenhagen in seinem so betitelten Froschmäuseler verhalten. Es ist wahr, und er gesteht es in der Vorrede selbst, daß er den Grundstoff dazu aus Homers Batrachomyomachie genommen, darüber er als ein Student 1566. zu Wittenberg Prof. Windsheimen lesen gehöret. Als aber dieser gelehrte Mann seine Zuhörer angefrischet, dieses und andere dergleichen Stücke der Alten ins Deutsche zu bringen, ja wohl gar weiter auszuführen; habe er sich daran gemachet, und seines Lehrers Beyfall erhalten. Nachdem er es nun viele Jahre liegen lassen, sey er endlich aufgemuntert worden, es ans Licht zu stellen; welches er auch endlich 1595. gethan. Es kam also zuerst zu Magdeburg 1594. in 8. heraus, welche Ausgabe ich selbst besitze; ist aber nachmals öfters, und noch 1730. zu Dresden auf Veranstaltung Herrn Hofrath Müldeners, meines werthen Freundes, wieder aufgeleget worden. Was der Inhalt desselben sey, kann man aus dem weitläuftigen Auszuge des homerischen Froschmäuselers schon erkennen: allein da dieser kaum drey hundert Verse lang ist; so ist Rollenhagens seiner ein Buch von ein paar Alphabethen beworden; so viel hat er von seinem eigenen hinzugesetzet. Der Witz, womit er es gethan, und das satirische trockene Wesen im Ausdrucke, ist auch untadelich: ja selbst an der Sittenlehre ist nichts auszusetzen. Nur darinn hat er das rechte Maaß überschritten, daß er sowohl den Mäuseprinz Bröseldieb, als den Froschkönig [443] Pausback, gar zu geschwätzig gemacht hat. Denn sie erzählen einander ohne Maaß und Ende alle mögliche Fabeln von Mäusen, Füchsen, Vögeln, Fröschen, und andern Thieren; so daß man darüber die Geschichte, als das Hauptwerk ganz aus den Augen verliert. Es ist wahr, daß alles sehr lehrreich ist, und sonderlich das Hofleben, die Staatskunst, ja gar das Pabstthum und die Glaubensreinigung sehr lebhaft abschildert. Allein zwey Drittheile des Buches mit so weitgesuchten Dingen anzufüllen, und kaum das letzte Drittheil zur Hauptfabel zu brauchen; das ist, meines Erachtens, über die Schnure gehauen. Sonst ist aber nichts angenehmer zu lesen, als dieser Froschmäuseler.

12. §. Ich habe den Froschmäuseler vorangesetzet, weil er eher verfertiget worden, als folgendes; ungeachtet dieses etliche Jahre eher ans Licht getreten ist. Es ist der Muckenkrieg, ein artig poetisches Gedicht, wie die Mucken, neben jren Consorten, sich wieder die Amaysen und jren Beystand zu Felde gelagert, auch endlich zu beiden teilen ein starkes treffen, vnd grewliche schlacht miteinander gehalten haben; in III. Bücher abgetheilet, 1580. gedruckt zu Schmalkalden, bey Michael Schmuck. Der Verfasser gesteht in der kurzen gereimten Vorrede, wobey er sich H.E.F. nennet, daß er diesen Krieg aus dem Gedichte eines sogenannten COCALII, das in einem mit Wälsch untermengtem Lateine geschrieben gewesen, nur verdeutschet habe. Es ist also keine ursprünglich deutsche Geburth, aber schon werth, daß sie auch in der Uebersetzung gelesen werde. Es ist sehr spaßhaft, und voller Sittenlehren; beobachtet auch die Wahrscheinlichkeit seiner kriegenden Völker und Helden sehr schön. Ich würde auch ein anders, welches den Titel führet: Flöhhatz, Weibertratz, von Hultrich Elloposcleron, (d.i. Fischarten) beschrieben, welches 1594. in 8. herausgekommen; imgleichen, die so betitelte Erbermliche Klage der lieben Frau Gerste, und ihres Brudern Herrn Flachs, angehöret, und zu Papier bracht von Andreas Tharäus,[444] Pfarrern, 1609. 8. hier erwähnen müssen, wenn dieses nicht vielmehr poetische Gespräche wären. Eben dahinge hören Rebmanns Gespräch von Bergen und Bergleuten, und ein noch älteres, der Bauren Reichstag betitelt; die aber auch mehr ins ernsthafte Fach, als ins lustige zu stellen sind. Ja selbst nicht alles Lustige in Versen, kann hier einen Platz finden; wie denn z.E. weder des Esels Adel, und der Sau Triumph, noch das Lob Niemands, die ich in Dornaus oberwähntem AMPHITHEATRO finde, unter die Zahl epischer Gedichte zu zählen sind.

13. §. Wir müssen uns also zu den Ausländern verfügen, die uns gleichfalls, wiewohl in neuern Zeiten dergleichen spaßhafte Heldengedichte geliefert haben. Der älteste davon ist Alexander Tassoni, ein Modeneser, der 1611. in wenig Monathen seine SECCHIA RAPITA, oder den geraubten Eimer geschrieben, und ihn 1622. zuerst ans Licht gestellet, um einen Krieg zu verspotten, der damals zwischen den Städten Modena und Ferrara geführet worden. Zwar Crescimbeni zweifelt, ob er diesem, oder einem andern wälschen Dichter Franz Bracciolini, die Erfindung der heroisch-komischen Schreibart zuschreiben soll; deren dieser seinen SCHERNO DE GLI DEI, zwar vier Jahre später herausgegeben, aber viel Jahre eher gemacht hat. Uns kann das gleichviel gelten; da unsere Landsleute lange vor ihnen dergleichen komische Heldengedichte gemachet. Hierauf folgete in England Samuel Buttlers Hudibras; ein spaßhaftes Gedicht, welches er zur Zeit der Kromwellischen Händel geschrieben, um die fanatischen Katzenkriege der damaligen bürgerlichen Verwirrungen lächerlich zu machen. Es trat selbiges zuerst in der Hälfte des vorigen Jahrhunderts ans Licht: und 1663. erschien schon eine Nachahmung unter dem Titel, THE SECOND PART OF HUDIBRAS. Allein so wohl diese, als andere Versuche von dieser Art wiesen, daß er unnachahmlich sey. König Karl der II. soll auch dieß Gedicht so fleißig gelesen haben, daß ers fast auswenig gekonnt. Buttler[445] starb 1680. Ich besitze die Londener Ausgabe von 1704. in gr. 8. Es ist artig, daß er eben so in drey Theile abgesondert ist, als unser Froschmäuseler. Der Versuch einer deutschen Uebersetzung, den man in Zürch gemachet hat, ist sehr schlecht und ungetreu gerathen.

14. §. Nunmehr folget Boileau Despreaux mit seinem Lutrin, oder Pulte, den er im 1674. Jahre verfertiget hat, um einen Zank zu verspotten, der sich zu Paris in der heiligen Capelle 1667. zwischen dem Schatzmeister derselben Claudius AUVRY, gewesenen Bischofe von Coutance in Normandie, und dem Cantor daselbst, Jacob Barrin, der von gutem Hause war, zugetragen hatte. Die Zänkerey war von keiner Wichtigkeit, aber der Poet beschreibt sie auf die ernsthafteste Art von der Welt, und eben dadurch macht er sie lächerlich. Ich habe in den Schriften der deutschen Gesellschaft allhier den ersten Gesang davon verdeutschet, und werde vieleicht noch das übrige hinzuthun. Hieher gehören auch des Füretiere HISTOIRE DE LA GUERRE DERNIEREMENT ARRIVÉE DANS LA ROYAUME DE L'ELOQUENCE, und eines andern NOUVELLE ALLEGORIQUE, DE LA GUERRE ENTRE LES ANCIENS ET LES MODERNES, ob sie gleich nur in ungebundener Rede geschrieben sind. Endlich hat sich Alex. Pope, noch mit seinem Lockenraube, (THE RAPE OF A LOCK) als einen Meister in dieser Art von Gedichten erwiesen; davon ich destoweniger sagen darf, da die deutsche Uebersetzung meiner Freundinn es in Deutschland bekannt genug gemachet hat. Auch seine Dunciade gehört in diese Zahl, womit er die Menge unvernünftiger Feinde, die ihn ohne Unterlaß mit Schand- und Lästerschriften anbelleten, auf einmal abfertigte. Wo bleibt noch Scarrons Gigantomachie, nebst seinem VIRGILE TRAVESTI? imgleichen die HENRIADE TRAVESTIE, davon man im Neuen Büchersaale der schönen Wissenschaften einen Auszug finden kann; und womit man dem Herrn von Voltaire diejenige Ehre angethan, die dort dem Virgil wiederfahren war? Endlich muß ich auch die[446] Quenellomachie nicht vergessen, die 1741. in Amsterdam herausgekommen, und worinn die Geschichte der Constitution Unigenitus auf eine spaßhafte Art erzählet worden.

15. §. Man denke indessen nicht, daß unsere Deutschen in neuern Zeiten in diesem Stücke saumselig zurückgeblieben. Nein, sie haben sich seit zehn Jahren (ich schreibe dieß 1751.) nicht minder geschickt darinn gewiesen, als die Ausländer. In den Belustigungen des Verstandes und Witzes I. Bande a.d. 49. S. steht der deutsche Dichterkrieg angefangen, und wird in den folgenden Bänden fortgesetzet: der zwar nur in ungebundener Rede, aber doch in poetischer Schreibart abgefasset ist; und dabey es nur schade ist, daß ihn der Verfasser nicht zum Ende gebracht. Im II. Bande a.d. 224. und 354. S. steht das Meisterspiel im Lombre; das ebenfalls hieher gehöret, ob es gleich in ungebundener Rede geschrieben ist. Im IV. Bande a.d. 71. 283. und 551. S. steht der Dieb, ein episches Gedicht. Im VI. Bande auf der 47. 172. 244. 338. 428 und 525. S. ist der Renommist, ein komisches Heldengedicht in Versen anzutreffen; und auch einzeln ist in Berlin 1741. die Tänzerinn auf diese Art beschrieben worden. Alle diese Stücke haben nun zur Gnüge gewiesen, daß es unsern Landsleuten an Witz und Geschicklichkeit nicht fehle, dergleichen witzige und scherzhafte Dinge auszuführen, wenn sie sich darauf legen wollen. Hier sind nicht etwa schwache Nachahmungen der Ausländer, oder knechtische Uebersetzungen, sondern wirkliche Originale vorgekommen, deren jedes seine eigenen Schönheiten hat; gesetzt, daß sie einander an Vollkommenheit nicht gleich kämen. Wenigstens haben sie die Fehler eines Tassoni und Buttlers nicht an sich, daß sie nämlich einen schmutzigen und niederträchtigen Ausdruck brauchen. Der heutige geläuterte Geschmack unserer Deutschen, leidet keine Unflätereyen oder Zoten; seit dem sich wohlgesittetere Dichter und Kunstrichter gefunden haben, als es zu des Froschmäuselers und Rachels Zeiten gegeben.[447]

16. §. Ich habe mich so lange bey dem historischen Theile dieses Hauptstückes aufgehalten, daß ich nun bey dem dogmatischen desto kürzer werde seyn können. Gute Beyspiele vertreten nämlich die Stelle unzähliger Regeln: und ich glaube Anfängern einen weit sicherern und angenehmern Weg gewiesen zu haben, indem ich ihnen die besten Muster großer Meister angepriesen habe; als wenn ich ihnen ein dickes Buch tiefsinnig ausgedachter und gründlich erwiesener Regeln vorgeschrieben hätte. Wer von Natur keinen Witz zum Scherzen hat, der lernet es doch durch alle Anleitungen nicht: in wem aber nur die Funken eines feinen Geistes verborgen liegen, der wird weit besser durch die Kraft rührender Meisterstücke, als durch trockene Vorschriften aufgewecket. Um aber doch einen Anfänger nicht ohne alle Regeln zu lassen, und dieselben auch aus den rechten Quellen herzuleiten, müssen wir uns erst einen deutlichen Begriff von einem komischen Heldengedichte machen. Aus Betrachtung der obigen Exempel erhellet so viel, daß selbiges die Nachahmung einer lächerlichen That sey, die der Dichter in eine solche Erzählung einkleidet, daraus das Auslachenswürdige derselben auf eine spaßhafte und doch lehrreiche Art erhellet. Ich darf diese Erklärung nicht weitläuftig rechtfertigen. Der allgemeine Begriff der Dichtkunst, daß sie eine Nachahmung sey, herrschet auch hier billig. Die That oder Handlung muß lächerlich, das ist, ungereimt aussehen, ohne sehr schädlich zu seyn. Diese muß, vermittelst einer spaßhaften Erzählung, so sinnlich gemachet werden, daß die Leser dadurch belustiget und belehret werden; und also Lust und Nutzen, als der Zweck eines wahren Dichters, daraus entstehe.

17. §. Das erste also, was ein komischer Heldendichter zu thun hat, ist die Wahl der That, oder Handlung, die er besingen will. Diese kann entweder wirklich vorgefallen seyn, und dann ist es desto besser; oder er kann sie selbst erdichten. Gesetzt aber, er er dichtete sie, so muß doch etwas[448] wahres dabey zum Grunde liegen. Denn gesetzt, der meiste Theil der Leser wüßte nichts von dem geraubten Wassereimer, von der Zänkerey der Geistlichen über den Pult im Chore, oder von der abgeschnittenen Haarlocke der Belinde, u.d.m. so ist es doch für die, so es wissen, desto lustiger; und der Dichter selbst hat aus der Wahrheit und Verschiedenheit der Umstände viele Vortheile und Hülfsmittel, seine Fabel desto lebhafter zu schildern. Tassoni, Boileau und Pope haben also mit Fleiß etwas wirklich geschehenes besingen wollen; und eben so hat es Heinrich von Alkmar in Reineken dem Fuchse gemachet. Scarron und Rollenhagen aber haben alte Fabeln zum Grunde gelegt, und dieselben als Geschichte angesehen, darauf sie, als auf Wahrheiten bauen könnten. Andere haben nicht minder etwas wirklich geschehenes, oder mehr als einerley im Sinne gehabt, ob wir es gleich nicht allemal wissen. Diese That nun darf eben nichts großes und wichtiges; sondern soll vielmehr an sich etwas kleines und lächerliches seyn. Denn wenn etwa ein Bauerdorf mit einem Fischerdorfe in ein Handgemenge gerathen, welches Homer in der Batrachomyomachie beschreiben wollen; oder der schlaue Hofmann Reinald einen König von Frankreich seiner Zeit betrogen und geäffet, welches zum Reineke Fuchs Anlaß gegeben; oder ein paar Städte einander einen Eimer weggestohlen, u.s.w. so sind dieses an sich lächerliche Dinge, die ein Dichter, als lächerlich nachzuahmen, oder zu beschreiben suchet. Und hier könnte es auch wohl kommen, daß ein Poet eine Sache von einer gewissen Seite als lächerlich ansehen und zeigen könnte, die vielen andern als ernsthaft vorgekommen wäre. Hierinn ist der Grund von den lustig eingekleideten ernsthaften Heldengedichten Virgils und Voltairens zu suchen.

18. §. Ist nun die Wahl dergestalt geschehen: so muß man sich entschließen, ob man eine thierische, oder menschliche Fabel daraus machen will. Das erste haben Homer, und von Alkmar, nebst dem Rollenhagen, imgleichen der[449] Verfasser des Mücken- und Ameisenkrieges gethan: das letztere aber haben die andern komischen Heldendichter erwählet. Beydes ist gleichgültig, und des Spaßhaften fähig, wenn der Dichter nur sein Handwerk versteht. Zuweilen hat eins, zuweilen das andere seine Vortheile. Bey dem ersten klingt das schon zuweilen lächerlich, wenn man Thiere nach menschlicher Art reden und handeln läßt; z.E. die Bewaffnung der Mäuse und Frösche, im Homer, der es ihnen weder an Stiefeln noch Harnischen, weder an Sturmhauben, noch Schilden und Spießen fehlen läßt. Rollenhagen läßt gar die Mäuse noch von ausgehöhlten Kürbsen eine Flotte ausrüsten, u.d.gl. Im zweyten Falle fällt dieses Lächerliche zwar weg; aber die Wahrscheinlichkeit gewinnet destomehr. In beyden Fällen aber besteht das Lustige hauptsächlich darinn, daß man von kleinen Sachen, große und erhabene Redensarten und Gleichnisse; von großen aber kleine brauchet. So vergleichet Homer die Scharmützel seiner Mäuse und Frösche, mit dem Kriege der Centauren, und dem Aufruhre der Riesen gegen die Götter; und Pope den Zank seiner Belinde und des Edelmanns, der ihr die Locke abgeschnitten, mit dem Kriege vor Troja, in den sich alle Götter und Elemente gemischet. Doch darf die Schreibart, aus eben dem Grunde nicht allemal gleich seyn. Es kann hier, ohne Bedenken, das Hohe mit dem Niedrigen, das Ernsthafte mit dem Lustigen, und die wichtigste Sache mit der geringsten Kleinigkeit vermenget werden. Z.E. Pope:


Puder, Schönfleck, Liebesbrief, Bibel, alles liegt beysammen,


Imgleichen:


Eher mag doch Luft und See, und der ganze Ball der Erden.

Mann und Aff und Papagey, Katz und Hund zum Chaos werden!


19. §. Ein wichtiger Punct ist noch übrig, was nämlich die sogenannten Maschinen, oder das Wunderbare anlanget. Man versteht dadurch den Beystand der Götter, oder anderer[450] übermenschlichen geistlichen Wesen, welchen sie denen im Handeln begriffenen Menschen oder Thieren leisten. Homer hat den Jupiter mit allen Göttern über die Drohung des Mäusehelden Meridarpax, rathschlagen lassen; ja er schlägt wirklich mit Blitz und Donner drein, um die Mäuse zu schrecken; so wie er sonst die Riesen vom Himmel zurück geschlagen. Pope hat dagegen die Sylphen und Gnomen, das ist, die Luft- und Erdgeister des Grafen von Gabalis, auf eine sehr spaßhafte Art in sein Gedicht gemenget, um es desto wunderbarer zu machen. Boileau mischet die Zwietracht, als eine Göttinn, in seine Fabel, vom Pulte; und eben so ist im deutschen Dichterkriege Eris mit im Spiele. Auf gleiche Weise könnte ein Dichter im Deutschen entweder einen Alp, oder Poltergeist, einen Wassernix, oder ein Bergmännchen; oder doch sonst eine allegorische Gottheit, aus der Zahl der Laster und Tugenden, in eigener, oder fremder Gestalt erscheinen lassen. Dieses geschieht nun billig in dem eigenen Charakter jeder solcher Person, und dadurch erlangen auch Kleinigkeiten ein größeres Ansehen. Man darf auch in solchen scherzhaften Sachen eben nicht gar zu bedachtsam damit umgehen: nein, auch unnöthige und überflüssige Maschinen werden hier billig geduldet; wie z.E. Umbriel im Lockenraube ist.

20. §. Was die Schreibart solcher komischen Gedichte betrifft, so ist freylich die poetische besser, als die ungebundene: wählet aber jemand diese, so muß er sie doch mit vielen poetischen Ausdrückungen zu zieren wissen. Was die Verse betrifft, so können sie entweder alte Knittelverse seyn, wie im Reinicke Fuchs, oder Froschmäuseler; oder wie im Hudibras, im Scarron, in der Quenellomachie, und der umgekleideten Henriade: oder sie können auch ordentlich seyn, wie in der SECCHIA RAPITA, im Pulte und Lockenraube. Es kömmt auf die Wahl des Dichters an; nur muß er das, was er machet, recht in seiner Gewalt haben. Wer sich nicht den rechten Geschmack der alten Knittelverse im Lesen[451] alter Poeten erworben hat, der bleibe lieber bey den neuern Versen. Ich kenne nur einen Dichter in Deutschland, den Herrn Hofr. Müldener in Dresden, der uns dergleichen glückliche Proben geliefert hat. Hier fällt mir erst ein, daß auch der Herr von Hollberg in dänischer Sprache ein solch komisches Gedicht von Peter Paars geliefert, welches man unlängst auch verdeutschet hat. Ich habe es noch nicht gelesen, kann also nichts davon sagen. Wer eine genauere Oekonomie des innern Wesens solcher Fabeln wissen will, der muß das folgende Hauptstück mit durchlesen. Hier verlohnte sich die Mühe nicht, die ganze Verfassung epischer Gedichte noch vollkommener zu erklären.


1

Vossius in seinem Tractate DE POETIS GRÆCIS will zwar nicht zugeben, daß es ältere griechische Dichter, als Homer, oder Hesiodus, gegeben: indessen erkläret er sich so, daß er solche meyne, deren Schriften noch übrig wären. Dieß kann man ihm zugeben: aber daß es viele andere gegeben, beweiset der Verfasser des engl. Buches THE LIFE OF HOMER. LOND. 1703. in gr. 8. und Pope in seinem Leben Homers, siehe die deutsche Uebersetzung meiner Freundinn in den auserles. St.

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 6,2, Berlin und New York 1968–1987, S. 452.
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