Der Fürstenbund

[295] Zwei Bundesheere lagern bei Terouanne im Feld,

Dorthin hat ihre Zelte Franzosenhaß gestellt;

Ha, wie da Englands Banner die Lüfte züngelnd leckt,

Und Deutschlands Doppeladler die mächt'gen Flügel streckt!


Der Rhein trennt Deutsch' und Franken. Ei, Deutscher, welch Wunderpferd

Trug kühnen Sprungs hinüber dich und dein Racheschwert?

Haß war der kühne Springer, das schwarze Flügelroß!

Und weiter fliegt nur Liebe, die Taube mit grünem Sproß.


Ein Meer trennt Franken und Britten. Wer hat die Brücke gespannt,

Drauf Englands eh'rne Heere hinziehn ins Franzenland?

Haß nennt sich der Brückenmeister, der bändigt Strom und Belt,

Und Größ'res baut nur Liebe, seht ihren Dom, die Welt!


Vor's Lager hinaus lustwandelt der Völker Fürstenpaar,

Heinrich, der junge Britte, und Max, schon grau von Haar;

Vor ihren Blicken dehnt sich, wie 'n See, so weit und glatt,

Die Ebne von Terouanne fernhin bis Guinegat'.
[295]

Talbot schritt neben Heinrich, als hätt' am Himmelszelt

Sich Mars, das blut'ge Sternbild, zum hehren Mond gesellt;

Kunz von der Rosen wallte zur Seite seinem Herrn,

Wie mit dem Sonnengotte der heitre Morgenstern.


Max blickte ringsum sinnend; da ward sein Herz so weich:

»Wie ist im Leben Alles so alt und neu zugleich!

Hier kämpft' ich vor dreißig Jahren, – es war mein erster Sieg!

Hier führ' ich morgen die Schaaren, – wohl wird's mein letzter Sieg!


Seht dort der Veste Bollwerk, die Warten, Thurm und Thor

Und hier die weiten Fluren, noch ist dieß Alles wie vor;

Der Luft und Erden Antlitz ist noch wie's damals war,

Nur größer ward der Kirchhof, und bleicher ward mein Haar.


Und doch, wie anders Alles! Manch neu Geschlecht entstand,

Der Herbst hat oft gemähet, der Lenz besät das Land,

Die Luft hat gestürmt und gesäuselt, die Sonn' erlosch und schien,

Der alte Haß nur schreitet noch durchs Gefilde hin!«


Da fiel ins Wort ihm Heinrich: »Vergiß die Liebe nicht!

Sie ist's, die unsre Arme zu festem Bunde flicht;

O lasse fort ihn dauern in ferne ew'ge Zeit!«

Da drückte Max ans Herz ihn: »Ja, Bruder, in Ewigkeit!«


In feierlichem Schweigen stand jetzt das Fürstenpaar,

Es schwieg der ew'ge Aether, so tief und blau und klar,

Es schwiegen rings die Fluren, so eben und so weit,

Gleichwie ein stummes Echo des Wortes: Ewigkeit!


Denkt euch in den Dom, wo leise des Hochamts Orgel verhallt

Und feierlich beim Sanctus wie Frühlingssäuseln wallt.

Nun nies't dazwischen Einer, daß tief der Dom erbebt!

Wohin ist die Verklärung, die zu den Sternen schwebt?
[296]

So zuckt jetzt Kunz und blinzelt und zieht die Stirne kraus,

Gern drängt' er's noch zurücke, umsonst, es muß heraus!

Da schüttelt er laut klingend den Schellenhut am Haupt:

»Ihr Herrn, laßt mich doch hören, wie alt ihr mich wohl glaubt!«


»Zu alt, zweibein'ge Thorheit, um je zu werden klug,

Und doch zu jeder Stunde zum Hängen alt genug!«

So schnarrte Kunzen grimmig der derbe Talbot an,

Doch freundlicher und milder sprach König Heinrich dann:


»Auf das Geweih dem Hirsche, dem Gaule auf den Zahn,

Dem Menschen schrieb aufs Antlitz Natur sein Alter an;

Kind! schrieb sie auf die Stirne, Mann! auf die Wange dir,

Liegt Wahrheit in der Mitte? Sprich, Freund, wem glaub' ich hier?«


Drauf Kaiser Max mit Lächeln: »Spricht unser Sprichwort wahr,

So soll der Mensch sich ändern nach jedem siebenten Jahr;

Doch du, seit ich dich kenne, bist immer Narr geblieben,

Drum mein' ich stets, du zählest der Jahre noch nicht sieben.«


»Ei, wie ihr schmeichelt! Ich zähle mehr als zweihundert doch!

Die Bünde von Blois und Cambray, die überlebt' ich noch!

Geschlossen ward doch jeder auf volle hundert Jahr'!

Und jetzt macht ihr mir Hoffnung auf Ewigkeiten gar!«


Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke,Band 1–4, Band 3, Berlin 1907, S. 295-297.
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Der letzte Ritter
Sämtliche Werke 5: Der letzte Ritter. Spaziergänge eines Wiener Poeten. Herausgegeben von Anton Schlossar [Reprint der Originalausgabe von 1906]

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