Zur Cholerazeit

[376] Meiner Hoffnung fromme Blume, die ich heimlich nährt' und tränkt',

Hielt in stiller Todesahnung schon ihr rosig Haupt gesenkt;

Lenz und Licht umsonst erharrend, siechte sie schon lebensmatt,

Ach und seine grüne Flagge strich besiegt ihr welkes Blatt.


Dieß geschah zur Zeit, als oben sprach der Herr vom Wolkenthron:

»Hast du meines Zornes Boten, Erde, so vergessen schon,

Den verkündet Bluttrabanten, dem gefolgt Brand und Entsetzen,

Daß, nachzitternd noch, du wieder opferst schon den alten Götzen?


Steige, zweiter Engel, nieder ohne Schwert und Blut und Brand!

Schwing' als richtend Schwert ein Füllhorn duft'ger Frücht' in deiner Hand,

Nimm zu Flügeln weiße Blüthen, Frühlings Sonnengold zu Locken;

So, moderne Pest, nun walle säuselnd hin auf Zefirs Socken!«


Und der Engel flog vom Osten, wo der Tag wohnt und der Zaar,

Stumm uns näher, immer näher, ird'schen Augen unsichtbar,

Seine luft'gen Bahnen zeigte doch auf Erden, Meil' auf Meile,

Der gefallnen Leichen stumme, unabsehbar lange Zeile.
[377]

Sommer war's, zum Herbst sich neigend, schöne, klare, sonn'ge Tage;

Sieh, das Volk, hinaus luftwandelt's nach dem Felde, nach dem Hage;

Weh, es zielt mit Sonnenstrahlen jetzt auf euer Herz der Tod!

Weh, es kühlt in Baumesschatten euch des Lebens Schweiß der Tod!


Diesen dürstet, – o wie lieblich dort die frische Quelle singt!

Seht an ihrem Born ihn liegen: Tod ist's, was sie rauscht und klingt!

Jener Knabe lechzt nach Labung, – Trauben winken wangenroth;

Heuer gibt's ein reiches Lesen, doch der Weinstock trägt nur Tod!


Schwärmerische Seele, wandle nur im süßen Mondenschein:

Aus des Lebens Jammerthalen wird dir bald Erlösung sein! –

Greiser Vater, euren Segen, eh' verglüht das Abendroth!

Weh dir, guter Sohn, als Segen quillt aus Vaters Hand dir Tod!


Weiche Kissen, Tafftgardinen! Süßen Kuß auf rothen Mund! –

Weh', der Kuß des Liebchens siegelt Tod auf deiner Lippen Rund! –

Reu'ger Sünder, nimm die Hostie am Altar im Kerzenstrahl!

Das Versöhnungsmal der Reue ist dein letztes Abendmahl! –


Zeit der Reu' ist's und Bekehrung; wie das Volk der Priester rennt!

Todesfeindschaft sucht Versöhnung, Ehebruch und Mord bekennt,

Alle Sünder thun jetzt Buße; – Lenker meines Volks, nun spürt

Ihr doch auch des Todes Schrecken, der euch bessert, läutert, rührt?


Siehe, meiner Hoffnung Blume fand ich wieder aufgelebt,

Ihres Blattes grüne Flagge frisch und froh emporgestrebt!

Dieß geschah zur Zeit, als mitten unter uns der Engel stand,

Und ich hart an mir das Wehen seines Flügelschlags empfand.
[378]

Und es kommt ein furchtbar Sterben. Mit dem Tod wirst du vertraut,

Daß vorm eignen Spiegelbilde, ist's noch wangenroth, dir graut,

Daß du Abends bebst zu Bette, gleich als ob dein Sarg es sei,

Daß sie Graun erfaßt, begegnen sich lebend'ger Wesen zwei.


Tag, was warfst du des Erwerbes Werkzeug aus der Hand so früh?

»Ach, weil Sarg und weißes Linnen sich erwirbt mit kleiner Müh!«

Nacht, hast du vergessen Lieder, Knall der Flaschen und Frohlocken?

»Meine Liebling', all entartet, lauschen nur den Sterbeglocken!« –


Haben meines Volkes Lenker nicht des Engels Hauch gespürt,

Daß am alten Thun sie haften, ungebessert, ungerührt?

Nein, sie steh'n wie Marmorbilder, kalt und starr, an einem Grab;

Ihrer Schilder alte Losung wäscht kein Sturm, kein Regen ab.


Aber als ich nach der Blume meiner Hoffnung wieder sah,

Lag zertreten sie am Boden, todeswelk und farblos da.

Dieß geschah zur Zeit, als von uns sich des Engels Flug gewandt;

Wer erharrt es, bis der dritte, fürchterlichste Bot' entsandt?

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke, Band 1–4, Band 2, Berlin 1907, S. 376-379.
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