An eine Geschminckte

[20] Was ist an Euch/ das Ihr Ewr eigen möget nennen?

Die Zähne sind durch Kunst in leeren Mund gebracht;

Euch hat der Schmincke dunst das Antlitz schön gemacht/

Daß Ihr tragt frembdes Haar/ kan leicht ein jeder kennen/

Vnnd daß Ewr Wangen von gezwungner Röte brennen/

Ist allen offenbahr/ deß Halses falsche Pracht/

Vnd die polirte Stirn wird billich außgelacht,

Wenn man die salben sich schawt vmb die Runtzeln trennen.

Wenn diß von aussen ist/ was mag wol in Euch sein/

Alß List vnd Trügerey/ Ich bild mir sicher ein/

Daß vnter einem Haupt/ das sich so falsch gezieret/

Auch ein falsch Hertze steh/ voll schnöder heucheley.

Sambt eim geschminckten Sin vnd Gleißnerey darbey/

Durch welche (wer Euch trawt) wird jammerlich verführet.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 20.
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