Vierter Auftritt


[55] Hinten wurde der Vorhang aufgezogen. Man sieht die Synagoge. Eine Erhöhung von wenig Stufen führt auf das Tabernakel, von wo herab man in den durch Kron- und Wandleuchter erhellten Raum sieht. Auf dem Tabernakel sitzen: Santos, Embden und zwei Rabbinen mit Taleds (Gebetschleiern) auf dem Haupte. Die Vorigen


SANTOS.

Ich lade dich vor diese Schranken, Uriel

Acosta! Israel harrt deiner Buße!

RUBEN kämpft mit sich, die Wahrheit zu sagen.

Nein, Bruder!

Judith – wird –

URIEL.

Du sprichst ihn aus

Den Namen, der mein Schicksal werden muß!

Jetzt gib dir Mut, du feiger Fuß! Ich schreite

Nicht rechts, nicht links, nach Christus, Sokrates,

Nach Hussens Feuertod nicht neidisch schielend,

Empor zum dreimal blut'gern Tod der Schande!


Er geht entschlossen die Stufen hinan.


RUBEN.

O schaudervolle Wendung des Geschicks –!

Noch weiß er nicht, was sich jetzt eben

Im Hause Vanderstratens muß entscheiden![55]

Er widerruft um eine Mutter, die

Ihm stirbt! Um eine Braut, die – jetzt vielleicht

Für immer, immer ihm verloren ist!

SANTOS hinaussprechend.

Hör' Israel, und jauchzet alle Lande!

URIEL liest aus dem Pergament, unter ferner Begleitung einer Musik.

»Ich Uriel Acosta, von Geburt

Ein Portugiese, Jude meines Glaubens,

Gestehe hier vor Gottes Auge, daß

Ich seiner Gnade mich unwürdig fühle.

Als Knabe schon bekannten meine Lippen

Den Christenglauben, den mein Herz verwarf;

Dann Jakobs Glauben wiederum bekennend

Mit äußerm Schein und heuchelnder Verstellung

War ich nicht Christ, nicht Jude, haßte beide,

Insonders aber haßte ich mein Volk.

Was ihm nur heilig ist, hab' ich verhöhnt,

Mit Lust getan, was das Gesetz verbietet.

Wo des Verstandes Kraft den Missetaten

Den Schein der Überzeugung nicht verlieh,

Nahm ich den Spott zu Hilfe, schrieb ein Buch,

Das Belial mir eingegeben hat –

O Fluch der Hand, die dieses Buch geschrieben.

Die Mutter zu ermorden war sie fähig –«

RUBEN für sich.

Die Lüge trifft dich nicht.

URIEL.

»In Blut getaucht

Hab' ich die Feder, die es schrieb. Gelogen

Ist alles, was in meinem Denken mir

Mit unserm Glauben nicht vereinbar schien,

Und was die Quelle der Vernunft genannt,

Wo ich euch riet, die Dürstenden zu tränken,

Das war nur Wasser aus dem Trog des Tiers,

Das wir verachten seit der Väter Tagen.

Das eigne Wort des höchsten Gottes hab' ich,

Die Offenbarung, fälschlich mir verändert,

Den Sinn entstellt mit frevelnder Erfindung,

Gefälscht hab' ich die Worte der Propheten

Mit schadenfroher Lust an meiner Lüge –


Er kann kaum noch weiter und sinkt schon ohnmächtig. Die beiden Rabbinen halten ihn.


Und nunmehr – fühl' ich mich – so tief verworfen

In dieser Eitelkeit auf meine Meinung,

Daß ich die Strafe, die gerecht mich traf,

Des Bannes Fluch durch Reue will versöhnen![56]

Und daß ich demutsvollen Sinns mich zeige,

Hoffärtig nicht vor meinen Brüdern wandle,

So will ich mich an dieses Tempels Ausgang,

Am Tor der Synagoge auf die – Erde

Als – Büßer – legen! Jedermann von euch

Erhebe seinen Fuß, – um – über – mich

Hinweg – –«


Er sinkt nieder.


RUBEN nimmt die Rolle und liest.

Was hör' ich?

SANTOS.

»An des Tempels Ausgang,

Am Tor der Synagoge auf die Erde

Als Büßer legen! Jedermann von Euch

Erhebe seinen Fuß, um über mich

Hinwegzuschreiten an des Tores Schwelle!«

RUBEN außer sich.

Ihr schändet keinen oder mich mit ihm!


Er stürzt davon. Uriel wurde inzwischen bewußtlos vom Tabernakel nach hinten hinuntergetragen. Die Priester folgen.

Statt der Musik hört man fortdauerndes Gebetmurmeln.


Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 55-57.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Uriel Acosta
Uriel Acosta: Trauerspiel in Funf Aufzugen (German Edition)

Buchempfehlung

Neukirch, Benjamin

Gedichte und Satiren

Gedichte und Satiren

»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon