An eine Fürstin von Dessau

[306] Aus stillem Hause senden die Götter oft

Auf kurze Zeit zu Fremden die Lieblinge,

Damit, erinnert, sich am edlen

Bilde der Sterblichen Herz erfreue.


So kommst du aus Luisiums Hainen auch,

Aus heilger Schwelle dort, wo geräuschlos rings

Die Lüfte sind und friedlich um dein

Dach die geselligen Bäume spielen,


Aus deines Tempels Freuden, o Priesterin!

Zu uns, wenn schon die Wolke das Haupt uns beugt

Und längst ein göttlich Ungewitter

... über dem Haupt uns wandelt.


O teuer warst du, Priesterin! da du dort

Im Stillen göttlich Feuer behütetest,

Doch teurer heute, da du Zeiten

Unter den Zeitlichen segnend feierst.


Denn wo die Reinen wandeln, vernehmlicher

Ist da der Geist, und offen und heiter blühn

Des Lebens dämmernde Gestalten

Da, wo ein sicheres Licht erscheinet.


Und wie auf dunkler Wolke der schweigende,

Der schöne Bogen blühet, ein Zeichen ist[307]

Er künftger Zeit, ein Angedenken

Seliger Tage, die einst gewesen,


So ist dein Leben, heilige Fremdlingin!

Wenn du Vergangnes über Italiens

Zerbrochnen Säulen, wenn du neues

Grünen aus stürmischer Zeit betrachtest.

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Stuttgart 1946, S. 306-308.
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